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"Vox - X Chants from the Christian Arab Tradition" (Zehn Gesänge aus der arabischchristlichen Tradition)

Gregorio Allegri - Miserere Leitung: Johannes Rahe picture: dot.gif label: CCn'C Records Labelcode: 0963 Bestell-Nr.: 00382

Norbert Ely |
    Am Mikrofon begrüßt Sie Norbert Ely. Herzlich willkommen zu einer Musik, die alt, sehr alt ist, und zugleich ganz modern. Alte Musik hat ja nicht zuletzt den Vorteil, daß sie über die historisch-wissenschaftliche Erschließung hinaus die Phantasie beflügeln und ihr Räume eröffnen kann, die im Bereich der strikt notierten europäischen Musik der Neuzeit in diesem Maß verschlossen bleiben müssen. Die Rede soll zunächst sein von einer nicht mehr ganz neuen, aber doch wenig beachteten CD des unermüdlichen Musikers, Dirigenten, Arrangeurs, Forschers und Phantasten Vladimir Ivanoff und seinem Ensemble Vox. * Musikbeispiel: aus "Vox - Ten Chants from the Christian Arab Tradition" - Maria Soweit ein Mariengesang aus dieser CD, die beim Label Erdenklang erschienen ist und die den englischen Titel trägt: "Vox - X Chants from the Christian Arab Tradition - zehn Gesänge aus der arabisch-christlichen Tradition." Solistin dieser Aufnahmen ist die Sängerin Fadia El-Hage, wobei die mehrstimmigen Teile von ihr im Playback-Verfahren eingespielt wurden. Der schon genannte Vladimir Ivanoff bedient hier die Sampler und Synthesizer, Wolfram Nestroy spielt E-Gitarre. Das soll Alte Musik sein? Gemach! Zunächst ein kurzes Wort zu Vladmir Ivanoff. Dieser umfassend gebildete Musiker, der sich auf dem Montserrat so gut auskennt wie in der Grabeskirche, überraschte schon vor Jahren mit einer CD, für die er Musik der inzwischen allseits bekannten Hildegard von Bingen nicht nur mit einem reichhaltigen mittelalterlichen Instrumentarium ausstattete, sondern auch mit Synthesizer-Klängen. Plötzlich gewannen die Kompositionen der gelehrten, aber vermutlich auch ziemlich temperamentvollen Äbtissin eine Vitalität und Energie, die man an heutigen puristischen und manchmal auch blutleeren Realisationen schmerzlich vermißt. Daneben konnte die Idee, den aus der Mathematik geborenen Synthesizer zu verwenden, schon nachdenklich machen, hat doch die Musik des Mittelalters nur zu sehr mit Mathematik zu tun.

    Später brachte Ivanoff mit seinen Ensembles Vox und Sarband CDs mit Musik aus dem Llibre Vermell vom Montserrat heraus oder machte sich auf die musikalische Reise von Spanien nach Sarmakand, und immer faszinierte die reichhaltige Instrumentation mit Isophonen aller Art und natürlich den Saiteninstrumenten wie Al Ud oder Laute und dergleichen. Gewissermaßen als Synthese der vorangegangenen Projekte möchte er seine neue CD mit zehn arabisch-christlichen Gesängen verstanden wissen, wobei er diesmal geradezu asketisch vorgeht, was das Instrumentarium betrifft.

    Die katholischen Kirchen des Orients sind im Bereich der römischen Kirche beinahe vergessen. Gerade mal, daß sie nicht als Sekten gelten. Dabei nahm das Christentum vom Orient aus seinen Weg über die Welt. Die syrischen Gemeinden haben zum Teil in ihren Liturgien jenes Altsyrisch bewahrt, das dem Aramäischen nahe verwandt ist. Jesus selbst hat, wie wir inzwischen wissen, in aramäischer Sprache gepredigt. Aram ist im Hebräischen das Wort für das Hochland landeinwärts von Galiläa, also für Syrien. Die Maroniten und auch die marannischen Christen des mittelalterlichen Spaniens verwendeten zum Beispiel am Ende der Liturgie nicht das lateinische "Ite Missa est", sondern eben das aramäische "Maran atha - Unser Herr komm", was nicht zuletzt auf eine etwas andere messianische Erwartung schließen läßt. Die Gesänge auf dieser Vox-CD sind teils maronitisch, teils arabisch, teils griechisch, teils aus der melchitischen Tradition, manchmal auch gemischt griechisch-arabisch. Die Melodiebildung ist der arabischen maqam verwandt, zeigt zugleich aber auch eine aufschlußreiche Nähe zum gregorianischen, mehr noch zum älteren ambrosianischen Kanon. Sie sind der Karwochen- und Osterliturgie entnommen. Ivanoff gibt dieser modalen Musik, wie sie der Fachmann einordnen würde, mit dem Synthesizer gelegentlich den harmonischen Background, der aus dem jeweiligen Ton entspringt, imaginiert zugleich aber auch phantastische Räume. "Ya Yassou'ou - das Heilige Grab" in Jerushalaim. * Musikbeispiel: aus "Vox - Ten Chants from the Christian Arab Tradition" - Göttliches Grab Das klingt, zugegeben, auch ein bißchen nach New Age. Aber New Age hat ja seine Utopie gerade immer wieder dem Old Age entnommen. Streng genommen ist das also Old Fusion Music oder so etwas Ähnliches. Ist das überhaupt noch andeutungsweise authentisch? Es eignet all dem eine psychologische Authentizität, denn diese Musik ruft, in alten Basiliken gesungen, tatsächlich ganz ähnliche Klangeindrücke hervor, dort nur flüchtiger, wohl auch schwerer vernehmbar. Das innere Ohr war hier der Arrangeur. Entstanden sind die Aufnahmen in einem ganz normalen Studio. Producer waren übrigens Vladimir Ivanoff und Erdenklang-Chef Ulrich Rützel, der aus der katholischen Jugendbewegung kommt.

