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Vorsicht, Cat Content!
Tote Katzen als Schutzzauber

In Süddeutschland tauchen bei Renovierungsarbeiten in alten Häusern immer wieder tote Katzen auf, teilweise mumifiziert. Eine Archivarin dokumentiert diese Fälle. Und sie hat auch eine Erklärung für dieses Phänomen.

Von Christian Röther | 25.06.2018
    Zu sehen ist der Körper einer mumifizierten Katze
    Sollte Hexen und Dämonen abhalten: eine mumifizierte Katze (Deutschlandradio / Christian Röther)
    "Wir haben hier das Dach renovieren müssen und den Dachboden, " sagt Max Gaedtke, "und da haben wir den Boden aufgesägt und haben ein Skelett gefunden - und wir haben uns gewundert, wie dieses Skelett hier zum Kamin gekommen ist."
    Max Gaedtke und seine junge Familie haben ein Haus gekauft in einem kleinen Dorf in der Fränkischen Schweiz – ein Fachwerkhaus, rund 150 Jahre alt. "Wir haben aber dem keine weitere Beachtung geschenkt und haben dann dieses Skelett weggeworfen, waren aber alle so ein bisschen in einer gruseligen Stimmung, warum hier so ein Skelett liegt. Und dachten aber: Na ja, war vielleicht ein Marder oder so."
    Doch dann hören Max Gaedtke und seine Familie zufällig davon, dass auch in anderen alten Häusern immer mal wieder Tierskelette gefunden werden, auch oft in der Nähe des Kamins. Und zwar Skelette – oder auch Mumien – von Katzen. "Wir haben auch von dem Skelett schon Fotos gemacht gehabt und haben das jetzt nochmal nachkontrolliert und gesehen: Ja, das ist eindeutig eine Katze."
    Katze über dem Altarraum
    Ortswechsel, von Franken nach Schwaben. Hier lebt und arbeitet eine ausgewiesene Expertin für solche Katzen: "Jetzt sind wir über dem Kirchenschiff. Hier hat man – ich zeige Ihnen wo ungefähr – auch die Katze gefunden."
    Petra Schad kennt sich aus im Dachstuhl der Bartholomäuskirche. Die Stadtarchivarin von Markgröningen war schon oft hier oben: "Also direkt über dem Altarraum hat man die Katze gefunden."
    Bei Renovierungsarbeiten tauchen unter dem Dach der evangelischen Kirche nicht nur Schuhe auf, Essensreste und eine Laterne – sondern eben auch die Mumie einer Katze. Und die ist kein Einzelstück.
    "Ich kenne noch zwei weitere Kirchen, wo man auch Katzen gefunden hat," sagt Petra Schad, "und ich glaube, in zwölf Pfarrhäusern oder früher zur Kirche gehörigen Gebäuden hat man auch Katzen gefunden. Man sollte jetzt nicht sagen, die Pfarrer waren abergläubisch oder so. Sondern ich denke, sie haben eben mit dem damaligen ihnen vorhandenen Wissen versucht, die Kirche oder eben auch die Gebäude und sich vor Hexen und bösen Geistern zu schützen."
    Schutz vor Dämonen
    Auch in Privathäusern werden immer wieder Katzenmumien gefunden, erzählt Petra Schad – die erste ihr bekannte im Jahr 1999. Seitdem führt die Historikerin Buch. 89 tote Katzen stehen da inzwischen drin, alle aus dem Landkreis Ludwigsburg.
    Petra Schad: "Es gab zweimal Zeitungsberichte, und dann haben sich sehr viele Leute auch einfach so bei mir gemeldet: Sie hätten auch eine Katze gefunden, hätten der aber keine Bedeutung beigemessen und hätten sie dann weggeworfen."
    Ähnliche Berichte erreichen die Archivarin auch aus anderen Gegenden Deutschlands und auch aus dem Ausland: "Diesen Brauch gab es auch in der deutschen Schweiz, in Österreich und auch im Elsass, also im deutschsprachigen Frankreich."
    Einige der Katzenmumien bewahrt Petra Schad auf, im Stadtarchiv von Markgröningen in einem kleinen Holzkoffer:
    "Sehen Sie, also so haben mir die Eigentümer dann diese sechs Katzen gebracht. Die Hauserbauer – das Gebäude wurde 1865 errichtet – die hatten also ungeheuer Angst vor Dämonen."
    Das Genick gebrochen
    Wenn die toten Katzen tatsächlich vor Dämonen schützen, dann ist das Stadtarchiv jetzt ein sicherer Ort. Im Holzkoffer schmiegen sie sich aneinander, sechs vertrocknete Körper. Nur ein paar Knochen sind hier und da zu sehen. Die grau-braunen Mumien sind überraschend leicht, wenn man sie hochhebt.
    Was für Petra Schad klar ist: "Man hat die Katzen nicht mit dem Messer oder so umbringen können, denn das Fell musste ja intakt sein, sodass dann dieser Mumifizierungsprozess in Gang kommen konnte."
    Zu sehen ist eine Holzkiste mit mehreren mumifizierten Katzenkörpern
    Das Fell musste für die Mumifizierung intakt bleiben (Deutschlandradio / Christian Röther)
    Deshalb brachen die Menschen den Katzen das Genick, glaubt Petra Schad, oder ertränkten sie, und legten sie dann zum Beispiel in die Zwischenböden von Fachwerkhäusern.
    Petra Schad: "Ein mittelalterlicher Mensch hatte für vieles keine Erklärung. Und so war natürlich das Leben für den mittelalterlichen Menschen sehr gefährlich."
    Die toten Katzen stammen zwar genau genommen schon aus der Neuzeit, aber der Brauch entspringt der Mentalität des Mittelalters, sagt die Historikerin: "Die Ängste und die Sorgen und die Nöte vom Mittelalter, die galten im Prinzip ja bis ins 19. Jahrhundert sogar."
    Katzen und Ketzer
    Und so fand sich die jüngste Katzenmumie, die Petra Schad bekannt ist, in einem Gebäude von 1892. In den Jahrhunderten zuvor hat die Katze es in Mitteleuropa nicht leicht. Ein Grund dafür ist auch ein sprachliches Missverständnis: Katze und Ketzer, das klingt fast gleich – und da glaubte so mancher, die machen gemeinsame Sache.
    "Nein, das stimmt nicht. Aber man hat es eben geglaubt," so Petra Schad. Und sie ergänzt: "Es gab auch irgendeinen Papst – welchen habe ich jetzt vergessen – der das auch behauptet hat: dass Katze und Ketzer vom gleichen Wortstamm her kommen."
    Wohl auch deshalb wird der Katze während der Hexenverfolgung – und auch noch danach – nachgesagt, sie stecke mit den Hexen und dem Teufel unter einer Decke. Und Hexen würden sich in Katzen verwandeln.
    Petra Schad: "Ich denke, mit dieser toten Katze wollte man der Hexe sagen: Hier geht es den Hexen oder den Dämonen so wie dieser toten Katze."
    Ein Schutzzauber also. Was die Katze außerdem verdächtig machte: Sie kommt in der Bibel nur ein einziges Mal vor: im Buch Baruch, das aber theologisch umstritten ist. Bei Juden und Protestanten zählt es nicht zum offiziellen Bibelkanon, bei Katholiken hingegen schon. In diesem Buch Baruch kommen auch heidnische Götzen vor, die Katzen-Köpfe haben. Wahrscheinlich ist die ägyptische Göttin Bastet gemeint. Katzen werden hier also mit Unglauben in Verbindung gebracht.
    Katze im Müllcontainer
    Nicht nur in der ägyptischen Mythologie gibt es Katzen, sondern auch in der nordischen. So wird etwa der Wagen der Göttin Freyja von zwei Katzen gezogen. Doch im Zuge der Christianisierung Europas werden die nordischen Götter zu Dämonen erklärt, und vielleicht werden so auch die Katzen zu Begleiterinnen der Hexen.
    Das Foto zeigt eine schwarze Katze
    Ein Unglücksbringer? (picture-alliance / dpa / Paul Mayall)
    "Etwas Unheimliches, Dämonisches wohnt nach allgemeinem Glauben diesem Tier inne, das man daher stets mit einer gewissen Scheu behandelt": Das steht im "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens".
    Ab Ende der 1920er Jahre trägt es allerlei volkstümliche Glaubensvorstellungen zusammen. Dass schwarze Katzen Unglück bringen, dreifarbige Katzen aber Glück, das kennen viele Menschen bis heute. Das "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens" weiß allerdings noch viel mehr über Katzen zu berichten:
    "Im Elsass soll es noch vorkommen, dass beim Osterfeuer eine lebendige Katze in die Flamme geschleudert wird, angeblich zu dem Zweck, die Hexen zu verjagen."
    "Im Nassauischen hängt man am Faschingsmontage einen verschlossenen Korb mit einer lebendigen Katze auf und zündet das ganze am Dienstag unter Vaterunser-Beten mit Strohfackeln an, zur Erzwingung eines fruchtbaren Jahres."
    "Matrosen glauben, es gebe Sturm, sobald man eine Katze ins Meer wirft."
    "Mit dem Gewehr, womit das Tier erschossen wurde, trifft man nichts mehr."
    "Der Genuss von Katzenfleisch hilft gegen Schwindsucht."
    "Das Blut ist gegen die Fallsucht nützlich, namentlich wenn es vom Schwanz der Katze stammt."
    "Den entzündeten Finger steckt man der Katze in das Ohr oder in den Hintern, dann heilt er schnell."
    So geht es noch seitenlang weiter. Historiker und Kulturanthropologen bestätigen solche und ähnliche Bräuche rund um die Katze – ein Tier, von dem über Jahrhunderte geglaubt wurde, dass es Schaden bringen und zugleich vor Schaden schützen könne. Kein Wunder also, dass bei Renovierungsarbeiten immer mal wieder tote Katzen auftauchen, wie in der Fränkischen Schweiz bei Max Gaedtke und seiner Familie:
    "Ein klein bisschen Aberglauben habe ich ja auch und dachte jetzt: Uh, jetzt haben wir den Glücksbringer weggeworfen – einfach unachtsam in den Müllcontainer geworfen. Das war vielleicht ein Fehler. Aber wir haben jetzt nicht vor, nochmal eine Katze umzubringen und da unterzubringen."