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Vorstandsvorsitzender Middelhoff verlässt Bertelsmann

    Engels: Die Medienlandschaft bleibt in Bewegung. In den vergangenen Tagen hatten zunächst Spekulationen um die Übernahme der insolventen Kirchgruppe durch ein Bieterkonsortium, bestehend aus Springer-, Bauer- und Spiegel-Verlag, für Aufsehen gesorgt. Und gestern Nachmittag meldeten die Agenturen eine Überraschung von ganz anderer Seite: Thomas Middelhoff, langjähriger Vorstandsvorsitzender des Medienriesen Bertelsmann, verlässt den Konzern. Am Telefon begrüße ich Horst Röper, Medienwissenschaftler und Geschäftsführer des Formatt-Instituts in Dortmund. Der Rückzug von Thomas Middelhoff ist sehr überraschend, und er kam offenbar im Streit. Wir können nur spekulieren, aber welche Gründe können da eine Rolle spielen? Der Börsengang, der nicht so recht anlaufen wollte?

    Röper: Bertelsmann verstand sich ja als ein Familienunternehmen, das sehr wohl die so genannte soziale Partnerschaft, also die Partnerschaft mit den eigenen Mitarbeitern anstrebte. Dieses galt traditionell, das heißt über Jahrzehnte. Die Gewerkschaften hatten zum Beispiel immer einen relativ schweren Stand, hatten wenige Mitglieder bei Bertelsmann. Es gab Mitarbeiterbeteiligungsmodelle. All das unterschied Bertelsmann doch sehr von anderen Firmen, nicht nur von Medienfirmen, und nun sollte ausgerechnet dieses Unternehmen an die Börse, und das hätte natürlich geheißen: Shareholder Value, also man arbeitet im Wesentlichen für den Börsenwert. Da gab es Brüche, und diese neue Linie hat wohl weder die Familie Bertelsmann, die Familie Mohn überzeugt, noch den Aufsichtsrat.

    Engels: Middelhoff stand ja nicht nur für den geplanten Börsengang, sondern auch die Strategie von Bertelsmann der vergangenen Jahre, beispielsweise stärker in die neuen und elektronischen Medien einzusteigen, zuletzt eine Aufstockung des Anteils des Unternehmens an RTL oder die Verhandlungen um einen Einstieg in den Nachrichtenkanal N-TV. Ist mit dem Abgang Middelhoffs auch diese Strategie gescheitert?

    Röper: Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, Bertelsmann wird weiterhin sehr stark diesen Massenmarkt bedienen wollen. Beispielsweise der Schritt bei RTL ist in einer Weise vollzogen worden, die gar nicht rückgängig zu machen wäre. Ich denke auch, dass es betriebswirtschaftlich keinen Sinn machen würde. Allerdings hat es auch Brüche bei den Fachzeitschriften gegeben, bei den wissenschaftlichen Verlagen, die Middelhoff vor wenigen Tagen loswerden wollte. Er wollte auch diesen Bereich verkaufen, obwohl er selbst eben in diesem Bereich in den letzten Jahren noch zugekauft hatte. Also manches war bei Middelhoff in der Tat sehr sprunghaft. Diese Entwicklung hat er immer sehr schnell vollzogen. Er hat dem Konzern schon ein Tempo auferlegt, das vielen dort Schwierigkeiten bereitet hat, und auch immer wieder verdiente Mitarbeiter vor den Kopf gestoßen. Man konnte schon erahnen, als er den Verkauf dieser Verlagsgruppe Bertelsmann-Springer andeutete, dass dies im Konzern so wohl nicht geschluckt werden würde, dass das wieder auf Kritik stoßen würde. Das war der Fall. Und Jürgen Richter, der Chef dieser Gruppe, ist dann auch sofort von seinem Posten zurückgetreten. Auch das macht natürlich Eindruck im Haus und hat dann die Gegner von Middelhoff, die es immer gab, die immer mit seinem schnellen Weg, und vor allen Dingen seinem schnellen Weg auch an die Börse nie zurechtgekommen sind, dann Auftrieb gegeben.

    Engels: Welche Bedeutung kommt jetzt Gunter Thielen, dem designierten Nachfolger zu? Das ist ein Wechsel von einem 49-Jährigen zu einem 59-Jährigen. Eine Verjüngung ist das nicht gerade.