    Ivanoff weist mit seiner neuen Vox-CD gleichzeitig daraufhin, daß in den orientalischen Kirchen die Frauen trotz des paulinischen Verdikts keineswegs schwiegen, sondern daß es in den dortigen Liturgien den solistischen wie chorischen Frauengesang gab und heute noch gibt.

    Und für alle, die von Mathematik etwas verstehen, was im Altertum als Voraussetzung für die Befähigung zu tieferem Nachdenken galt, sind im Booklet den Trackzahlen die alten spekulativen Zahlenbedeutungen beigefügt: 1 - die Einheit Gottes; 3 - Die Zahl der Ewigkeit Gottes; 7 - die Zahl der Schöpfermacht Gottes und so weiter. Da scheint ganz kurz eine gewisse geistige Verwandtschaft zu Olivier Messiaen auf, der als Komponist des 20.Jahrhunderts in ähnlicher Richtung dachte. "Yawno Tlito - die Taube" aus der maronitischen Tradition, wieder mit Fadia El-Hage, Gesang, Vladimir Ivanoff, Sampler und Synthesizer, und Wolfram Nestroy, E-Gitarre. "Die junge Taube trägt den Adler, der vor den Menschen war, und singt sein Lob: Oh Sohn des Glorreichen, Du wolltest bescheiden wachsen. Du bist wie eine Kithara unter den Stimmen, still wie ein Kind". Ein Text, der allein schon über das Wort "Kithara" Musik in sich birgt, die nur auf beflügelnde Phantasie zu warten scheint. * Musikbeispiel: aus "Vox - Ten Chants from the Christian Arab Tradition" - Die Taube Ganz neu ist ein anderes Projekt von Vladimir Ivanoff. Im Dom von Osnabrück hat er mit dem Osnabrücker Jugendchor und dem Kornettisten Ian Harrison das neunstimmige Miserere von Grigorio Allegri aus dem 16. Jahrhundert aufgenommen. Dieses Miserere wurde für die Sistina in Rom komponiert und erklingt dort alljährlich in der Karwoche. Es war bei Strafe der Exkommunikation verboten, es zu kopieren. Der junge Mozart hörte es in Rom und schrieb die neunstimmige Komposition anschließend aus dem Gedächtnis auf.

    Das Miserere entfaltet, wie es heißt, seine Wirkung nur in der Sixtinischen Kapelle. Ein Teil der Wirkung dürfte in früheren Zeiten, so vermutet Ivanoff, darin bestanden haben, daß über der relativ einfachen harmonischen Struktur reich und virtuos improvisiert wurde. Ivanoff hat nun Metamorphosen für Solo-Kornett hinzugeschrieben, die diese alte Praxis aufzunehmen versuchen. Sie gehen freilich über ein eher schlichtes Kadenzieren selten hinaus. Hören Sie zum Schluß das "tunc imponent" mit anschließender "danza" des Kornetts. Deutlich wird, daß der harmonische Kanon der europäischen Musik der Neuzeit der improvisatorischen Phantasie Ivanoffs doch engere Fesseln anlegt als das vergleichsweise anarchische Mittelalter. · Musikbeispiel: Gregorio Allegri - aus Miserere "tunc impunent" und "Danza"

    Das war die neue Platte. Heute brachten wir Ausschnitte aus den CDs "Vox - X Chants from the Christian Arab Tradition - zehn Gesänge aus der arabisch-christlichen Tradition" sowie "Gregorio Allegri - Miserere", erschienen bei Erdenklang respektive dem Nachfolge-Label CCn'C in Eslohe.

    Am Mikrofon dankt Norbert Ely für Ihre Aufmerksamkeit.