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Vorzeigeprojekt deutsch-polnische Kulturarbeit

Fischer: Welches Ihrer Projekte steht denn für diese herausragende Kooperation zwischen Deutschland und Polen?

Klaus Ziemer, Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Warschau, im Gespräch |
    Ziemer: Nun, wir haben eine ganze Reihe von Projekten. Alle unserer zehn wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen ein Projekt zur Geschichte Polens durch, vom Mittelalter bis in die unmittelbare Nachkriegszeit. Die Tatsache, dass auf beiden Seiten, in Polen wie in Deutschland, in den Gesellschaften, tausend Jahre deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte reduziert werden auf den zweiten Weltkrieg, legt allerdings nahe, dass wir uns vor allem mit dieser Zeit befassen. Wir hatten im vergangenen Herbst eine Tagung, die wir gemeinsam mit dem polnischen Institut des nationalen Gedenkens organisiert haben zu 60 Jahren Aktion Reinhardt, Judenvernichtung im Generalgouvernement, und haben dort gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Israel, Nordamerika und Westeuropa Fragen des Holocausts im Generalgouvernement diskutiert. Wobei besonders interessant war die Begegnung mehrerer Forschergenerationen: der Mittdreißiger, die die Sachverhalte aus den Archiven kennen, und der Angehörigen der Erlebnisgeneration wie Prof. Gutman aus Israel, der das Warschauer Ghetto überlebt hat.

    Fischer: Es gibt aber doch immer wieder Themen, Herr Ziemer, bei denen der Kontakt mit den östlichen Nachbarländern, um es vorsichtig auszudrücken, schwieriger wird, ob das die Benes-Dekrete sind, das Thema der Vertreibung mit Tschechien, oder die Beutekunstgespräche mit Russland. Gibt es keinerlei weiße Flecken mehr auf dieser beiderseits erarbeiteten deutsch-polnischen historischen Landkarte?

    Ziemer: Es gibt sie noch. Ich selber war sehr erstaunt, vor vier Jahren beim Jahrestag 60 Jahre Beginn des zweiten Weltkriegs festzustellen, wie viele weiße Flecken selbst der so genannte Septemberfeldzug, das heißt der deutsche Überfall auf Polen, noch aufzuweisen hat. Und da setzen wir an und untersuchen diese Zeit. Der Unterschied zu früher ist nur: Es gibt keine Tabus. Und auch das Thema Vertreibung wird in Polen breit behandelt seit gut zehn Jahren.

    Fischer: Sie stellen ja auch fest, dass mit einer solchen länderübergreifenden Zusammenarbeit sogar ein Mentalitätswechsel im Blick auf die Geschichte stattfindet, also etwa wenn es um das gemeinsame Kulturerbe geht.

    Ziemer: Das ist ebenfalls auf mehreren Ebenen festzustellen. Zum einen bei den betroffenen Forschern. So sind etwa deutsche und polnische Kunsthistoriker, die auch seit über dreißig Jahren eng zusammen gearbeitet haben, zu der Erkenntnis gekommen, dass Baudenkmäler, die sich etwa im östlichen Mitteleuropa befinden heute vielfach in einem anderen Staat stehen als dem, in dem sie entstanden sind, weil sich die Grenzen im Laufe der Jahrhunderte teilweise mehrfach verändert haben, so dass man kaum davon sprechen kann, dass etwas das Kulturgut dieser oder jener Nation wäre. Man spricht vielmehr vom gemeinsamen Kulturerbe, untersucht, forscht und pflegt das. Es kommt aber auch hinzu, dass in den früher deutschen und heute polnischen Gebieten die junge Generation sich dort jetzt wirklich zu Hause fühlen will. Und dazu gehört auch die authentische Geschichte, und diese Geschichte ist über Jahrhunderte deutsch geprägt gewesen. Vielleicht da ein Beispiel: Vor vier Jahren war in Breslau Jahrestag der polnischen Historiker, und in Anwesenheit des polnischen Staatspräsidenten hat der Parlamentspräsident von Niederschlesien gesagt: "Ich fordere Sie auf, die Geschichte Niederschlesiens neu zu schreiben. Alles, was ich in der Schule gelernt habe, war gelogen." Das zeigt, wie ein Mentalitätswandel hier eingesetzt hat, dass man sich bemüht um eine authentische Geschichtsdarstellung. Und auch der Dialog mit den deutschen Partnern wird hierzu geführt.

    Fischer: Haben Sie denn an Christina Weiss eine Bitte, einen Wunsch oder vielleicht sogar eine Empfehlung für ihre weiteren Gespräche mit auf den Weg geben können?

    Ziemer: Ja, ich habe ihr gesagt, dass wir einerseits eine sehr erfreuliche Bilanz des Dialogs unter den Historikern und generell des Interesses beiderseits bei den Eliten feststellen können, dass aber andererseits gerade in Deutschland bezüglich Polen weithin Desinteresse und teilweise erschreckende Unkenntnis festzustellen ist. Polen ist nach Frankreich unser wichtigstes Nachbarland, und wir haben da noch einiges aufzuholen.

    Fischer: Das war Klaus Ziemer, der Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Warschau.

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