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Vorschläge der Rürup-Kommission wirken auf lange Frist

Heinlein: Frisch zurück aus dem Urlaub hat sich die Bundesregierung anscheinend viel vorgenommen. Mit neuer Schaffenskraft sollen noch in diesem Jahr die Reformen auf den Weg gebracht werden. Schon jetzt steht fest: die Zeit des Verteilens ist vorbei, es wird teuer für die Bundesbürger. War es zuerst die Gesundheit, so ist nun das Thema Rente auf der Tagesordnung. Noch in diesem Monat soll die Rürup-Kommission ihr Konzept auf den Tisch legen, doch etliche Vorschläge werden bereits offen diskutiert. Von Nullrunden, längeren Lebensarbeitszeiten und einem kräftig sinkenden Rentenniveau ist da die Rede. Nachrichten, die viele Menschen verunsichern. "Wie geht es weiter mit der Rente?", darüber wollen wir jetzt reden mit Professor Bernd Raffelhüschen von der Uni Freiburg. Guten Morgen.

    Raffelhüschen: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Professor Raffelhüschen, Sie sind selber Mitglied der Rürup-Kommission, haben Sie denn noch den Überblick? Ist für Sie klar, in welche Richtung es geht bei den Renten?

    Raffelhüschen: Nun, bei der jetzigen Diskussion scheint es, dass fast jeder den Überblick verloren hat. Denn das, was, sagen wir einmal, diskutiert wird, die Rente also mit 67 erst oder auch der Nachhaltigkeitsfaktor, ist alles schon bereits vor drei Monaten auf einer Pressekonferenz von Bernd Rürup vorgestellt worden. Die Einzelheiten dazu werden wir in etwa zehn Tagen dann auch der Öffentlichkeit insgesamt vorlegen.

    Heinlein: Können Sie uns denn jetzt schon verraten, wer denn stärker geschröpft werden wird: die heutigen Rentner oder die künftigen Generationen?

    Raffelhüschen: Nun, bei der Frage werden auch die Einzelheiten, denke ich mir, in zehn Tagen auf dem Tisch liegen. Aber eines ist ganz klar, die heutigen Rentner werden nicht sehr stark geschröpft werden durch die Vorschläge der Rürup-Kommission. Denn die Vorschläge der Rürup-Kommission werden langfristige Vorschläge sein und nicht die kurzfristigen Probleme der nächsten ein oder zwei Jahre lösen. Vielleicht dort etwas helfen können, aber im Grunde genommen zielen sie nicht auf die kurze Frist.

    Heinlein: Also, langfristig werden die künftigen Rentner, also die heutigen Beitragszahler geschröpft werden. Verstehe ich Sie da richtig?

    Raffelhüschen: Das ist genau der Fall, wir müssen der Generation der heute dreißig bis fünfzig Jährigen sagen, dass sie deutlich mehr private Altersvorsorgeanstrengungen zu unternehmen haben. Wir werden ihnen auch sagen müssen, sie ist zum Teil selbst daran Schuld. Denn sie ist es, die die wenigen Kinder erzeugt hat, die jetzt eben in Zukunft nicht mehr Beitragszahler werden können.

    Heinlein: Aber, ist das denn gerecht? Heute die Arbeitnehmer zahlen doch kräftig Beiträge in die Rentenkassen und künftig kriegen sie dann nur wenig heraus?

    Raffelhüschen: Das ist der Preis, der dafür gezahlt wird, dass im Grunde genommen die heutigen Erwerbstätigen zwar die Zahlungen leisten, aber nicht die Beitragszahler, die in Zukunft notwendig wären, um das Rentenniveau von heute zu stabilisieren, in die Welt gesetzt haben. Also, auf gut deutsch: die heutigen Erwerbstätigen werden länger arbeiten und dennoch weniger Rente bekommen. Das ist schlichtweg der demographische Preis und das ist die lange Frist.

    Heinlein: Aber, dann werden alle bestraft, egal ob man Kinder bekommen hat oder nicht?

    Raffelhüschen: Nun, da bin ich mir ziemlich sicher, dass wir in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren vielleicht entsprechende Anpassungen noch vornehmen werden. Eines ist jedenfalls klar, die Kinder von heute werden auch von den Kinderlosen von heute mitfinanziert. Also, die Diskussion jetzt, die zu den bösen Buben zu machen, die da keine Kinder haben, das ist, glaube ich, gänzlich falsch.

    Heinlein: Langfristig betrachtet, Herr Raffelhüschen, ist denn angesichts dieser von Ihnen beschriebenen demographischen Schieflage, die ja seit langem bekannt ist, das bisherige System dieser umlagefinanzierten Rentenversicherung überhaupt zu erhalten?

