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Vorsicht Satire

Was ist los mit BILD? Haben die täglichen Lieferanten von Blut und Kodder den Humor entdeckt - und seinen Zwillingsbruder, den Klassenkampf? Zumindest stellt BILD beide aus: Die heutige Ausgabe geht auf Seite eins dem Bundesbankpräsidenten Ernst Welteke ans Leder: "Gieriger Luxus-Banker - Die Party ist aus !" Der Sozialdemokrat Welteke hatte sich von der Dresdener Bank einen viertägigen privaten Aufenthalt mit Frau und Kindern über Silvester 2001 im Berliner Hotel Adlon bezahlen lassen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Vorteilsnahme - und BILD verlangt populistisch: "Kanzler, übernehmen Sie!"

Von Wiglaf Droste |
    Dass jemand so wenig Stolz hat, eine Rechnung für eine private Unternehmung anderen zu überlassen, ist mir so unbegreiflich wie der Wunsch, Silvester am Brandenburger Tor zu verbringen, in der Nähe von geschmacksfrei betrunkenen Deutschen in mindestens sechsstelliger Zahl. Sozialdemokratie und Korruption sind aber weniger ethische als ästhetische Probleme. Der nun händeringend erhobene Vorwurf, schon wieder predige einer Wasser, trinke aber Wein, ist unfassbar öde. Und das Gossenblatt BILD als Moralanstalt dann doch ein schlechter Witz.

    Der es aber ausnahmsweise auch mal mit guten Witzen versucht: Der Mann, der nach dumpf-autoritären BILD-Willen Gerechtigkeit herstellen soll, Gerhard Schröder, bekam heute zu seinem 60. Geburtstag eine lustig-lustige Kindergeburtstagsseite geschenkt: "Schumi: Ich fahre rot für Schröder", heißt es da, "CDU löst sich auf - Merkel: Schröder kann es einfach besser", "Wetten, dass: Der Kanzler verspricht, übers Wasser zu wandeln", "Berlusconi schenkt Schröder Sandstrand", "Joschka Fischer: Ohne ihn wäre ich ein intellektuelles Nichts" - das sind alles ganz hübsch gemeine Ideen, und sie zielen auf einen Mann, der berechtigte harsche Kritik so auf sich zieht, wie Jesus verzweifelte alte Damen an sich bindet. Hunderttausende gingen gegen die von Schröder vertretene asoziale Politik auf die Straße - BILD aber "schenkt dem Kanzler zum 60. Geburtstag eine Seite 1, wie er sie sich schon immer gewünscht hat." Das wäre dennoch alles ganz prima, wäre da nicht der schale Zusatz: "(...nicht ganz ernst gemeint)". Nö, so feige kommt man nicht durch. Wo Vorsicht, Satire! draufsteht, ist leider keine Satire mehr drin.

    Schröder, mit Hilfe von der gleich ihm schlicht gestrickten BILD Kanzler geworden, ist, auch laut BILD, nun fertig und durch. Mich stört das nicht, im Gegensatz zum BILD-Chefredakteur Kai Diekmann und zum taz-Kolumnisten Michael Rutschky sah ich in Schröder immer nur ein Stück Vollgummi, sonst nichts. Dass er jetzt Feiglingswitze angehängt bekommt, die "nicht ganz ernst gemeint sind", hat er sich selbst eingehandelt. Aber BILD, weiter in Blut und Kodder sich wälzend, wird deshalb weder eine Zeitung noch etwas Lustiges.