Freitag, 29. März 2024

Archiv

VW-Prozess
Topmanager auf der Anklagebank

Wegen des Dieselskandals hat VW bereits Strafzahlungen in Milliardenhöhe geleistet. Die Manager des Konzerns sind bislang allerdings noch nicht gerichtlich verurteilt worden. Inwieweit auch Topmanager und Vorstandsmitglieder haftbar gemacht werden können, erklärt Wirtschaftsrechtler Gerald Spindler im Dlf-Interview.

Gerald Spindler im Gespräch mit Silke Hahne | 25.08.2017
    Matthias Müller, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, spricht am 14.03.2017 bei der Jahrespressekonferenz der Volkswagen AG in der Autostadt in Wolfsburg (Niedersachsen).
    "Es geht um die gesellschaftsrechtliche Verantwortlichkeit von Managern". Im Bild: Die Jahrespressekonferenz der Volkswagen AG in der Autostadt Wolfsburg. (dpa / picture alliance / Rainer Jensen)
    Silke Hahne: Wie "Süddeutsche Zeitung", NDR und WDR berichten, hat auch der ehemalige Leiter des Ausschusses für Produktsicherheit - dem sogenannten Schadenstisch - bei VW eine Aussage abgegeben, und diese belaste Martin Winterkorn schwer, den damaligen Chef von VW: Er soll früher als bisher angegeben von dem Betrug in den USA gewusst haben.
    "Es geht um die gesellschaftsrechtliche Verantwortlichkeit der Manager"
    Darüber, was das für die Zuweisung von Schuld und letztlich Haftung bedeutet, konnte ich vor der Sendung mit Gerald Spindler sprechen. Er lehrt in Göttingen Wirtschaftsrecht. Als Erstes habe ich ihn gefragt: Ab wann werden solche gegenseitigen Anschuldigungen gefährlich?
    Gerald Spindler: Gefährlich ist die Frage, für wen und in welcher Beziehung. Es geht um die gesellschaftsrechtliche Verantwortlichkeit von Managern - hier also vor allen Dingen der Vorstandsmitglieder, unter Umständen aber auch der Aufsichtsratsmitglieder. In dem Moment, wo derartige Informationen bekannt werden, muss der Aufsichtsrat ermitteln, um etwaige Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand durchzusetzen. Das ist ganz klar nach Aktienrecht die Lage. Insofern wird es, je mehr bekannt wird, umso dringlicher für den Aufsichtsrat, hier etwas zu tun. Gegebenenfalls kann das sogar dazu führen, dass Aktionäre selber eine Klage einreichen. Das richtet sich dann nach der sogenannten Aktionärsklage § 148 Aktiengesetz.
    Hahne: Was bedeutet das denn dann für die Haftung der beschuldigten Manager?
    Spindler: Ja, das Aktienrecht sieht eine sogenannte Beweislastumkehr vor, was das Verschulden angeht. Das heißt also, wenn dann tatsächlich solche Tatsachen vorliegen, muss sich der Vorstand, aber auch übrigens der Aufsichtsrat dann entlasten. Das sieht das Aktienrecht ganz deutlich vor. Die Frage ist nur die, was die Tatsachen angeht, ob eine ausreichende Tatsachengrundlage für solche Ansprüche da ist.
    Hahne: Ab wann ist so was denn hieb- und stichfest?
    Spindler: Das kann man so pauschal nicht sagen, dazu muss man dann die einzelnen Unterlagen kennen. Aber je mehr bekannt wird und je mehr Kronzeugen aussagen, desto schwieriger wird es natürlich. Und ab einem bestimmten Zeitpunkt, wo sich das derart verdichtet, dass es äußerst wahrscheinlich ist, dass ein Manager - ich spreche jetzt von Vorstandsmitgliedern - davon wusste, dann muss der Aufsichtsrat tätig werden.
    "Es gibt da schon so eine Art Gesamtschuld"
    Hahne: Wenn jetzt jeder jeden beschuldigt oder sich immer mehr Leute gegenseitig beschuldigen, sprengt die Komplexität dann nicht irgendwann den Fall, wird da die individuelle Schuld überhaupt noch nachweisbar?
    Spindler: Das ist zivilrechtlich, wir sprechen jetzt nicht übers Strafrecht, da muss man immer schön fein unterscheiden, also Zivil- und Gesellschaftsrecht. Im Zivil- und Gesellschaftsrecht ist es so, dass der gesamte Vorstand verantwortlich ist, das heißt also, es kann nicht das Vorstandsmitglied X auf das Vorstandsmitglied Y deuten und sagen, der hat's aber gewusst, ich hab nichts damit zu tun. Selbst bei verschiedenen Ressorts gibt es immer eine bestimmte interne Überwachungspflicht der anderen Vorstandsmitglieder sich selbst gegenüber beziehungsweise den anderen gegenüber. Es gibt da schon so eine Art Gesamtschuld, wie wir das nennen, allerdings ist das abgestuft. Also derjenige, der jetzt rein für Finanzen zuständig ist, der muss nicht unbedingt alles wissen über Motorenentwicklung, aber wenn es Verdachtsmomente gibt, muss er schon auch mal nachhaken, also auch intern, im Vorstand.
    Hahne: Kann denn so ein kollektives Versagen gegen ein individuelles Versagen auch ausgespielt werden? Kann ein Einzelner sagen, na ja, wir haben's alle gewusst?
    Spindler: Zivil- und aktienrechtlich geht das nicht, da führt gar kein Weg daran vorbei. Wenn man genau weiß, dass das Vorstandsmitglied X jetzt dafür verantwortlich gewesen ist, muss entsprechender Schadensersatzanspruch gegen ihn durchgesetzt werden seitens des Aufsichtsrats. Wenn sich das nicht hundertprozentig genau aufklären lässt, dann ist eben immer die Frage im Raum, ob nicht das gesamte Organ, das heißt also der Vorstand insgesamt, dann versagt hat. Da sind die Zivilgerichte relativ streng. Und wie gesagt, wir reden jetzt nicht übers Strafrecht, sondern wir reden über zivilrechtliche Schadensersatzansprüche. Und das ist eben ein bisschen andere Ebene als das Strafrecht, da haben wir nicht mit so strengen Beweisanforderungen zu tun wie im Strafrecht.
    "Bei Vorsatz ist eine Versicherung ausgeschlossen"
    Hahne: Sollte Volkswagen sich irgendwann entscheiden, gegen seine Manager vorzugehen, also gegebenenfalls Teile der Milliardenstrafe wirklich einzutreiben, wie sind Manager dann üblicherweise dagegen versichert?
    Spindler: Das ist eine sehr schwierige Frage. Es gibt die sogenannte D&O-Versicherung, Directors and Officers Liability, die abgeschlossen wird und die übrigens nicht nur die Vorstände umfasst, sondern auch die Aufsichtsräte und oftmals auch die leitenden Mitarbeiter. Die können allerdings sehr individuell ausgestaltet werden. Üblicherweise, also im Versicherungsrecht, besteht der Grundsatz, dass bei Vorsatz eine Versicherung ausgeschlossen ist. Nun müsste dann allerdings nachgewiesen werden von der Versicherung aus, dass es vorsätzliches Handeln war. Ob das gelingt, das weiß ich nicht, dafür sind die Anforderungen natürlich relativ hoch. Das ist was anderes als fahrlässiges Verhalten oder grob fahrlässiges Verhalten, aber den Vorsatzausschluss, da würde ich ein paar Fragezeichen dahinter setzen, ob das eine D&O-Versicherung machen könnte. Die zweite Frage ist dann die, die bislang völlig ungeklärt ist und die leider vom Bundesarbeitsgericht letztens auch nicht beantwortet worden ist: Ob es generell eine Beschränkung der Haftung für Vorstandsmitglieder gibt, ähnlich von wie bei Arbeitnehmern. Das ist sehr stark in der Diskussion, ist sehr stark im Fluss, und wie letztendlich die Bundesgerichte da entscheiden werden, bleibt offen. Das Bundesarbeitsgericht hat es zurückverwiesen, da ging es um einen Fall ThyssenKrupp, und zwar um Kartellrechtsverstöße, und Thyssen hat in Millionenhöhe entsprechend Regress geltend gemacht gegenüber dem Vorstandsmitglied. Es ist wie gesagt nach wie vor ein hängender Prozess, wir wissen nicht, wie es ausgeht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.