    Raffelhüschen: Nun, man wird immer ein gewisses Stück weit eine umlagefinanzierte Rentenversicherung auch brauchen in der Welt. Man wird gleichzeitig aber auch eine private, kapitalgedeckte Altersvorsorge brauchen. Und das, was, sagen wir einmal, in demographischen Turbulenzen unstimmig war und ist, das ist das Mischungsverhältnis bei uns in Deutschland. Wir setzen zu sehr auf die Umlage und zu wenig auf die kapitalgedeckte, private Altersvorsorge.

    Heinlein: Also, ist das, was in Zukunft die gesetzliche Rente ist, nur noch eine Art Grundrente, die Altersarmut verhindert und mehr nicht?

    Raffelhüschen: Nun, die zukünftige Rente wird immer noch deutlich über dem Sozialhilfeniveau liegen. Also, es ist keine, sagen wir einmal, Grundrente. Aber, sie ist auch keine Lebensstandardsicherung im Alter mehr, wie es heute der Fall ist.

    Heinlein: Eine Zahl steht ja seit gestern im Raum, der Rückgang des Bruttorentenniveaus auf knapp 40 Prozent bis zum Jahr 2030. Ist das, was kommen wird, definitiv?

    Raffelhüschen: Nun, wir haben ja diese Zahl im Prinzip schon auf einer Pressekonferenz vor drei Monaten genannt. Was die Menschen draußen nicht ganz verstehen, ist der Unterschied zwischen Bruttorentenniveau und Nettorentenniveau. Bruttorentenniveau heißt, bei einer Rente, die im wesentlichen nicht versteuert wird. Dass der Nettoverbleib also deutlich größer ist, als die 40 Prozent; und das sollte man den Leuten draußen auch erzählen.

    Heinlein: Sie haben eingangs gesagt, dass die heutigen Rentner kaum geschröpft werden. Dennoch wird ja über Nullrunden diskutiert. Für dieses, nächstes und vielleicht sogar zwei Jahre lang. Erwarten Sie das, wird das kommen?

    Raffelhüschen: Nun, das hat nichts mit der Rürup- Kommission zu tun, denn das sind die kurzfristigen Maßnahmen, die jetzt notwendig sind. Ich denke, dass das kommen werden wird, einfach schlichtweg deshalb, weil das Instrument, das wir früher gehabt haben, um die konjunkturellen Schwankungen auszugleichen, nämlich die Schwankungsreserve, die früher in etwa drei Monate betrug, in der Reihe der Arbeitsminister von Blüm über Riester bis heute Schmidt kontinuierlich immer weiter herabgefahren wurden, so dass wir jetzt gerade noch vierzehn Tage lang die Renten auszahlen können, wenn nichts rein kommt.

    Heinlein: Taugt denn dieser Vorschlag einer Nullrunde, um die aktuelle Not der Rentenkasse dann tatsächlich zu lindern?

    Raffelhüschen: Wenig, weil im Grunde genommen durch die Riesterrente und auch durch das, was wir mit dem Nachhaltigkeitsfaktor wollen, die Renten ohnehin nicht besonders stark mehr steigen werden. Der letzte Rest an Anstieg, den einmalig zu nehmen, würde die Rentenfinanzierung nicht wirklich sicher stellen, sondern da braucht man mehrere.

    Heinlein: Wie viele Nullrunden wären denn notwendig?

    Raffelhüschen: Das hängt schlichtweg von der konjunkturellen Entwicklung ab. Wenn wir eine deutliche Erholung haben und hätten, dann könnten wir im nächsten Jahr vielleicht mit ein oder zweimal der Nullrunde überleben. Wenn das nicht so sein sollte, wenn sich die Rezession tatsächlich noch weiter zum Schlechten hin entwickelt, dann wird das deutlich schlechter.

    Heinlein: Also, eine Rentenentwicklung je nach Kassenlage?

    Raffelhüschen: Das ist bei einer umlagefinanzierten Rente zum Teil immer der Fall, wenn man keine Schwankungsreserve hat. Aber, wie gesagt, die wurde ja seit Jahren immer nur abgebaut, um notwendige Beitragssatzerhöhungen kurz vor Wahlen zu vermeiden.

    Heinlein: Die Zukunft der Renten. Dazu heute Morgen das Mitglied der Rürup-Kommission, hier im Deutschland Funk, Professor Bernd Raffelhüschen von der Uni Freiburg. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Raffelhüschen: Bitte.

    Link: Interview als RealAudio