Lange: Herr Platzeck, können Sie noch gut schlafen oder bereitet Ihnen diese vorgezogene Steuerreform doch schon Albträume?
Platzeck: Na ja, wir hatten vorher schon Anlas zu allerhand Albträumen was die finanzielle Lage angeht, und da steht Brandenburg nicht allein. Aber was jetzt die Steuerreform betrifft muss ich sagen, da gibt es schon zwei Herzen in meiner Brust. Auf der einen Seite ist es ja nicht nur so, dass der Bund bestellt und die Länder nichts davon haben, sondern wir hoffen, ich hoffe auch, dass diese vorgezogene Steuerreform im Verbund mit anderen Schritten endlich dazu führt, dass der stotternde Motor wieder rund läuft und richtig anzieht. Davon hätten ja letztlich auch wir Länder und die Kommunen etwas. Auf der anderen Seite ist es so, dass unser gerade entstehender Haushalt 2004 schon ohne die erwarteten Minderungen durch die Steuerreform im nächsten Jahr an der Verfassungsgrenze genäht ist, trotz einer Einsparung, wie wir sie noch nie im Lande hatten. 600 Millionen Euro etwa, das sind Unsummen für so einen relativ kleinen Haushalt, die wir jetzt schon wieder herausschneiden, nachdem wir im letzten Jahr schon viel herausgeschnitten haben. Das heißt wir kriegen hier keine Luft mehr. Wir können auch was jetzt noch kommt im nächsten Jahr nicht mehr durch zusätzliche Einsparungen darstellen. Andererseits haben wir uns fest vorgenommen, die Verfassungsgrenze zu halten. Da klemmt's und da ist die Schwierigkeit und da kommt auch das einzige Bedenken her, aber es ist natürlich ein schwerwiegendes, weil das können wir nicht mehr stemmen. Da sind wir im Gespräch mit der Bundesregierung. Die beginnen jetzt gerade ganz vorsichtig. Hier muss etwas passieren.
Lange: Haben Sie denn schon eine ungefähre Ahnung, wie die Vorschläge der Regierung zur Gegenfinanzierung aussehen?
Platzeck: Das ist eben genau einer der Punkte wo wir hoffen, dass dort der Schleier weggezogen wird und wir klarer sehen, denn es gibt ja zwei Dinge. Das eine ist: wir wissen noch nicht genau, was uns die Gegenfinanzierungsmaßnahmen auch auf unserer Ebene bringen bzw. ersparen, wenn man so will. Das ist der eine Punkt und der zweite Punkt ist, dass wir natürlich auch über Kompensation reden müssen für das, was nicht durch die Gegenfinanzierungsmaßnahmen eingespart werden kann. Das ist noch sehr unklar. Ich sage allerdings auf der anderen Seite auch: das muss man, wenn man Realist ist und die Welt mit einigermaßen klarem Blick sieht, sagen. Wenn diese Steuerreformvorziehung nun nicht kommt, dann können wir uns glaube ich alle vorstellen, wie sich das dann ausbleibende Signal auswirken wird. Das führt ja im Umkehrschritt auch wieder zu Mindereinnahmen. Es ist also ein ganz schwieriges Geflecht und ich hoffe sehr, dass Hans Eichel, dass die Bundesregierung Notlagen, die in den Ländern zumindest teilweise wirklich objektiv vorhanden sind, erkennen und dass wir hier zu einem vernünftigen Ergebnis kommen können, was beides ermöglicht.
Lange: Gestern war zu hören, Herr Platzeck, dass die Investitionszulage Ost zwar um zwei Jahre bis 2006 verlängert, aber wahrscheinlich abgeschmolzen werden soll. Die neuen Länder werden die Steuerreform danach wohl mitbezahlen.
