"Die deutsch-italienischen Beziehungen sind eng." So steht es Schwarz auf Weiß auf der Seite des Auswärtigen Amtes. Da werden Beispiele in der historischen Entwicklung genannt, in der EU- und NATO-Partnerschaft. Außerdem ist Deutschland Italiens wichtigster Handelspartner, sowohl was Exporte als auch was Importe betrifft. Auch die kulturellen Beziehungen werden lobpreist.
Auswärtiges Amt verschweigt Tiefpunkt 2006
Kein Wort davon, dass die deutsch-italienischen Beziehungen am 4. Juli 2006 auf einen Tiefpunkt des neueren Zeitalters fielen, als Italien am Ende der Verlängerung zwei Tore gegen Deutschland und den Gastgeber damals aus dem Turnier schoss. Während einer bis dato perfekten Weltmeisterschaft im eigenen Land, dem (inzwischen zurecht in Verruf geratenen) Sommermärchen.
Und auch wenn Grosso und Del Piero damals die Tore schossen, als Verursacher hat sich bei mir Marco Materazzi eingebrannt. Vielleicht auch, weil Materazzi im Finale Zinedine Zidane so provoziert hat, dass der sich mit einem Kopfstoß gegen den Italiener und einer roten Karte aus dem Turnier und der Nationalmannschaft verabschiedete. Die Italiener wurden Weltmeister, gegönnt haben es ihnen nicht besonders viele Deutsche.
Italiener mit unterdrückter Freude
Als ich am besagten Abend von der Fußballkneipe nach Hause lief, lag auf dem Weg ein italienisches Restaurant. Die Mitarbeiter standen vor der Tür und wedelten mit italienischen Fähnchen, während der Tross enttäuschter Fans an ihnen vorbei trottete, halb-aufgebracht, halb-tränenzerflossen. Der Gesichtsausdruck der Italiener war zugleich erfreut und besorgt. Erst 2014 beim 7:1 gegen Brasilien konnte ich nachfühlen, wie meine Nachbarn sich an diesem Abend wohl gefühlt haben.
Und die veränderten deutsch-italienischen Beziehungen sorgten in der Nacht des 4. Juli 2006 dafür, dass Tricolore-Fähnchen von den Autos der italienischen Mitbürger verschwanden - mitsamt der Antenne. Wenn bei kommenden Turnieren die Italiener spielten, konnte ich sicher sein, dass alle in meinem Umfeld automatisch zum Gegner hielten.
Fanmeile als No-Go-Area
2012 gab es dann die Wiederauflage der Paarung beim EM-Halbfinale in Warschau. Ich sah die Partie auf der Fan-Meile in Berlin. Ein absurder Ort, an den ich nie wieder zurück möchte. Viel zu viele Leute, Auftritte von Jürgen Drews und eines deutsch-italienischen Castingshow-Teilnehmers mit einer Irokesen-Frisur in den Farben grün-weiß-rot. Dieses Setting hat sich sehr gut in das Bild des erbarmungswürdigen Spiels und dessen Ausgangs eingefügt.
Das Spiel endete 2:1, wobei Deutschland nur noch in der Nachspielzeit durch einen Elfmeter verkürzen konnte. Beide italienischen Tore erzielte Mario Balotelli, der sich mindestens doppelt so exaltiert auf dem Rasen inszenierte wie man es Cristiano Ronaldo heute vorwirft. Dass Italien Deutschlands Angstgegner ist und die Deutschen keine Pflichtspiele gewonnen haben, hat man in den vergangenen Tagen zu genüge gelesen. Aber deshalb gleich zum Balotelli werden? Das halte ich für eine übertriebene Maßnahme - oder zumindest keine sympathische.
In den vergangenen zehn Jahren war genug Zeit, um sich von den Niederlagen zu emanzipieren - und Frieden mit Mario Balotelli und Marco Materazzi zu schließen. Die deutsche Mannschaft ist inzwischen selbst Weltmeister - und traut sich wahrscheinlich viel eher zu, Italien zu schlagen, als die eigenen Fans.
Ganz Fußball-Deutschland hofft, dass Italien heute Abend die vom Auswärtigen Amt so hoch gelobten Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland bemüht - einseitig - und ein paar Tore importiert.