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Vorübergehender Schwächeanfall

Geophysik. - Seit 1837 Karl Friedrich Gauss die ersten Messungen der Feldstärke des Magnetfelds in Göttingen unternahm, wird rund um die Welt das Magnetfeld gemessen. Davor wird es schwierig. Dennoch kann man die Aufzeichnungen vor allem von Schiffen mithilfe von mathematischen Verfahren auswerten. In der aktuellen "Science" steht, wie das geht, und welche Schlüsse man daraus ziehen kann.

Von Dagmar Röhrlich |
    Seit Karl Friedrich Gauss 1837 die ersten Messungen durchgeführt hat, nimmt die Stärke des Magnetfelds stetig ab. Sie ist um etwa ein Zehntel gefallen. Heute wissen wir, dass sich das Erdmagnetfeld, statistisch gesehen, so alle 300.000 Jahre umkehrt. Und weil es das letzte Mal vor 800.000 Jahren geschehen ist, sind wir längst überfällig. Also rätseln die Geophysiker, ob das, was wir messen, den nächsten Umschlag ankündigt. Dass dann die Kompassnadel nach Süden zeigt und nicht mehr nach Norden, wäre wohl unser geringstes Problem. Denn während des Übergangs ist die Erde dem Sonnenwind und damit einer massiven Strahlung schutzlos ausgeliefert. Nur - für verlässliche Prognosen dazu, was passiert, ist die Datenbasis zu schwach.

    "Für die Zeit vor den präzisen Messungen müssen wir uns auf indirekte Untersuchung der magnetischen Eigenschaften von Tontöpfen oder Ziegeln verlassen. Darin stecken Minerale, die die Richtung des Magnetfelds zeigen, wie es zu dem Zeitpunkt des Brennens war. Oder wir nehmen erstarrte Lavaflüsse, deren Entstehung wir kennen. Die Messungen zeigen, dass das Erdmagnetfeld vor 2000 Jahren etwa doppelt so stark war wie das heutige."

    David Gubbins von der University of Leeds. Seit dem Hoch der Römerzeit hat es eine sogenannte Exkursion gegeben. Dabei kehrt sich das Magnetfeld nicht um, sondern "schaltet" sich kurz ab, um dann wieder in der alten Ausrichtung anzuspringen. Solche Exkursionen scheinen recht häufig zu sein, seit der letzten Umkehr gab es zehn oder 20. Es sieht aus, als würde das Erdmagnetfeld Achterbahn fahren. Gubbins:

    "”Die Langzeitveränderungen im Magnetfeld über die vergangene Million Jahre zeigen ein stetes Auf und Ab.""

    Stehen wir jetzt gerade eher vor einer vollständigen Umkehr - oder vor einer kurzfristigen Exkursion? Um diese Frage zu erhellen, wollten die Geophysiker eine bislang nicht berücksichtigte Quelle nutzen: die Kompassmessungen von Segelschiffen, die bis 1595 zurückreichen. Gubbins:

    "”Diese Seeleute waren sehr gut, schließlich hing ihr Leben davon ab. Typischerweise lagen die Fehler in ihren Messungen bei einem halben Grad.""

    Leider war die Navigation vor der Erfindung genauer Schiffsuhren im Jahr 1780 schwierig. Und selbst die genaueste Kompassablesung verrät nicht die absolute Stärke des Magnetfelds. Weil die Fehlerbalken insgesamt größer waren als die erwarteten Veränderungen, blieben die Messungen der Segelschiffe ungenutzt. Das ist jetzt anders. Gubbins:

    "”Wir haben ein mathematisches Modell des Erdmagnetfelds entwickelt, das im Grunde so wie das in den GPS-Empfängern zur Positionsbestimmung funktioniert. Diese Empfänger können den magnetischen Nordpol und den geographischen ineinander umrechnen. Wir machen es ganz ähnlich, nur, dass wir das Jahr und den Ort einer Messung einspeisen, um dann das damalige Magnetfeld zu berechnen.""

    So lassen sich die alten Messungen auf einen Bezugspunkt umrechnen, die Fehler reduzieren - und es gibt eine sinnvolle Abschätzung der Magnetfeldstärke. Gubbins:

    "”Wir haben erwartet, die Abnahme des Erdmagnetfelds auch in den vergangenen Jahrhunderten zu sehen. Zu unserer Überraschung war das nicht so: Vielmehr blieb zwischen dem 16. und dem frühen 19. Jahrhundert die Stärke des Magnetfelds konstant. Es ist also in der Zeit um 1840 etwas passiert, das den derzeitigen Absturz ausgelöst hat.""

    Diese scharfen Veränderungen in der Feldstärke, wie wir sie seit anderthalb Jahrhunderten messen, scheinen typisch für das Geschehen vor einer Exkursion zu sein - es sieht also mehr nach einem neuen Tal in der Achterbahn aus als nach einer kompletten Umkehr. Also sollten wir unsere Kompasse nicht wegwerfen - vor allem, weil die Feldstärke heute immer noch sehr viel höher ist, als vor den Umschwüngen der Vergangenheit.