Platzeck: Das steht zumindest so am Horizont zu befürchten und das ist ja auch in einer gewissen Weise nicht völlig schräg, wenn man sagt, dass alle auch einen Teil des Päckchens mittragen müssen. Es muss nur überhaupt noch tragbar sein, und nur darum geht es uns. Wir wollen keine Sonderrechte, wir wollen nichts Außergewöhnliches, sondern für Brandenburg ganz konkret gesagt: wir wollen Möglichkeiten, wenigstens einen verfassungsgemäßen Haushalt aufzustellen, denn von anderen Wunschträumen, die alle mal sinnvoll gewesen sind, sind wir weit entfernt. Wir hatten in der mittelfristigen Finanzplanung angedacht, die Nettoneuverschuldung in diesem und im nächsten Jahr fast auf null zu fahren. Statt dessen nehmen wir Kredite auf, die wie gesagt schon die Verfassungsgrenze schrammen. Diesen völligen Paradigmenwechsel darf man jetzt aber nicht noch weiter überziehen. Dann bricht hier mehr zusammen als nur eine Verfassungsgrenze im Haushalt.
Lange: Jetzt fällt die vorgezogene Stufe am 1. Januar ja zusammen mit einer nachgeholten Stufe, die wegen der Flutkatastrophe vor einem Jahr verschoben wurde. Ein Volumen von sieben Milliarden Euro, das wie wir heute wissen nicht vollständig verbraucht wurde. Was ist denn davon übrig geblieben und wo ist das hingegangen?
Platzeck: Auf jeden Fall ist eine Menge - das können Sie in Sachsen, in Sachsen-Anhalt sehen; dort sind ja die Hauptschäden gewesen - passiert. Das muss man einfach auch positiv anerkennen. Es hat ja sogar so etwas wie einen kleinen Wirtschaftsboom in diesen beiden Bundesländern bedingt durch die Flut gegeben, natürlich insbesondere bedingt durch das Bauwesen, aber das ist nur etwas Temporäres. Es ist aber sehr, sehr viel passiert. Wenn Sie durch die Städte fahren, die sehr in Mitleidenschaft gezogen worden sind, können Sie heute erkennen, dass dort die meisten Schäden schon fast wieder repariert sind. Ich war parallel dazu in Tschechien, in Städten, die dort flutgeschädigt sind, und da können Sie schon gravierende Unterschiede nach demselben Ereignis, was die Länder zur selben Zeit ereilt hat, wahrnehmen.
Lange: Aber es ist viel Geld übrig geblieben. Das stimmt doch?
Platzeck: Wie bitte!
Lange: Es ist doch aber trotzdem einiges Geld übrig geblieben?
Platzeck: Ich kann Ihnen die Summe nicht genau sagen, aber ich glaube nicht, dass es so bemerkenswert viel gewesen ist, dass man jetzt forschen müsste, was damit passiert ist.
Lange: Herr Platzeck, die Verhandlungen gehen jetzt erst richtig los, aber nach dem jetzigen Stand der Dinge: Ihnen ist dann also doch mehr nach Ablehnung und weniger nach Zustimmung im Bundesrat?
Platzeck: Ich möchte gerne zustimmen. Wir möchten gerne zustimmen. Das kann ich auch für die große Koalition sagen. Wir wollen auch, dass dieses Signal kommt, weil es mittel- und langfristig gesehen glaube ich für alle, für Bund, Länder und Gemeinden positive Effekte bringt. Wir müssen aber über die genauen Bedingungen und über den Rahmen, der uns noch Luft zum Atmen lassen muss, in den nächsten Wochen reden und das wird bestimmt ein interessanter Sommer.
Lange: Wo liegt denn die Grenze bei Ihnen, bei der Sie sagen, da kann ich nicht mehr mitmachen: bei den Kürzungen im großen Stil, wenn es den Aufbau Ost trifft, oder bei der kompletten Finanzierung über Schulden?
Platzeck: Da nehmen Sie mir ab, dass das Hemd ein bisschen näher als der Rock ist. Für uns hier in Brandenburg und ich denke auch für die anderen neuen Bundesländer geht es schon darum, dass beim Aufbau Ost zumindest weiterhin so viel passieren muss, dass nicht das fragile Gebilde, was in den letzten Jahren mit viel Unterstützung entstanden ist, aber eben noch sehr fragil ist, jetzt nicht durch Einsparungen in den nächsten Jahren wieder zusammenbricht, weil dann hätten wir mit Zitronen gehandelt. Dann wäre auch das, was wir bisher reingesteckt haben, automatisch entwertet, und das dürfen wir nicht zulassen.
