"Die Frage ist, ob es überhaupt einen Thesenanschlag gegeben hat, das ist der Knackpunkt bei der ganzen Diskussion. Also wir wissen nicht, wie Friedrich drauf reagiert hat, und dass uns keine Reaktion überliefert ist, hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass es eben überhaupt keinen Thesenanschlag gegeben hat. Sondern nur einen Brief von Martin Luther, mit dem er sich an die kirchlich Verantwortlichen, also den Erzbischof von Mainz und den Bischof von Brandenburg, der ja für Wittenberg zuständig war, brieflich gewendet hat, um eine Diskussion in Gang zu setzen."
Kurfürst Friedrich der Weise residierte auf Schloss Hartenfels in Torgau. 1502 hatte er die Alma Mater Leucorea in Wittenberg gegründet, ein Zentrum der neuen Geistesströmung des Humanismus. 1508 wurde der Erfurter Augustinermönch Luther an die neue Universität berufen. In einer Zeit, als die Bindung des Kurfürstentums zum kirchlichen Machtzentrum in Rom längst brüchig geworden sei, sagt Prof. Enno Bünz, Historiker an der Universität Leipzig.
"Also, man sieht das ja daran, dass man in Rom ja verschiedene Gnadengaben und Dispense erlangen konnte. Beispielsweise wenn man eine Ehe annullieren wollte oder wenn man unehelich geboren war und diesen Makel korrigieren wollte, konnte man sich eine Erklärung des Papstes besorgen. Das ist von den Laien im Spätmittelalter sehr intensiv nachgefragt worden, aber wenn man einmal schaut, wer ist dann tatsächlich nach Rom gegangen in den Jahrzehnten vor 1517, um solche Gnadengaben zu erlangen, sieht man, dass die Zahl immer geringer wird."
Auch Friedrich der Weise hat sich nie selbst auf den Weg nach Rom begeben. Dennoch war er ein frommer Fürst, der am alten Glauben festhielt. Ja er praktizierte gerade das, was Martin Luther ablehnte: Er verehrte die Heiligen und gründete religiöse Stiftungen. 1493 war Friedrich sogar nach Jerusalem gepilgert. Auch besaß er eine der größten Reliquiensammlungen der damaligen Zeit.
"Also des sogenannten Wittenberger Heiltums, als eines großen Bestandes an Reliquien, Überresten von Heiligen, die auch mit sehr umfangreichen Ablassvergünstigungen verbunden gewesen sind, wenn man sie an bestimmten Tagen aufsuchte."
Und so ist es auch kein Wunder, dass Friedrich sogar den Handel mit Ablassbriefen förderte, sagt Prof. Bünz.
"Was ja zunächst einmal nicht in Verruf geraten ist, ist das Institut des Ablasses an sich, sondern was in Verruf gekommen ist, ist die Art und Weise wie der Dominikanermönch Tetzel den Ablass verkündet hat. Das war also diese sehr plakative, marktschreierische Art, wie er den Leuten den Ablass untergejubelt hat und ihnen auch vorgemacht hat, dass man diesen Ablass gegen eine gewisse Geldzahlung gewinnen könnte."
Genau diese Praxis veranlasste den Wittenberger Professor 1517 seine 95 Thesen zu formulieren, mit denen er Reformen in der katholischen Kirche anmahnte. Und es gab genug Anlass, die römischen Verhältnisse zu kritisieren. Durch seine Rom-Reise hatte Luther dem sächsischen Kurfürsten da eine Menge Erfahrungen voraus:
"Aber Friedrich der Weise hat sich ja, soweit wir wissen, nie direkt mit Luther unterhalten. Es gibt jedenfalls keine Zeugnisse, die das belegen würden. Das scheint auch seine kluge Zurückhaltung in Reformationsdingen zu unterstreichen, dass er den direkten Kontakt mit seinem Wittenberger Professor, der die Reformation losgetreten hat, vermieden hat."
Auch charakterlich unterschieden sich Friedrich und Luther sehr. Der Kurfürst sei ein Diplomat und Feingeist gewesen, der wunderbar poetische Briefe verfassen konnte, sagt der Chemnitzer Theologe Bernd Stefan. Luther dagegen war ein Polterer. Und deswegen mochte Friedrich auch dessen Schriften nicht lesen.
"Er stand Luther in dem Punkt nah, dass er aus der gleichen geistesgeschichtlichen Strömung des Humanismus kommt, beeinflusst vom sogenannten Bibelhumanismus, zurück zu den Quellen. Wo Friedrich und Luther nicht miteinander konnten, das war die Frage der Reliquien, der Heiligenverehrung. Aber Friedrich hat, ohne die Theologie Luthers zu teilen, sich Luther angenähert."
Auch das scheint ein Grund zu sein, weshalb Friedrich den Wittenberger Professor nach dem Wormser Reichstag 1521 aus der Schusslinie nahm. Ohne ihn wäre er womöglich sogar als Ketzer hingerichtet worden. So aber konnte er auf der Wartburg die Bibel übersetzten und auch sonst Weltgeschichte schreiben meint der Potsdamer Historiker Michael Scholz:
"Klar ist natürlich, dass nur diese besondere Konstellation, dass Friedrich der Weise doch hier eine Toleranzpolitik fuhr und dann doch Luther schützen konnte. Wir wissen, dass die Geschichte bei Johann Huss anders ausgegangen ist, ein Jahrhundert früher. Und das war auch noch bewusst den Zeitgenossen."
Kurfürst Friedrich III. von Sachsen war ein sehr mächtiger Herrscher im Heiligen Römischen Reich. 1519, bei der Wahl des Nachfolgers von Kaiser Maximilian, war er sogar einer von drei Kandidaten für den Kaiserthron. Die Habsburger haben dann aber mit der Zahlung hoher Summen ihren Kandidaten Karl V. durchgesetzt. Auch Friedrich der Weise soll davon profitiert haben. Dass der Kurfürst sich im Konflikt um Luther dann gegen den mächtigen Erzbischof in Mainz stellte, war für ihn eine prinzipielle rage, sagt der Leipziger Historiker Christian Winter.
"Er stand auf dem Standpunkt, dass es eine Sache die Gott entscheiden wird. Also Gott wird zeigen, welcher Weg der Richtige ist. Luther war ja auch sein Landeskind und insofern hat er ja auch eine Schutzpflicht als Landesherr – er wollte auf jeden Fall verhindern, dass dort von anderen eingegriffen wird, und wollte aber auch nicht selbst eingreifen."
Spätestens ab 1520/21 lasse sich im Kurfürstentum Sachsen eine reformatorische Bewegung erkennen, sagt Prof. Uwe Schirmer von der Universität Jena. Dank des Buchdrucks hätten Luthers Lehren vor allem in den Städten schnell Fuß gefasst.
"Und neben den Bürgern in den Städten haben wir auch so was Ähnliches wie eine Frömmigkeitsbewegung von unten, die in gewisser Weise korrespondiert mit reformatorischem Gedankengut. Da geht’s um das Abendmahl in beiderlei Gestalt als ein Beispiel, der Umgang mit den Obrigkeiten, und das ist diese Bewegung, also die sogenannte Reformation von unten, die dann allerdings im Bauernkrieg mündet."
Den der Kurfürst am Ende seines Lebens durch Verhandlungen noch zu verhindern suchte.
Dass er kurz vor seinem Tod evangelisch geworden sei, ist eine Legende. Die Reformation wurde erst nach seinem Ableben im Jahre 1525 durch seinen Bruder Johann durchgesetzt. Bereits als Herzog von Weimar hatte dieser Luther, der damals auf der Wartburg saß, tatkräftig unterstützt. Anders als Friedrich kannte Johann dessen Schriften, die er auch politisch zu nutzen wusste, sagt der Historiker Enno Bünz:
"Also es geht hier nicht nur um Reform der Kirche, um Verbesserung der kirchlichen Verhältnisse, sondern die Reformation ermöglicht dem Landesherrn eine radikal neue Definition des Verhältnisses von Staat und Kirche, und das wird natürlich von den Landesherrn konsequent genutzt."
Bis hin zur späteren Formel "cuius regio, eius religio", nach der der Landesherr auch die Religionszugehörigkeit seiner Untertanen bestimmen konnte. Radikal löste der neue Kurfürst Johann die noch von seinem Bruder geförderten Klöster und Stifte auf. Pfarrer und Ordensleute durften heiraten. Vor allem beseitigte er die Konkurrenz der kirchlichen Gerichtsbarkeit. Hatte der Katholik Friedrich der Weise die reformatorischen Lehre nur mehr geduldet, so wurde sein Bruder Kurfürst Johann der Beständige zum eigentlichen Reformator von oben:
"Und insofern ermöglicht die Reformation ja eine ganz neue Konzentration auch der landesherrlichen Gewalt. Und das darf man nicht naiv sein, diese Chance haben natürlich auch die Landesherren, je stärker die Reformation dann vorangeschritten ist, auch erkannt, dass man damit natürlich auch eine Herrschaftsverdichtung im eigenen Land erzielen kann, wenn man die Reformation umsetzt."
