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Vorsicht mit den Strahlendosen

Obwohl die Strahlenforschung vor allem für die Medizin wichtig ist, wurde sie in Deutschland lange mit der ungeliebten Kernenergieforschung gleichgesetzt. Inzwischen hat die Disziplin bedenkliche Nachwuchssorgen. Die Lücke soll der Kompetenzverbund Strahlenforschung im Auftrag von Umwelt- und Wissenschaftsministerium schließen. Die Jahrestagung des Verbunds fand am Mittwoch in Essen statt.

Von Dagmar Röhrlich |
    Ionisierende Strahlung wird in der modernen Medizin häufig eingesetzt: Durchleuchtungen mit Röntgengeräten oder Computertomographen helfen dem Arzt bei der Diagnose, und bei Krebserkrankungen ist die Radiotherapie gang und gäbe. Doch die Strahlung ist ein zweischneidiges Schwert, weil sie selbst zu schweren Schäden bis hin zu Krebs führen kann - und die Menschen unterschiedlich darauf empfindlich regieren:

    "Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass Unterschiede Faktor fünf bis zehn in der individuellen Strahlenempfindlichkeit der Normalfall sind. Es gibt einige Erbkrankheiten, bei denen das Strahlenrisiko noch beträchtlich höher ist, wenn man jetzt von einem Mittelwert ausgeht."

    Wolfgang-Ulrich Müller, Professor am Institut für medizinische Strahlenbiologie der Universitätsklinik Essen. Dass die Strahlenempfindlichkeit individuell verschieden ist, haben erst die Erfahrungen mit der Radiotherapie gezeigt: Dabei werden massive Strahlungsmengen eingesetzt, um die Tumoren abzutöten:

    "Ein gewisser Prozentsatz von Patienten zeigt erhebliche Nebenwirkungen, obwohl, sage ich mal, die normalen Bestrahlungsregimes angewendet werden. Und dort weiß man, dass etwa fünf Prozent der Patienten erhebliche Nebenwirkungen zeigen","

    erklärt Ralf Kriehuber, Leiter der Arbeitsgruppe Strahlenbiologie am Forschungszentrum Jülich. Manche Patienten reagieren also viel schlechter auf die gleichen Dosen als andere. Inzwischen kennen die Strahlenforscher eine ganze Reihe von Faktoren, die bei der individuellen Strahlenempfindlichkeit eine Rolle spielen: Da ist die Fähigkeit des Immunsystems, Tumorzellen zu erkennen, oder der Mechanismus, der die Zellteilung steuert, oder der, der das Kommando zum Zell-Selbstmord erteilt. Außerdem kommt es sehr stark auf die Fähigkeit der Zellen an, Erbgutschäden selbst zu reparieren:

    ""Um diese Problematik möglichst vor Aufnahme der Therapie im Griff zu kriegen, dazu werden Testsysteme entwickelt, mit deren Hilfe man vorher sagen kann, ob jemand strahlenempfindlich oder -unempfindlich ist, sodass man entsprechend die Therapie darauf abstellen kann."

    Die genetischen Faktoren, die hinter den unterschiedlich effizienten Reparaturmechanismen einer Zelle stecken, sind inzwischen bekannt:

    "Wir haben also Gene, die für Eiweiße codieren, die in dieser DNA-Reparatur eine Rolle spielen. Man weiß, dass es dort leichte Änderungen in diesen Genen gibt, die sind sehr klein, nur an einer Stelle gibt es da diese Änderung, und ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung hat diese Änderung. Und man spekuliert, dass diese kleine Änderung möglicherweise dazu führt, dass dieses Eiweiß seine Rolle nicht voll erfüllen kann. Und dass das eine Ursache sein könnte für die Strahlenempfindlichkeit."

    In einem Pariser Krankenhaus wird bereits auf dieses Gen getestet, bevor die Strahlentherapie beginnt, erzählt Ralf Kriehuber. Aber erkennen kann man so nur einen Teil der Betroffenen.

    "Wir kennen eine ganze Reihe von Mechanismen, die da eine Rolle spielen. Was dann allerdings auch bedeutet, dass immer mehrere Indikatoren herangezogen werden müssen, um Aufschluss zu bekommen."

    Nicht nur in der Strahlentherapie, auch in der Diagnostik ist Vorsicht geboten. Zwar liegen die Dosen um das Tausendfache unter denen der Tumortherapie. Trotzdem bekommt der Körper bei einer einzigen Aufnahme mit dem Computertomographen eine effektive Dosis von rund 20 Millisievert ab - das ist in Deutschland das jährliche Maximum eines Mitarbeiters in einem Kernkraftwerk.

    "Wenn man dann, was in einigen diagnostischen Verfahren durchaus notwendig ist, fünf oder zehn CTs macht, dann ist man durchaus in Bereichen, in denen die individuelle Strahlenempfindlichkeit wieder eine Rolle spielen könnte."

    Vor allem, wenn Kinder dieser Strahlung ausgesetzt werden, sieht Wolfgang-Ulrich Müller rot: Denn eigentlich müsse auf diesem Gebiet viel kritischer hingeschaut werden:

    "Das ist ein großes Problem, da muss man manchen Medizinern heftig auf die Finger klopfen. Was leider immer noch passiert ist, dass CTs mit Erwachsenen-Protokollen bei Kindern gemacht werden und die Kinder dadurch eine viel zu hohe Dosis bekommen. Dieser Unsinn muss aufhören."
    Es gibt spezielle "Kinderprotokolle", aber die kann längst nicht jeder Computertomograph fahren. Im Zweifel rät Strahlenmediziner Wolfgang-Ulrich Müller bei der Diagnostik zum Einsatz der Magnetresonanz anstelle der Computertomographie.