Freitag, 19. April 2024

Archiv

Vorwürfe gegen Dieter Wedel
SR öffnet zwecks Aufklärung seine Archive

Regisseur Dieter Wedel soll in den 80er-Jahren mehrere Schauspielerinnen sexuell bedrängt haben, die an Produktionen des Saarländischen Rundfunks beteiligt waren. "Es gibt Indizien dafür, dass auch die Intendanz Bescheid wusste", sagte der jetzige SR-Intendant Thomas Kleist im Dlf.

Thomas Kleist im Gespräch mit Bettina Köster | 25.01.2018
    Thomas Kleist, Intendant des Saarländischen Rundfunks
    SR-Intendant Thomas Kleist hat eine "Taskforce" zur Aufklärung der Vorwürfe einberufen. (dpa / Oliver Dietz )
    Bettina Köster: Anfang Januar kam das "Zeit-Magazin" mit einer aufwühlenden Geschichte heraus. Darin wurden dem berühmten Regisseur Dieter Wedel vorgeworfen, dass er während seiner Filmproduktionen Schauspielerinnen sexuell belästigt und missbraucht habe. Die beiden betroffenen Darstellerinnen hatten gegenüber der "Zeit" eidesstattliche Versicherungen abgelegt. Und dann kam die Medienmaschinerie in Gang: Der "Zeit" wurde eine Hexenjagd unterstellt – sie stelle Dieter Wedel an den Pranger. Gleichzeitig wurden Ermittlungsverfahren gegen Wedel eingeleitet, der bislang alles abstreitet auch per eidesstattlicher Versicherung. Er ist als Intendant der Bad Hersfelder Festspiele zurückgetreten und liegt mit Herzproblemen im Krankenhaus. Sein Anwalt spricht von grob unzulässiger Verdachtsberichterstattung.
    Im heutigen Dossier der "Zeit" werden die Vorwürfe gegen Wedel noch mal vertieft dargestellt. Da heißt es beispielsweise: Die damalige Telefilm Saar eine Tochter des Saarländischen Rundfunks habe von dem Vergewaltigungsvorwurf der Schauspielerin Esther Gemsch gewusst, aber nichts zur Aufklärung unternommen. Thomas Kleist ist heute Intendant - waren es damals Ende der 80er- Jahre nicht Intendant. Ich fragte ihn, ob er zusammengezuckt ist, als er davon gehört hat.
    Thomas Kleist: Ich war sehr erschrocken und betroffen, und zwar so betroffen, dass für mich vom ersten Augenblick der Kenntnisnahme der Vorwürfe klar war, da musst du was tun, da musst du Verantwortung übernehmen, auch wenn die Sache fast 40 Jahre zurückliegt, wobei Verantwortung übernehmen heißt gar nicht mal Richter spielen und in Kategorien von Schuld und Sühne denken, sondern vielmehr Aufklärung zu betreiben. Wir haben ja hier die Sondersituation, dass es um Vorgänge geht, die vielleicht nach unserem rechtsstaatlichen Prinzip der Verjährung strafrechtlich keine Rolle mehr spielt, aber die ist ja nicht ungeschehen zu machen, auch wenn sie verjährt ist, und das war für mich dann der Antrieb zu sagen, wir müssen helfen, den Sachverhalt aufzuklären, ich habe die Archive geöffnet, und wir müssen mitwirken daran, dass wir sowas, man kann nicht sagen: unmöglich macht für die Zukunft, aber solche Vorkommnisse doch erschwert.
    "Task Force eingerichtet, um den Auftrag zu geben, Zeitzeugen zu suchen"
    Köster: Es geht ja um den Dreh der Vorabendserie "Bretter, die die Welt bedeuten", die von Telefilm Saar damals durchgeführt wurde. Die SR-Tochter soll gewusst haben von einem ärztlichen Gutachten, wonach Esther Gemsch wegen ihrer Verletzungen nicht weiterspielen durfte. Ihr Anwalt kündigte außerdem das Engagement. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Verantwortlichen damals der Sache nicht nachgegangen sind?
    Kleist: Nein, die Erklärung habe ich noch nicht, und deshalb müssen wir ja eben aufklären, weil es eigentlich kaum erklärbar ist.
    Köster: Aber können Archive dazu was sagen?
    Kleist: Archive können ja Hinweise geben. Deshalb haben wir die Archive geöffnet, haben Gott sei Dank was gefunden, nämlich 13 Aktenordner, die genau diese Hinweise erhalten, und es wird vielleicht auch nur Indizienketten geben, und dann muss man vielleicht Erklärungsversuche haben. Wir haben uns aber nicht nur auf die Aktenlage verlassen, sondern ich habe in Auftrag gegeben, eine kleine Task Force eingerichtet, um den Auftrag zu geben, Zeitzeugen zu suchen, also die noch leben, die nicht mehr in den Diensten der Telefilm oder des Saarländischen Rundfunks sind, aber die uns vielleicht helfen können, den Sachverhalt aufzuklären.