Kurfürst Friedrich der Weise residierte auf Schloss Hartenfels in Torgau. 1502 hatte er die Alma Mater Leucorea in Wittenberg gegründet, ein Zentrum der neuen Geistesströmung des Humanismus. 1508 wurde der Erfurter Augustinermönch Luther an die neue Universität berufen. In einer Zeit, als die Bindung des Kurfürstentums zum kirchlichen Machtzentrum in Rom längst brüchig geworden sei, sagt Prof. Enno Bünz, Historiker an der Universität Leipzig.
"Also, man sieht das ja daran, dass man in Rom ja verschiedene Gnadengaben und Dispense erlangen konnte. Beispielsweise wenn man eine Ehe annullieren wollte oder wenn man unehelich geboren war und diesen Makel korrigieren wollte, konnte man sich eine Erklärung des Papstes besorgen. Das ist von den Laien im Spätmittelalter sehr intensiv nachgefragt worden, aber wenn man einmal schaut, wer ist dann tatsächlich nach Rom gegangen in den Jahrzehnten vor 1517, um solche Gnadengaben zu erlangen, sieht man, dass die Zahl immer geringer wird."
Auch Friedrich der Weise hat sich nie selbst auf den Weg nach Rom begeben. Dennoch war er ein frommer Fürst, der am alten Glauben festhielt. Ja er praktizierte gerade das, was Martin Luther ablehnte: Er verehrte die Heiligen und gründete religiöse Stiftungen. 1493 war Friedrich sogar nach Jerusalem gepilgert. Auch besaß er eine der größten Reliquiensammlungen der damaligen Zeit.
"Also des sogenannten Wittenberger Heiltums, als eines großen Bestandes an Reliquien, Überresten von Heiligen, die auch mit sehr umfangreichen Ablassvergünstigungen verbunden gewesen sind, wenn man sie an bestimmten Tagen aufsuchte."
Und so ist es auch kein Wunder, dass Friedrich sogar den Handel mit Ablassbriefen förderte, sagt Prof. Bünz.
"Was ja zunächst einmal nicht in Verruf geraten ist, ist das Institut des Ablasses an sich, sondern was in Verruf gekommen ist, ist die Art und Weise wie der Dominikanermönch Tetzel den Ablass verkündet hat. Das war also diese sehr plakative, marktschreierische Art, wie er den Leuten den Ablass untergejubelt hat und ihnen auch vorgemacht hat, dass man diesen Ablass gegen eine gewisse Geldzahlung gewinnen könnte."
Genau diese Praxis veranlasste den Wittenberger Professor 1517 seine 95 Thesen zu formulieren, mit denen er Reformen in der katholischen Kirche anmahnte. Und es gab genug Anlass, die römischen Verhältnisse zu kritisieren. Durch seine Rom-Reise hatte Luther dem sächsischen Kurfürsten da eine Menge Erfahrungen voraus:
"Aber Friedrich der Weise hat sich ja, soweit wir wissen, nie direkt mit Luther unterhalten. Es gibt jedenfalls keine Zeugnisse, die das belegen würden. Das scheint auch seine kluge Zurückhaltung in Reformationsdingen zu unterstreichen, dass er den direkten Kontakt mit seinem Wittenberger Professor, der die Reformation losgetreten hat, vermieden hat."
Auch charakterlich unterschieden sich Friedrich und Luther sehr. Der Kurfürst sei ein Diplomat und Feingeist gewesen, der wunderbar poetische Briefe verfassen konnte, sagt der Chemnitzer Theologe Bernd Stefan. Luther dagegen war ein Polterer. Und deswegen mochte Friedrich auch dessen Schriften nicht lesen.
"Er stand Luther in dem Punkt nah, dass er aus der gleichen geistesgeschichtlichen Strömung des Humanismus kommt, beeinflusst vom sogenannten Bibelhumanismus, zurück zu den Quellen. Wo Friedrich und Luther nicht miteinander konnten, das war die Frage der Reliquien, der Heiligenverehrung. Aber Friedrich hat, ohne die Theologie Luthers zu teilen, sich Luther angenähert."
Auch das scheint ein Grund zu sein, weshalb Friedrich den Wittenberger Professor nach dem Wormser Reichstag 1521 aus der Schusslinie nahm. Ohne ihn wäre er womöglich sogar als Ketzer hingerichtet worden. So aber konnte er auf der Wartburg die Bibel übersetzten und auch sonst Weltgeschichte schreiben meint der Potsdamer Historiker Michael Scholz:
"Klar ist natürlich, dass nur diese besondere Konstellation, dass Friedrich der Weise doch hier eine Toleranzpolitik fuhr und dann doch Luther schützen konnte. Wir wissen, dass die Geschichte bei Johann Huss anders ausgegangen ist, ein Jahrhundert früher. Und das war auch noch bewusst den Zeitgenossen."
Kurfürst Friedrich III. von Sachsen war ein sehr mächtiger Herrscher im Heiligen Römischen Reich. 1519, bei der Wahl des Nachfolgers von Kaiser Maximilian, war er sogar einer von drei Kandidaten für den Kaiserthron. Die Habsburger haben dann aber mit der Zahlung hoher Summen ihren Kandidaten Karl V. durchgesetzt. Auch Friedrich der Weise soll davon profitiert haben. Dass der Kurfürst sich im Konflikt um Luther dann gegen den mächtigen Erzbischof in Mainz stellte, war für ihn eine prinzipielle rage, sagt der Leipziger Historiker Christian Winter.
"Er stand auf dem Standpunkt, dass es eine Sache die Gott entscheiden wird. Also Gott wird zeigen, welcher Weg der Richtige ist. Luther war ja auch sein Landeskind und insofern hat er ja auch eine Schutzpflicht als Landesherr – er wollte auf jeden Fall verhindern, dass dort von anderen eingegriffen wird, und wollte aber auch nicht selbst eingreifen."
Spätestens ab 1520/21 lasse sich im Kurfürstentum Sachsen eine reformatorische Bewegung erkennen, sagt Prof. Uwe Schirmer von der Universität Jena. Dank des Buchdrucks hätten Luthers Lehren vor allem in den Städten schnell Fuß gefasst.
"Und neben den Bürgern in den Städten haben wir auch so was Ähnliches wie eine Frömmigkeitsbewegung von unten, die in gewisser Weise korrespondiert mit reformatorischem Gedankengut. Da geht’s um das Abendmahl in beiderlei Gestalt als ein Beispiel, der Umgang mit den Obrigkeiten, und das ist diese Bewegung, also die sogenannte Reformation von unten, die dann allerdings im Bauernkrieg mündet."
Den der Kurfürst am Ende seines Lebens durch Verhandlungen noch zu verhindern suchte.
Dass er kurz vor seinem Tod evangelisch geworden sei, ist eine Legende. Die Reformation wurde erst nach seinem Ableben im Jahre 1525 durch seinen Bruder Johann durchgesetzt. Bereits als Herzog von Weimar hatte dieser Luther, der damals auf der Wartburg saß, tatkräftig unterstützt. Anders als Friedrich kannte Johann dessen Schriften, die er auch politisch zu nutzen wusste, sagt der Historiker Enno Bünz:
"Also es geht hier nicht nur um Reform der Kirche, um Verbesserung der kirchlichen Verhältnisse, sondern die Reformation ermöglicht dem Landesherrn eine radikal neue Definition des Verhältnisses von Staat und Kirche, und das wird natürlich von den Landesherrn konsequent genutzt."
Bis hin zur späteren Formel "cuius regio, eius religio", nach der der Landesherr auch die Religionszugehörigkeit seiner Untertanen bestimmen konnte. Radikal löste der neue Kurfürst Johann die noch von seinem Bruder geförderten Klöster und Stifte auf. Pfarrer und Ordensleute durften heiraten. Vor allem beseitigte er die Konkurrenz der kirchlichen Gerichtsbarkeit. Hatte der Katholik Friedrich der Weise die reformatorischen Lehre nur mehr geduldet, so wurde sein Bruder Kurfürst Johann der Beständige zum eigentlichen Reformator von oben:
"Und insofern ermöglicht die Reformation ja eine ganz neue Konzentration auch der landesherrlichen Gewalt. Und das darf man nicht naiv sein, diese Chance haben natürlich auch die Landesherren, je stärker die Reformation dann vorangeschritten ist, auch erkannt, dass man damit natürlich auch eine Herrschaftsverdichtung im eigenen Land erzielen kann, wenn man die Reformation umsetzt."