    Röper: Das sicherlich nicht. Die Verjüngung war damals Middelhoff, und Middelhoff hat in den letzten Jahren gut die Hälfte des Vorstandes ausgetauscht. Er hat den Vorstand schon kräftig verjüngt. Das älteste Vorstandsmitglied wird nun sein Nachfolger. Ich vermute allerdings, dass es eine Lösung auf Zeit sein wird, denn bei Bertelsmann gilt auch das schon seit vielen Jahren: Die Altersgrenze beträgt 60 Jahre. Hier wird eine Ausnahme gemacht, aber ich denke, dass es nicht dauerhaft sein wird. Man wird sich neues Personal suchen und dann vermutlich den Konzern zunächst einmal konsolidieren, das heißt also nicht mehr auf der Middelhoff-Linie bleiben, zu expandieren. Middelhoff hat ja in seiner nicht mal vierjährigen Amtszeit den Konzernumsatz um etwa 60 Prozent erhöht. Das sind schon gewaltige Zahlen, die er hinterlassen hat. Und er hat insbesondere eben auch mit seinem damaligen Einstieg bei AOL den Konzern mit viel Geld versorgt, denn dieses Zocken an der Börse, das waren ja in etwa die Anteilskäufe und wieder Verkäufe, die Milliarden in die Bertelsmann-Kasse gespült haben, und davon hat der Konzern in den letzten Jahren gut gelebt.

    Engels: Einige Beobachter rechnen ja nun auch damit, dass möglicherweise auch die Zahlen von Bertelsmann in letzter Zeit vielleicht nicht mehr so gestimmt haben. Nach der Insolvenz der Kirchgruppe und nachdem viele Zeitungsverlage rote Zahlen schreiben, kann es sein, dass da noch einiges auf Bertelsmann zukommt?

    Röper: Ja, das war schon in den letzten Jahren ablesbar. Die traditionellen Bereiche von Bertelsmann haben Probleme gehabt. Dazu gehörten die wissenschaftlichen Verlage zeitweilig, dazu gehörten lange Zeit die Buchverlage, dazu gehörte noch das Musikgeschäft über BMG. Also es ist nicht alles gülden, aber die Probleme bei Bertelsmann wurden eben kaschiert über die Milliardenzahlungen, die man für den Verkauf der AOL-Anteile erlöst hat. Nur: Diese sprudelnde Quelle versiebt in diesem Jahr, das heißt die letzten Anteile sind in diesem Jahr veräußert worden. Das hat noch einmal zu außergewöhnlichen Erträgen geführt. Im nächsten Jahr wird man im operativen Geschäft diese Erlöse erzielen müssen, und da ist Bertelsmann sicherlich nicht so aufgestellt, wie man das von sich selbst fordert. Aber insgesamt ist der Konzern sicherlich gesund.

    Engels: Kommen wir nun auf einen anderen Komplex im Medienbereich zu sprechen, der in der vergangenen Woche für Schlagzeilen sorgte. Da geht es um die Übernahme des Kirchkonzerns, und da wurde ein neues Bieterkonsortium bekannt, nämlich dass nun Springer-Verlag, Bauer-Verlag und der Spiegel-Verlag gemeinsam mit der Hypo-Vereinsbank bei Kirch einsteigen könnten. Am Spiegel-Verlag wiederum ist der Gruner & Jahr Verlag beteiligt, und Gruner & Jahr ist eine Bertelsmann-Tochter. Hängt das vielleicht doch alles miteinander zusammen?

    Röper: Ich denke nicht. Hier hat der Spiegel ganz offensichtlich eigenhändig agiert, also unabhängig von seinem Mitgesellschafter Gruner & Jahr. Man muss bei diesem angedachten Deal, bei diesem Quartett von Bietern für die alte Kirchmedia auch bedenken, dass der Spiegel wohl nur mit etwa 1 Prozent an diesem in der Tat etwas merkwürdigen Quartett beteiligt sein wird. Dass der Spiegel mal zusammen agieren würde mit dem Dauerfeind, mit dem publizistischen Feind, insbesondere Springer, aber auch dem sehr konservativen Haus Bauer, ist schon verwunderlich, aber hier einen Zusammenhang mit Bertelsmann herzustellen, denke ich, wird nicht funktionieren.

    Engels: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio