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Wachsen auf Funkbefehl

Medizintechnik. - Ein Problem bei komplizierten Brüchen ist, dass die Knochen mit Nägeln fixiert werden müssen, die sich dem natürlichen Knochenwachstum nicht anpassen können. Daher sind wiederholte Eingriffe nötig. Bremer Wissenschaftler haben jetzt einen so genannten Marknagel entwickelt, der sich auf Funkbefehl verlängert und so das Knochenwachstum ermöglicht.

25.07.2002
    Von Roland Warmbein

    Motorradfahren ist ein schönes Hobby. Im Jahr 2001 endete es in Deutschland allerdings für 38.700 Motorradfahrer mit einem Unfall. Ein Crash, Verletzungen, gebrochene Knochen. Wenn alles gut geht, ist der Gips zwar nach ein paar Wochen wieder ab, und der Bruch ist in etwa sechs Wochen verheilt. Aber: Manchmal geht nicht alles gut, sagt Professor Rainer Laur von der Uni Bremen.

    Es gibt natürlich komplizierte Beinbrüche, beispielsweise bei Motorradunfällen passiert dies sehr häufig, da wird Knochensubstanz verloren, und wenn das Bein beispielsweise mit einem Marknagel versehen wird und zusammenwächst, ist es möglicherweise um einige Zentimeter kürzer.

    Und für genau solche Fälle will Laur jetzt Hilfe anbieten. Und weil Laur kein Arzt ist, sondern Elektrotechniker, ist seine Therapie eine technische Therapie: Marknägel werden bislang hauptsächlich in die großen Oberschenkel-Knochen eingesetzt. Als Schiene von innen. Laur will dem Marknagel jetzt aber Beine machen. Elektrische Beine. Laur:

    Das Funktionsprinzip ist folgendes: Im Marknagel selbst ist ein Antrieb, ein sehr intelligentes Getriebe und ein Antriebsmotor enthalten. Und dieser Antriebsmotor muss - wenn er den Marknagel verstellen soll - muss außen mit Energie versorgt werden. Das geht natürlich nicht per Draht, denn sonst müsste eine offene Wunde entstehen, aus der der Draht ausgeführt wird. Das geht drahtlos - dass heißt elektromagnetisch- wir die Energie zum System übertragen. Die Motoren werden elektromagnetisch mit Energie versorgt, von außerhalb des Körpers.

    Einen Millimeter pro Tag wollen Laur und sein Team die Nagelhälften auf diese Weise auseinander treiben. Ringsherum bildet sich neues Knochengewebe. Das fehlende Knochenstück wächst so nach.

    Der alte Nagel mit dem Minimotor sieht im Moment noch ein bisschen so aus wie Omas große Doppel-Stricknadel mit dem dicken Perlon-Draht in der Mitte. Nur mit dem einen Unterschied, dass an dem einem Ende des dicken Drahtes eben kein zweiter Nagel hängt, sondern eine flache Scheibe, so groß wie ein Euro-Stück.

    Was da jetzt noch drin ist, ist zum einen die Spule, über die die Energie-Übertragung stattfindet und zum andern eine kleine Elektronik, die ein paar Informationen übertragen kann. Was jetzt noch neu sein soll, ist, dass wir noch wesentlich mehr Informationen aus dem Nagel heraus übertragen können und auch Informationen in den Nagel rein.

    ...sagt Projekt-Ingenieur Detmar Westphal von der Bremer Uni. Er ist im Moment dabei, die Steuer-Elektronik für den neuen Nagel zu entwerfen. Und der neue Nagel soll dann auch wirklich nur noch wie ein Nagel aussehen, ohne irgendwelche Anhängsel: alle Technik soll kompakt in ihm integriert sein. Auch Sensoren, die vielleicht sogar das eine oder andere Röntgen-Bild überflüssig machen. Westphal:

    In dem Zwischenstück, das auseinander gefahren wird, bildet sich ja der Knochen nach. Und über Sensoren können wir feststellen, wie stark dieser Knochen sich schon wieder verhärtet hat, so dass wir sehen können, wie weit der Heilungsprozess fortgeschritten ist. Da wird ganz einfach die Kraft gemessen, die zum Verstellen notwendig ist. Das geschieht mit Kraft-Sensoren, die in das System eingebaut werden.

    Energie ist nur nötig für den Moment, in dem die Fühler messen und ihre Daten nach außerhalb des Körpers funken - und den Moment, in dem sich der Motor im Marknagel dreht. 800 Milliwatt Sendeleistung funken die Ärzte dann ins Bein. Das ist ungefähr halb so viel Sendeleistung, wie ein ganz normales Handy abstrahlt. Allerdings sind die hier eingesetzten elektromagnetischen Wellen nur schwer mit denen von Handys zu vergleichen. Laur:

    Die Frequenz ist deutlich niedriger als beim Handy. Und da werden natürlich die entsprechenden Regeln eingehalten. Das heißt, die Belastung des Körpers ist unterhalb der Grenze, die zulässig ist, so dass da keine Probleme auftreten werden.

    Eigentlich hat der Motorrad-Fahrer und Professor Rainer Laur den Nagel hauptsächlich für Unfall-Opfer entwickelt, aber auch eine ganz andere Anwendung ist durchaus denkbar. Laur:

    Das ist natürlich ´ne Frage der Optik, wie lang die Beine sind. Und es ist klar, dass das mit Sicherheit auch ausgenutzt werden wird für kosmetische Operationen. Man kann also sicher dran denken, dass Beine aus kosmetischen Gründen verlängert werden. Sie wollen jetzt wissen, ob ich gerne so einen Marknagel hätte: Ich möchte gerne drauf verzichten, um das ehrlich zu sagen. Weil ich mit meiner Beinlänge zufrieden bin - und eigentlich auch nicht im Krankenhaus liegen möchte.