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Vorwärts in die Vergangenheit

Seit einigen Jahren hat die allgemeine Nostalgiewelle im Pop mit Genres wie "Chill Wave" oder "Hauntology"auch die elektronische Musik erfasst. Einer der kreativsten Köpfe dieser Soundschule ist der New Yorker Daniel Lopatin. Als Oneothrix Point Never hat er nun ein neues Album vorgelegt.

Von Christian Lehner | 05.10.2013
    "Ich befasse mich nicht mit Musiktheorie. Meine Mutter hat mir ein bisschen Unterricht in Harmonielehre gegeben. Aber das ist alles. Ich arbeite eher intuitiv. Wenn man lange genug in sich hineinhört, dann wird man auch so fündig."

    Daniel Lopatin, 31 Jahre alt, Sohn russischer Einwanderer, Labelbetreiber und Produzent aus Brooklyn. Sein Künstlername: Oneothrix Point Never. Glaubt man der Fachpresse, so ist Lopatin derzeit der Herr der Schaltkreise.

    Daniel Lopatin ist mit Videospielen, Heimcomputer und Mobiltelefon aufgewachsen. Die digitale Sozialisation spiegelt sich in seiner Musik. Technologie ist für ihn jedoch kein Fetisch.

    "Ich versuche stets, ein wahrhaftiges Abbild der Welt zu schaffen. Maschinen, wie etwa ein Sequencer, geben bei mir also nicht den Takt vor. Das wäre nicht aufrichtig. Es gibt Dinge, die geordnet sind, die wir kontrollieren können und dann gibt es Ökosysteme und unkontrollierbares Chaos. Die Spannung dazwischen. Das ist es, was mich interessiert."

    Die Musik von Oneothrix Point Never setzt sich aus Versatzstücken der Vergangenheit zusammen. Sounds und Samples werden verfremdet. Ihre Herkunft bleibt aber weiterhin erkennbar. So klingt das Neue und Abstrakte seltsam vertraut. "Replica" heißt sein bisher erfolgreichstes Album. Darauf experimentierte Lopatin mit alten Werbeclips, die wie Untote durch die Tracks geistern.

    Auf "R Plus Seven", dem neuen Album, ist Lopatin der Werbung treu geblieben. Doch statt Ausschnitte alter Clips zu verwenden, hat er mit Audioprogrammen herumexperimentiert, wie sie bei der Herstellung von Radio- und Fernsehspots zum Einsatz kommen. Die Software verwandelt Text in Wortansagen.

    "Die Werbeindustrie verwendet diese Programme, weil die Stimmen mittlerweile sehr echt klingen. Es ist natürlich auch billiger, Software zu verwenden als Schauspieler und Sprecher. Ich habe nun diese künstlichen Stimmen mit Sätzen gefüttert. Anschließend habe ich diese Sätze auseinandergenommen, sodass nur noch Laute oder einzelne Worte übrig geblieben sind. Auf diese Weise haben wir Massen von Information zu ganz kleinen Einheiten abstrahiert."

    "Hauntology" oder "Chillwave" sind Genrebriffe für elektronische Musik, die sich mit der eigenen Vergangenheit beschäftigt. Alte Synthesizer, Drumcomputer und Keyboards werden aus der Mottenkiste geholt und von jungen Musikern gespielt. Auch Oneothrix Point Never bewegt sich in diesem Spannungfeld der Retrosounds. Das Besondere an seiner Musik: Trotz Vintagefaktor klingt sie nie nostalgisch.

    "Ich fühle mich frei, wenn ich mich mit allen Dingen auseinandersetze, die mich gerade umgeben. Das klingt vielleicht seltsam, aber es ist so. Alles andere wäre unaufrichtig. Ich hasse es zum Beispiel, im eigenen Geschmack gefangen zu sein. Das Ausklinken aus der Realität interessiert mich künstlerisch also überhaupt nicht."

    Oneothrix Point Never’s neues Album "R Plus Seven” ist auf dem renomierten Label WARP Records erschienen.