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Vorsichtiger demokratischer Wandel in Birma

Die Militärdiktatur in Birma hat 50 Jahre lang eindeutig den Buddhismus bevorzugt. Nachdem die Junta nun ihre Macht an eine zivile Regierung übergeben hat, steht man in dem Vielvölkerstaat vor der Herausforderung, die religiösen und ethnischen Minderheiten im Land miteinander zu versöhnen.

Von Ingrid Norbu | 30.05.2012
    "Vor der Demokratisierung haben die Militärs Menschen zur Zwangsarbeit herangezogen. Diesen Fällen gehen wir nach. Allerdings haben wir im Rakhine-Staat immer noch Probleme mit Flüchtlingen, den Rohingya, die, wie wir glauben, aus Indien und Bangladesh gekommen sind. Nach unserem Nationalitätengesetz von 1982 zählen die Rohingyas nicht zu den 135 anerkannten ethnischen Minderheiten in Myanmar. Diese Probleme der illegalen Einwanderungen bestehen weiter."

    Der Birmane Aye Maung ist Vorsitzender der neu gegründeten "Rakhine Nationalitäten Partei", die die Interessen der Minderheiten im äußersten Westen der "Union von Myanmar", dem früheren Birma, im Parlament vertritt. Der Buddhist Aye Maung vertritt die Meinung, dass die muslimischen Rohingyas erst in der Kolonialzeit nach Birma eingewandert sind und deshalb keinen Anspruch auf eine Staatsbürgerschaft in seinem Land haben. Im Grenzland zwischen dem Subkontinent und Südostasien lebte stets eine gemischt religiöse Bevölkerung. Erst Ende des 18. Jahrhunderts war das Gebiet von buddhistischen Birmanen erobert worden. Eines der bedeutendsten Heiligtümer dort, die Mahamuni-Statue, nahmen sie mit. Heute ist sie der Mittelpunkt des größten buddhistischen Tempels in Mandalay in Zentralbirma. Rohingya-Aktivisten beklagen, dass die Regierung in Birma zur Vereinheitlichung von Kultur und Religion, in den letzten Jahrzehnten buddhistische Pagoden vorzugsweise an den Orten zu bauen ließen, wo einst Moscheen gestanden hatten.

    "Die Muslime dort sind frei. Sie können fünfmal am Tag beten. Sie bekommen auch von ausländischen Hilfsorganisationen gestiftete Häuser. Ich war 25 Jahre lang in der Verwaltung des Rakhine Staates tätig und weiß, dass es dort Menschenrechtsverletzungen gibt. Aber besonders die Überbevölkerung macht den Rohingyas zu schaffen. Ich schätze, dass etwa
    500.000 Rohingyas, die wir als Bengalis betrachten, um die Hauptstadt des Rakhine Staates leben. Sie haben nicht genug Land, das sie ernähren könnte. Es gibt Heiratsbeschränkungen und sie dürfen sich nicht frei im Land bewegen."

    Die als staatenlos geltenden muslimischen Rohingyas dürfen kein Land besitzen und auch nicht arbeiten. Etwa eine Million lebt in Flüchtlingslagern jenseits der Grenze in Bangladesh. Nur wer nachweisen kann, dass seine Vorfahren bereits vor der Kolonialzeit, also vor 1824, im Land gelebt haben, soll zukünftig Staatsbürger Myanmars werden können.
    Seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1947 befindet sich Birma in der Krise. Alle politischen Führer des Vielvölkerstaats sind bisher an der Aufgabe gescheitert, die Interessen der Zentralregierung und denen der vielen ethnischen Minderheiten unter einen Hut zu bekommen.

    1962 putschte das Militär, um, wie sie vorgaben, die Einheit des Landes zu sichern. Seither setzten sie bei der Minderheitenpolitik stets auf die militärische Karte und vergrößerten die Kluft weiter. Auch innerhalb der ethnischen Bevölkerung entstanden Fraktionen, die teils durch Waffenstillstandsabkommen mit den Militärs zu Nutznießern der Schätze des Landes und so zu deren Gefolgsleuten wurden. Im Osten Myanmars, an der Grenze zu Thailand, leben das Volk der Shan. Seit einem Jahr gibt es dort wie in den übrigen großen Unionsstaaten ein gewähltes Regionalparlament und eine Regierung. Sai Aik Paung ist Minister für Forstwirtschaft und Bergbau.

    "Unser Shan-Staat ist reich an Bodenschätzen. Hier gibt es Gold, Blei, Zinn, Eisenerz und vieles mehr. Aber weil hier Bürgerkrieg herrschte, konnten wir Shan nicht davon profitieren. Nun herrscht Waffenstillstand mit den Aufständischen. Im Moment profitiert noch die Zentralregierung vollständig von unseren Ressourcen, aber wir werden zukünftig einen Gewinnanteil für den Haushalt unserer Regionalregierung bekommen."

    Besonders die Wirtschaftsinteressen der Militärs an den Bodenschätzen führten in den letzten Jahrzehnten zur Vertreibung der ethnischen Bevölkerung. Millionen von ihnen leben als Flüchtlinge in den Nachbarländern. Dieser Exodus, ausgelöst durch die rücksichtlose Zerstörung der Lebenszusammenhänge vieler kleiner Volksgruppen, gehört, trotz Lockerung der Zensur, immer noch zu den sensibelsten Themen im neuen Birma. Im Norden an der Grenze zu China kämpfen Widerstandsgruppen des Kaschin-Volkes weiter gegen die Zentralgewalt. Wo Waffenstillstand herrscht, wie im Shan-Staat, warten auf die Regionalparlamente nun die Aufbauarbeiten.

    "Wir sind wie die Bevölkerungsmehrheit der Birmanen Buddhisten, aber in den letzten Jahrzehnten wurden wir kulturell von ihnen dominiert. Unter dem Militärregime durften wir in unseren öffentlichen Schulen unsere eigene Shan-Sprache nicht unterrichten. Erst in diesem Jahr wird es uns wieder erlaubt sein. In naher Zukunft werden dann hoffentlich alle Sprachen unserer nationalen Minderheiten wieder Unterrichtsfach werden."

    Daran, dass sich die Militärs wieder offen an die Spitze des Staates stellen und erneut alle Fäden in die Hand nehmen könnten, glaubt Minister Sai Aik Paung nicht. Immerhin garantiert die von den Militärs geschriebene Verfassung Gewaltenteilung und eine Selbstverwaltung der Minderheiten in autonomen Gebieten, sagt er.

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