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Vorreiterin des französischen Films
Filmlegende Agnès Varda gestorben

Die Filmemacherin, Fotografin und Installationskünstlerin Agnès Varda ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Sie gilt als eine der Schlüsselfiguren des modernen Films. Für ihr Werk erhielt sie viele Auszeichnungen. Filmkritiker haben sie auch als Grand-mère de la Nouvelle Vague bezeichnet.

Von Josef Schnelle | 29.03.2019
Agnès Varda präsentiert ihren Film "Les Plages d'Agnès" bei den Filmfestspielen in Venedig
Agnès Varda war in den letzten Jahren bei jedem großen Festival auf der Welt für einen Preis gut. Nun ist sie im Alter von 90 Jahren gestorben (imago stock&people)
"Straße der Abfahrt und Straße der Ankunft. Streck den Arm raus, wir müssen abbiegen." – "Ich bin ja dafür, dass man die Straßen nach lebenden Personen benennt. Zum Beispiel Rue Piaf Boulevard Ceci, Avenue Aznavour. Wenn sie tot sind, könnte man die Namen wieder ändern. Was hältst Du davon?" –
"Cleo von fünf bis sieben". Das war 1961 der große Durchbruch von Agnès Varda, die 1938 in Belgien geboren wurde, aber ganz zum französischen Kino der "Nouvelle Vague" gehörte. Der Film erzählt die Geschichte einer jungen Sängerin, die die Lebenswelt um sich herum plötzlich anders wahrnimmt, weil ihr Tod nahe ist.
Varda bewegte sich unter den Helden des neuen französischen Kinos von Godard bis Truffaut als einzige Frau. Sie erzählte "Das Glück aus dem Blickwinkel des Mannes" 1965 und gab sich dezidiert feministisch. Schon in ihren Kurzfilmen ab 1954 hatte sie eine Weisheit des Filmemachens zutiefst verinnerlicht. "Ein Film beginnt immer mit einer Emotion."
Filme wie Chansons
1962 heiratete sie den Regisseur Jacques Demy, dessen gesungene Filme zum außergewöhnlichsten gehören, was das französische Kino zu bieten hat. 1991 hat sie dem inzwischen verstorbenen Meister des leichten Kinos, in dem Streikende tanzen und die Welt von Musik bestimmt wird, eine beeindruckende Hommage gewidmet. In "Jacquot de Nantes" ist die Welt so, wie die beiden sie sich wohl vorgestellt haben – wie ein poetisches getanztes Märchen.
Agnès Varda sah - wie ihr Mann - die Welt manchmal wie ein einziges großes Chanson. So heißt 1995 einer ihrer Dokumentarfilme "Die Welt ist ein Chanson". Auch die ständige wechselseitige Beeinflussung ihrer Dokumentar- und ihrer Spielfilme charakterisieren in besonderer Weise das Werk der Varda: "Ich glaube nicht, dass Schubladendenken nötig ist. Ich versuche ein lebendiges Kino zu machen. Meine Arbeit stützt sich immer auf die Methoden des Dokumentarfilms, wenn ich eine Fiktion erfinde und sie nutzt umgekehrt den Elan des Spielfilms für meine Dokumentarfilme."
1985 befand sich Agnès Varda auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Mit dem Aussteigerdrama zweier Frauen "Vogelfrei" gewann sie den "Goldenen Löwen" von Venedig und bezauberte endlich einmal ein großes Publikum. Wie sie prominente Schauspielerinnen in ihre Filme einspannte -das war schon seit 1987 ihr Markenzeichen, als sie Jane Birkin zur Heldin ihres Films "Jane B. par Agnès V." machte, einen der schönsten Frauenfilme der 80er-Jahre mit der Ikone des französischen Pops im Zentrum. Der Film ist auch ein Dialog zweier Generationen von Feministinnen. Agnès Varda ruft in den Film hinein. Sie spricht mit ihrer Protagonistin. So ist der Film zugleich auch ein schönes Selbstporträt.
Arbeit am europäischen Kino
"Das ist genau, als ob ich es bin, der dein Porträt filmt. Nur Du bist nicht allein im Spiegel. Da ist die Kamera und da bin ich. Manchmal erscheine ich im Bild. Manchmal die Kamera. Es ist keine Falle. Ich will Dich nicht reinlegen. Im Film sind 24 andere Porträts pro Sekunde oder Stunde. Du musst nur die Spielregel befolgen. Schau in die Kamera so oft wie möglich. Da hinein. Du musst da hinein sehen, sonst siehst Du mich nicht an."
Die beeindruckende alte Dame mit den ungewöhnlichen Outfits war in den letzten Jahren bei jedem großen Festival auf der Welt für einen Preis gut. In Cannes erhielt sie eine Ehrenpalme. Ebenso wurde sie vom Filmfestival von Locarno ausgezeichnet und auch in Guadalajara konnte sie eine Preisstatue in die Luft heben. Am beeindruckendsten aber war der europäische Filmpreis 2014, den sie für ihr Lebenswerk bekam.
Den in Riga versammelten europäischen Filmgranden erteilte sie aber in ihrer ganz besonderen Art direkt eine Lektion und erinnerte sie daran, wie viel und wie lange sie für das europäische Kino gearbeitet hat. Agnès Varda ist einmal scherzhaft als "Großmutter der Nouvelle Vague" bezeichnet worden. In Wahrheit ist sie immer die Vorreiterin des Kinos der Frauen geblieben. "Ich bin ein bisschen irritiert von der Bezeichnung 'Für's Lebenswerk'. Das klingt, als sei mein Lebenswerk schon beendet. Ich habe einen guten und loyalen Beitrag zum Kino geleistet. 60 Jahre lang."