Lange: Herr Platzeck, nun sind Sie bekannt als ein wissenschaftlich ausgebildeter und analytisch denkender Mensch. Was können Sie mit diesem Politikstil in Berlin anfangen, bei dem heute verkündet wird, was man gestern noch unmöglich und unfinanzierbar bezeichnet hat?
Platzeck: Nun leben wir in Zeiten, Herr Lange, da ist manches wie man es sich vorstellt gediegen und ausgereift und langfristig angelegt nicht immer mehr möglich. Wir haben 10, 12 Jahre über Globalisierung philosophiert und akademisch gesprochen; jetzt ist sie einfach unter uns, jetzt ist sie da. Die Abhängigkeiten sind enger und direkter geworden und man kann das an so einem Datum wie dem 11. September ja festmachen, was das dann für Wirkungen hat. Das ist teilweise nicht lange vorherplanbar. Auf der anderen Seite - und ich denke da geht der Kern Ihrer Frage hin - würde ich mir für die Zukunft wieder mehr Berechenbarkeit im Rahmen des noch möglichen auf dieser Welt schon wünschen, denn wir sind was Haushaltsaufstellungsverfahren angeht im Moment gebeutelt, weil das was im April noch wahr war im Juni schon nicht mehr so ist und wir teilweise neu anfangen müssen.
Lange: Finden Sie die Art und Weise - zugespitzt gefragt -, wie diese Steuerreform nun vorgezogen wird, wirklich unter dem Strich seriös?
Platzeck: Da muss man die Frage nach der Alternative stellen und ich sehe eigentlich auch kaum eine, um unsere Wirtschaft, um Deutschland wieder auf Vordermann zu bringen. Von daher sage ich noch mal unterstütze ich diesen Schritt. Langfristiger angelegt hätte ich mir manchen diesen Gedanken gewünscht.
Lange: Ich wollte eigentlich mehr auf das Verfahren hinaus. Im Grunde geht das doch so als ob jemand einen Kaufvertrag für ein Haus unterzeichnet und anschließend zur Bank geht und fragt, habt ihr vielleicht eine Idee, wie ich das finanzieren kann.
Platzeck: Herr Lange, das passt aber mit dem zusammen, was ich vorher gesagt habe. Man muss, wenn man kritisch dort rangeht - und wir gehen da auch kritisch heran -, trotzdem die Frage stellen: gibt es eine Alternative zu der Art und Weise. Ich sehe zumindest wenige!
Lange: Ihre SPD-Kollegen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, Heide Simonis und Peer Steinbrück, die lassen schon mal anklingen, dass der Bund hier Punkte sammeln beim Wahlvolk auf Kosten der Länder. Wie sehen Sie das?
Platzeck: Ach wissen Sie, das ist mir immer eine Betrachtungsweise, die trifft aus meiner Sicht nicht den Kern. Im Bund stehen im Moment keine Wahlen an. Der Bund hat 2006 Wahlen. Wir zum Beispiel haben in wenigen Wochen Kommunalwahlen. Das wird schwierig genug hier in Brandenburg. Ein Jahr später haben wir dann Landtagswahlen. Ich sehe es aber nicht unter diesem Aspekt, sondern ich sehe bei allen Schwächen und bei allem, was ich mir vom Verfahren her anders wünschen würde, das ganz klare Bemühen um das Ziel, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Deshalb will ich da andere Dinge im Moment auch nicht vordergründig unterstellen. Dass es immer ein bisschen mitschwingt, auf den Wähler zu gucken, das ist ja in einer parlamentarischen Demokratie nicht völlig unnormal.
Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Matthias Platzeck, der SPD-Ministerpräsident von Brandenburg. - Vielen Dank für das Gespräch, Herr Platzeck, und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio