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W. A. Mozart "Idomeneo"

Heroischen Opern war selten ein besonders langes Bühnenleben vergönnt; meist als Auftrags- und Huldigungswerk für einen fürstlichen oder königlichen Mäzen komponiert, verschwanden sie manchmal schon nach dessen Abdankung in der Versenkung. Zwar teilte Wolfgang Amadeus Mozarts Opera seria 'Idomeneo’ KV 366 nicht unbedingt das Schicksal dieser Werke, dennoch ist sie im Vergleich zur 'Entführung’, der 'Hochzeit des Figaro’ oder der 'Zauberflöte’ bedeutend seltener auf der Bühne zu sehen. Vor kurzem ist bei EMI Classics eine Neueinspielung der Oper mit dem Scottish Chamber Orchestra unter der Leitung von Sir Charles Mackerras erschienen; diese möchte ich Ihnen nun vorstellen. * Musikbeispiel: W.A. Mozart - Ouvertüre aus "Idomeneo" Zwar hatte Mozart hinsichtlich einer Anstellung kein Glück, als er 1777 und 1778 am Mannheimer Hof weilte; künstlerisch betrachtet war die Zeit durchaus fruchtbar, denn er lernte den damals hochmodernen 'Mannheimer Stil’ kennen und dessen Ausdruckskraft schätzen. Gerade von den Bühnenwerken, die an der Hofoper gegeben wurden, war Mozart so angetan, dass er dem Kurfürsten Carl Theodor mitteilte, hier am liebsten selbst eine Oper komponieren zu wollen. Als dieser Mozart 1780 schließlich einen entsprechenden Auftrag erteilte, war der Herrscher mittlerweile von Mannheim nach München gezogen und regierte dort als bayerischer Kurfürst. Und wie es zu dieser Zeit üblich war, bestimmte Carl Theodor als Auftraggeber auch die Vorlage zu der Oper, mit der die Münchner Karnevalssaison eröffnet werden sollte. Er entschied sich für die tragische Geschichte des antiken kretischen Königs Idomeneo, ließ jedoch das vorhandene fünfaktige Libretto des französischen Dichters Danchet auf drei Akte kürzen und den tragischen Schluss durch ein gutes Ende ersetzen. Für den Komponisten galt zudem die Bedingung, sich so rechtzeitig einzufinden, damit die Solisten ihre Partien auf ihre Fähigkeiten zugeschrieben bekamen. Dieser Punkt bereitete Mozart keine Probleme, da die Sänger die gleichen waren, die er schon in Mannheim kennen gelernt hatte; und als er Anfang November 1780 in München eintraf, hatte er den ersten Akt der Oper schon in der Tasche. Dieser spielt am Hof des kretischen Königs Idomeneo: die trojanische Königstochter Ilia liebt Idamante, den Sohn des Königs, glaubt aber, dass dieser Elettra, der Tochter des Agamemnon, zugetan sei; Idamante wiederum traut sich nicht, Ilia seine Gefühle zu gestehen; dennoch hofft er in seiner Auftrittsarie auf ihre Zuneigung. * Musikbeispiel: W.A. Mozart - 1. Akt, Arie des Idamante aus "Idomeneo" Doch über der zarten Liebe lastet ein Schatten: Idomeneo hat dem Meergott Neptun zum Dank für eine Rückkehr aus dem trojanischen Krieg versprochen, diesem den ersten Menschen in der Heimat zu opfern, dem er begegnet. Die Fügung des Schicksals will es, dass ausgerechnet sein Sohn Idamante ihm die Hand reicht. Zunächst versucht der König sein Versprechen zu umgehen, indem er Idamante mit Elettra außer Landes bringen will. Aber Neptun durchkreuzt seine Pläne: zum Entsetzen der Kreter erscheint ein Meerungeheuer. * Musikbeispiel: W.A. Mozart - Finale 2. Akt (Ausschnitt) aus "Idomeneo" Das war ein Ausschnitt aus dem Finale