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"Vorwürfe gegen Bierdel eine Heuchelei"

Liminski: Jemand der Cap Anamur, die Hilfsorganisation, seit langem gut kennt, das ist der Kölner Schriftsteller Günter Wallraff, mit ihm bin ich verbunden. Guten Tag, Herr Wallraff.

    Wallraff: Ja, guten Tag.

    Liminski: Man kann sich ja ausmalen, wie Flüchtlingsorganisationen jetzt ziemlich entsetzt sind über die Auseinandersetzungen bei Cap Anamur, Sie auch?

    Wallraff: Also, ich finde das doch eine ziemliche Heuchelei. Da kommen jetzt andere zum Teil auch anonym und versuchen da, sich zu profilieren. Man muss sehen, dass Cap Anamur und ich kenne nun beide, den Rupert Neudeck, den ich sehr schätze und den Elias Bierdel, den ich auch in seiner Art respektiere, und jetzt kommen andere und wollen sich auf deren Kosten profilieren, versuchen deren Besonderheit und das muss man doch nach wie vor auch sehen, Cap Anamur ist eine der wenigen Organisation, die ohne staatliche Gelder auskommen und die wirklich bisher vorbildlich und entbehrungsreich Aktionen gestartet haben und Hilfsprojekte am Laufen haben, wo Menschen, ich würde mal sagen, 95 Prozent kommen unmittelbar dem eigentlichen Zweck zu. Ich finde es sehr tragisch, dass nun diese, wie ich finde, viel zu persönliche Auseinandersetzung von zwei einzigartigen Menschen so öffentlich ausgetragen wird. Ich kenne beide und das sind halt auch unterschiedliche Temperamente.

    Liminski: Haben Sie dafür eine Erklärung, warum die beiden so aneinander geraten?

    Wallraff: Ich finde, in so einer aufgeladenen Situation, das jetzt öffentlich und auch noch beleidigend zu führen, das schadet doch allen Beteiligten und vor allem auch dem gemeinsamen Anliegen, das ja immer noch besteht, nämlich Menschen in äußerster Not zu helfen. Ich glaube, dass der Rupert Neudeck, der für mich fast ein Heiliger ist, so wie ich ihn auch in Afghanistan erlebt habe mehrfach, wo ich seinerzeit eine Schule aus einer Lebensversicherung gestiftet habe. Der Rupert Neudeck vergleicht das mit seiner Zeit, als er Cap Anamur gründete. Und ich finde, der Elias Bierdel ist ja auch in die Ursprünge zurückgekehrt oder hat es zumindest versucht. Aber damals war doch eine ganz andere Situation. Die boatpeople, die der Rupert Neudeck seinerzeit auffischte als Menschenfischer, das waren Leute aus dem Kommunismus, das durfte man noch. Und da war das noch nicht das große Flüchtlingsproblem und die Festung Europa gab es in der Situation noch gar nicht. Das heißt, damals wurde er auch natürlich mit viel persönlichem Einsatz, hat er es geschafft, die Menschen hier bei unterschiedlichen Politikern, mit offenen Armen empfangen zu lassen. Heute ist das doch gar nicht mehr möglich. Von daher ist es auch finde ich, abwegig zu meinen, dass hier in Lübeck oder Hamburg das Schiff hätte anlegen können und die hier mit Kontakten zu irgendwelchen Politikern dann doch ein Bleiberecht bekommen hätten. Dann hätte man doch noch viel mehr ihn angegriffen. Und der Schily wäre doch der Letzte, der hier nachgegeben hätte. Der hat den Schulterschluss mit seinen Berlusconikollegen längst geschlossen, den interessiert es doch gar nicht, wenn hier Menschen ständig, täglich kann man ja fast sagen, ertrinken und das Meer ein einziger Friedhof geworden ist.

    Liminski: Aber muss Bierdel sich teilweise fragen lassen, muss Elias Bierdel sich teilweise fragen lassen, Cap Anamur, ein Medienspektakel daraus gemacht zu haben?

    Wallraff: Also, Entschuldigung, jemand, der ein so großes Risiko auf sich nimmt, der macht auch Fehler. Das ist erst mal zwangsläufig so. Das war auch eine Aktion, wie sie bisher in der Form noch nicht stattgefunden hat. Aber er hat es doch geschafft, dass darüber wieder diskutiert wird, dass auch jetzt wieder in den Blickpunkt kommt wie hier ständig tausende Menschen bisher bei ihren verzweifelten Bemühungen aus ihren Ländern rauszukommen wo sie der sichere Tod erwartet durch Verhungern, durch keinerlei Perspektive, dass das jetzt überhaupt wieder diskutiert wird.

    Liminski: Und da fragt sich Bierdel vermutlich, warum fällt mir ausgerechnet Rupert Neudeck in den Rücken bei dieser Aktion?

    Wallraff: Ich finde, die müssen an einen Tisch kommen und die müssen sich aussprechen. Und der Elias war lange Zeit jetzt auch, hatte keinen Kontakt mehr und das sind zum Teil sehr persönliche Gründe. Und dem Elias vorzuwerfen, dass er hier Schleusung betrieben hätte, das ist ja geradezu absurd. Hätte er die nicht aufgenommen, die 38 Flüchtlinge, wären sie unter Umständen ertrunken oder wären dann wirklich irgendwo an Land gegangen, von Behörden nicht registriert. Er hat das Gegenteil bewirkt, dass sie in ein ordentliches, was heißt ein ordentliches, immerhin in ein Asylverfahren reinkommen. Und ich finde, man sollte jetzt erst recht daraufhin orientieren, Cap Anamur zu unterstützen und jetzt erst recht den Spendengelder zukommen zu lassen und auch Sorge zu tragen, dass die Menschen, die jetzt durch eine kalte menschenfeindliche Bürokratie wieder zurückverfrachtet werden, dass man in deren Heimatregionen sie weiter betreut und dass man an dem Thema dran bleibt und dass man jetzt sich nicht einschüchtern lässt. Weil alle, die jetzt heuchlerisch darüber herfallen, die haben doch ganz anderes im Sinn. Die möchten hier die Schotten dicht machen. Denen ist es egal wie viele Menschen hier ertrinken oder erst oder auch in die Abschiebelager kommen und da ein ganz erbärmliches Schicksal erleiden. Diesen Menschen muss Öffentlichkeit zukommen, Zuwendung entgegen gebracht werden. Und alles was jetzt als Scheindiskussion stattfindet, ist eine Grunde genommen Verlagerung des eigentlichen Problems.

    Liminski: Das war der Kölner Schriftsteller Günter Wallraff bei uns heute im Deutschlandfunk zur Auseinandersetzung im Haus Cap Anamur. Ich bedanke mich und auf Wiederhören.