Freitag, 19. April 2024

Archiv


Vorsichtige Wiedergutmachung

Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel waren am Anfang von Vorbehalten und äußerster Vorsicht bestimmt, lastete auf ihnen doch die Vergangenheit des Nationalsozialismus. Erst 1965 nahmen beide Staaten diplomatische Beziehungen auf. Am 7. Juni 1973 schließlich besuchte Willy Brandt als erster deutscher Bundeskanzler Israel.

Von Otto Langels | 07.06.2008
    "Langsam geht Brandt die Gangway hinunter und wird von der Ministerpräsidentin Golda Meir begrüßt, die ganz nah an die Gangway herangekommen ist."

    Die Ankunft Willy Brandts auf dem israelischen Flughafen Lod am 7. Juni 1973 war ein so außergewöhnliches Ereignis, dass sie im Rundfunk direkt übertragen wurde.

    "Dies ist der erste offizielle Besuch eines Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland in Israel. Sie werden in Israel mit der Achtung willkommen geheißen, die einem Manne gebührt, der sich in der dunkelsten Stunde der Menschheit und vor allem des jüdischen Volkes denjenigen anschloss, die gegen die Nazis kämpften."

    Es war längst nicht selbstverständlich, dass ein deutscher Politiker in Israel so freundlich empfangen wurde. Nach dem Holocaust waren normale Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland zunächst undenkbar erschienen. 1947 hatte Golda Meir sich noch geweigert, dem SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher bei einem internationalen Treffen von Sozialdemokraten die Hand zu geben, obwohl Schumacher als entschiedener Nazigegner zehn Jahre in Konzentrationslagern gesessen hatte.
    Ende der 40er Jahre kamen erste vorsichtige Kontakte zwischen westdeutschen und israelischen Politikern zustande. Die Gespräche fanden im neutralen Ausland statt.
    1951 erklärte Bundeskanzler Konrad Adenauer:

    "Die Bundesregierung ist bereit, gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel, der so viele heimatlose jüdische Flüchtlinge aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen und damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern."

    Obwohl jeder Deutsche ein Nazi und Mörder sei, wie der damalige Oppositionsführer Menachem Begin erklärte, nahm die israelische Regierung dennoch Verhandlungen mit der Bundesregierung auf. Israel war angesichts seiner schwierigen finanziellen Lage an Reparationszahlungen für die Folgen der nationalsozialistischen Judenverfolgung interessiert, die Bundesrepublik erhoffte sich internationale Anerkennung.

    1952 wurde in Luxemburg ein Abkommen geschlossen. Acht Jahre später trafen sich die Regierungschefs Ben Gurion und Adenauer erstmals persönlich - in einem Hotel in New York. Doch erst 1965 nahmen beide Staaten offiziell diplomatische Beziehungen auf, gegen den Widerspruch des christdemokratischen Außenministers Gerhard Schröder, der eine Krise in den deutsch-arabischen Beziehungen befürchtete. Denn die deutsche Außenpolitik bemühte sich, sowohl der historischen Verantwortung gegenüber dem Judenstaat gerecht zu werden als auch wirtschaftliche Interessen in den arabischen Ländern zu verfolgen.
    Als Willy Brandt im Juni 1973 Israel besuchte, sprach er von "normalen diplomatischen Beziehungen mit einem besonderen Charakter". Da der Klang deutscher Worte bei den Gastgebern womöglich ungute Erinnerungen an die NS-Zeit geweckt hätte, hielt er seine Begrüßungsrede auf Englisch.

    "Wir können nicht ungeschehen machen, was geschehen ist. Die Summe des Leides und des Schreckens lässt sich nicht aus dem Bewusstsein unserer Völker verdrängen. Die Zusammenarbeit unserer Staaten bleibt durch den historischen und moralischen Hintergrund unserer Erfahrungen geprägt."

    Zwei Drittel der israelischen Bevölkerung begrüßten den Besuch des Friedensnobelpreisträgers Brandt, dessen Kniefall vor dem Mahnmal im Warschauer Getto drei Jahre zuvor großen Eindruck hinterlassen hatte. Die Premierministerin Golda Meir sprach von offenen Gesprächen "wie sie zwischen Freunden üblich seien". Nach der Rückkehr aus Israel erklärte Willy Brandt vor dem Bundestag:

    "Mir wurde durch die Begegnung mit der Realität Israels von Neuem deutlich, dass unsere beiden Völker neben dem weiterwirkenden Schatten leben müssen. Es wurde freilich mit gleicher Klarheit sichtbar, dass uns gerade die Ehrfurcht vor der Macht der Geschichte erlaubt, einander in neuer Freiheit zu begegnen."