des zweiten Aktes des 'Idomeneo’ mit Ian Bostridge in der Titelrolle, Lorraine Hunt Lieberson als Idamante, Barbara Frittoli als Elettra sowie dem Edinburgh Festival Chorus; Sir Charles Mackerras leitete das Scottish Chamber Orchestra. Am Beginn des Projektes stellte sich dem Dirigenten die Frage, welche der vorhandenen Fassungen er für die vorliegende Produktion auswählen sollte; zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstellten Richard Strauss und Ermanno Wolf-Ferrari neue Fassungen, um 'Idomeneo’ für die Bühne wieder zu reaktivieren. Allerdings hatte Mozart selbst fünf Jahre nach der Uraufführung die Oper bearbeitet und gekürzt in der Hoffnung, sie in Wien neu herausbringen zu können. Mackerras entschied sich für die Münchner Originalversion von 1781, ergänzte sie jedoch mit den Arien, die Mozart noch vor der Uraufführung aus Zeitgründen streichen musste. So entstand eine Aufnahme des Idomeneo, die so wohl nur selten auf der Bühne gegeben wird: insgesamt dauert die Einspielung fast dreieinhalb Stunden. Zudem versuchte Mackerras, der farbigsten Orchesterpartitur, die Mozart je geschrieben hatte, in allen Details gerecht zu werden. Das Ergebnis ist eine meiner Meinung nach höchst gelungene Aufnahme mit einem sehr nuanciert und sensibel spielenden Orchester sowie hervorragenden Solisten. Lisa Milne stellt die Rolle der zwischen Heimattreue und der Liebe zu ihrem feindlichen Retter hin und hergerissenen trojanischen Königstochter überzeugend dar; im dritten Akt beispielsweise bittet sie die Lüfte, Idamante von ihren Gefühlen zu berichten. * Musikbeispiel: W.A. Mozart - 3. Akt, Arie der llia aus "Idomeneo" Lisa Milne sang die Arie der Ilia 'Zeffiretti lusinghieri’ aus dem dritten Akt des 'Idomeneo’. Die ohnehin schon recht aussichtslose Lage des kretischen Königs spitzt sich im letzten Akt noch weiter zu: Idamante hat das Meerungeheuer besiegt und Neptuns Zorn damit weiter angefacht; außerdem fordert das Volk das versprochene Opfer. Idamante ist bereit, in den Tod zu gehen, Ilia bietet sich freiwillig als Opfer an. Da zeigt der Meeresgott Milde und verzichtet auf die Einlösung des Versprechens unter der Bedingung, dass Idomeneo seinem Sohn die Herrschaft übergibt. Während Idamante und Ilia glücklich in die Arme sinken und die eifersüchtige Elettra ihr Schicksal beklagt, preist Idomeneo die göttliche Fügung. Seine große Schlussarie 'Torna la pace al core’ hatte Mozart auf Drängen des Mannheimer Startenors Anton Raaff noch zusätzlich eingefügt, vor der Premiere wegen der Überlänge der Oper jedoch wieder gestrichen. Hier interpretiert sie der junge Tenor Ian Bostridge. * Musikbeispiel: W.A. Mozart - Finale 3. Akt, Arie des Idomeneo aus "Idomeneo" Abgerundet wird die höchst bemerkenswerte Einspielung des 'Idomeneo’ mit dem Scottish Chamber Orchestra unter der Leitung von Sir Charles Mackerras mit der an das Finale des dritten Aktes anschließenden viersätzigen Ballettmusik. Neben der qualitätvollen musikalischen Ausführung macht die CD anhand der Wahl der Fassung deutlich, welchen Stellenwert der 'Idomeneo’ in Mozarts kompositorischer Entwicklung einnimmt und wie wichtig seine 'Mannheimer’ Oper für die nachfolgenden Bühnenwerke war. * Musikbeispiel: W.A. Mozart - 3. Akt, Finale (Schlusssatz) aus "Idomeneo"

Klaus Gehrke |