    Und ich habe sofort die beiden Frauen, die betroffenen, eingeladen, weil ich mit denen das mal erörtern möchte, um mich in die Zeit von damals hineinzuversetzen. Haben sie sich geschämt, wollten sie gar nicht, dass es an die Öffentlichkeit kommt, wieso ist es nie zu den Strafverfolgungsbehörden gelangt, wieso wurde keine Anzeige gemacht, und wie hat man das auf der Seite des Saarländischen Rundfunks gesehen, hat man einfach nur weggeguckt. Es gibt ein Indiz in den Akten, wo man draus lesen kann, dass man das empfunden hat als deren Privatsache, also heute, aus meiner Sicht, undenkbar ein solches Verhalten des Wegschauen und Geschehenlassen, und deshalb ist Aufklärung wichtig, wir müssen Licht ins Dunkel bringen, und dann werden wir den Sachverhalt bewerten und die Frage stellen, welche Konsequenzen müssen wir ziehen.
    "Es gibt Indizien dafür, dass auch die Intendanz Bescheid wusste"
    Köster: Die Hauptdarstellerin wurde ja einfach ausgetauscht. Wenn man das im Nachhinein so liest, dann hört sich das ja fast ein bisschen makaber an.
    Kleist: Ja, es hört sich in der Tat makaber an, eine Schauspielerin auszutauschen, die offensichtlich schwer verletzt ausgeschieden ist, und ich glaube, makaber ist der richtige Begriff. Und das macht ja auch so betroffen, was da mit Menschen gemacht wurde, wenn es denn so war, und wie das dann auch von den Verantwortlichen bewertet wurde.
    Vielleicht ist es auch – Sie haben ja eben gesagt, es war eine Produktion der Telefilm, das ist richtig, im Auftrag des Saarländischen Rundfunks –, es gibt Indizien dafür, dass auch die Intendanz Bescheid wusste, aber auch das weiß ich noch nicht genau. Jedenfalls gab es einen Revisionsbericht, das heißt, die Serie ist damals offensichtlich finanziell aus dem Ruder geraten und deshalb erst sozusagen dem Saarländischen Rundfunk aufgefallen. Man hat dann einen Revisionsbericht gemacht, und in diesem Revisionsbericht wurde dann die Frage gestellt, wieso ist die Schauspielerin ausgefallen, und da kam es dann zu diesen Schriftsätzen. Also es war, so makaber es sich anhört, es war eigentlich ein Kostenfaktor offensichtlich zunächst, und welche Konsequenzen man daraus gezogen hat, ich weiß es nicht. Ich kann aber auch heute noch nicht verurteilen, was damals passiert beziehungsweise nicht geschehen ist, weil ich auch da noch Sachverhaltsaufklärung brauche. Aber es gibt Indizien dafür, dass das Verhalten nicht korrekt war.
    Köster: Sie haben eben von einer Task Force gesprochen. Wird die auch für andere Sender eingesetzt, weil –
    Kleist: Nein.
    Köster: – Herr Wedel hat ja auch für andere ARD-Sender und auch für das ZDF produziert?
    Kleist: Nein, diese Task Force brauche ich für uns. Die besteht aus drei Personen: Das ist der Justiziar, der Kommunikationschef und die Leiterin der Intendanz, die das Verhalten des SR als Unternehmen prüfen.
    Dann habe ich auch junge Journalistinnen in einem Team, die einfach journalistisch unterwegs sind, die haben aber keinen konkreten Auftrag. Die machen ihr journalistisches Geschäft.
    Und ich habe ein Drittes gemacht, und das ist auch ein wichtiger Punkt – wenn man das damals auch gemacht hätte –, ich habe nämlich meine Kollegen sofort informiert und habe den Punkt angemeldet als Tagesordnungspunkt für die nächste Intendantenkonferenz am 5. und 6. Februar in München, damit wir gemeinsam überlegen, wie, was können wir heute tun, dass systemisch jedenfalls sowas erschwert wird, wenn nicht gar unmöglich gemacht wird.
    Köster: Trotzdem kratzt diese Geschichte natürlich erheblich mal wieder am öffentlich-rechtlichen Image. Haben Sie eine Idee, wie Sie es wieder aufpolieren können?
    Kleist: Nein, ich sehe es nicht so, dass es am öffentlich-rechtlichen Image - weil es gab ja damals im Film, im Fernsehfilm nur öffentlich-rechtlich, deshalb können auch keine Privaten betroffen gewesen sein. Sondern es ist etwas Systemisches.
    Ich habe mal einen schönen Satz von Martin Walser gelernt: Macht ist in dem Maße problematisch, wie sie unkontrollierbar ist - egal, wer sie ausübt. Das ist ein kluger Satz, und der zeigt mir hier konkret, dass der Regisseur, der in der Kritik steht, ja nicht nur Regisseur war, er war auch wohl Drehbuchautor, und er war über seine Firma "Active Film" Produzent. Und er hat wohl, was die Aktenlage bisher hergibt, alleine gecastet. Daran sieht man schon, das ist also wie in jedem anderen Unternehmen, Vier-Augen-Prinzip: mehr Leute dabei sein, nicht alles in eine Hand geben. Das sind ja auch schon Maßnahmen, wie man Macht in ihrer Konzentration verhindern kann. Da könnte man vielleicht daraus lernen, aber ich habe noch keine abschließende Meinung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.