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Wachsen ohne Wachstumsschmerzen

Der 70er-Jahre-Trend zum Wohnen im Grünen scheint gebrochen: Weltweit wachsen die Städte. Doch wie lässt sich klimafreundlich bauen oder verhindern, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinanderklafft? Auf der Internationalen Bauausstellung in Hamburg wirft die Fachwelt einen Blick in die Glaskugel.

Von Ursula Storost | 27.06.2013
    Im Zentrum von Hamburg Wilhelmsburg wird gebaut. Auf der Elbinsel im Süden von Hamburg sollen durch die Internationale Bauausstellung, kurz IBA, Wege zur neuen Stadt aufzeigt werden. Mit ökologischen, sozial verträglichen, beispielhaften Bauprojekten. In einem Stadtteil in dem überproportional viele sozial Schwache leben: Migranten und Deutsche.

    "Wir haben hier auf der Elbinsel über Jahrzehnte hinweg Abwanderung gehabt, die Läden haben geschlossen. Wir hatten vor zehn Jahren noch 25 Prozent Wähler neofaschistischer Parteien. Wir hatten türkische Jungs mit ihren Kampfhunden, die Gruppen gegenüber standen, die sich deutsche Restrentner nannten."

    Keine der sozialarbeiterischen Maßnahmen hatte nachhaltigen Erfolg, weiß Professor Dieter Läpple. Der Stadtforscher von der Hamburger Hafencity Universität engagiert sich bei der IBA. Von Anfang an war klar: Wilhelmsburg braucht Bildung.

    "Es ging hier vor allem darum, das, was als Problem angesehen worden ist, die starke multikulturelle Diversität, als Stärke zu definieren und zu sagen, wir bauen internationale Schulen in den Bürgervierteln, wo die Diplomatenkinder, die Kinder von Managern hinkommen und stolz sind, dass sie international ausgebildet werden. Wir müssen eine internationale Schule hier hinbringen, wo es eine internationale Stadtgesellschaft gibt. Um die Potentiale, die hier angelegt sind, auch wirklich dann positiv zu wenden."

    In diesem Frühjahr wurde im Rahmen der IBA das Bildungszentrum "Tor zur Welt" eröffnet. Helle, weitläufige Gebäude rechts und links der Krieterstraße. Eine Kita, sämtliche Schulformen, Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken und Lerntherapieeinrichtungen sollen Durchlässigkeit garantieren, sagt der Ingenieur und Sozialwissenschaftler Dieter Läpple.

    "So etwas wie ein community learning center zu machen. Wo man die Schule öffnet für die verschiedensten sozialen und kulturellen Aktivitäten, um das wirklich zu einem Mittelpunkt der Stadtgesellschaft zu machen, des Stadtteils, und damit eben auch lernt, andere Kulturen zu respektieren, zu verstehen und gemeinsam zu lernen."

    Dieses Konzept von Bildung und Gemeinsamkeit kann aber nur mit entsprechend viel und qualifiziertem Personal funktionieren. Da hakt es derzeit noch finanziell. Und mit Stadtplanung allein kann man keine Gesellschaft verändern, konstatiert Professor Jens Dangschat, Fachbereichsleiter für Stadtsoziologie an der TU Wien.

    "Stadtplanung kann nicht gegen gesellschaftliche Ausdifferenzierung anarbeiten, die ja ganz andere Ursachen, ganz andere Gründe hat. Und die sich ja nur in bestimmten Quartieren widerspiegeln, weil eben auf Grund des Wohnungsmarktes, der Belegungspolitik, die Diskriminierung, dort eben diese Konzentrationen entstehen."

    Im Übrigen, so Jens Dangschat, müsse man auch akzeptieren, dass manche Gruppen anderen aus dem Weg gingen.

    "Wenn ich mich in ein Gebiet zurückziehe, wo eben das Spektrum kleiner ist, wo ich viel von dem, was ich selbst bin, wiedersehen möchte, dass das erst mal dem nachkommt, was Menschen brauchen und was Menschen sich wünschen. Also für mich ist nicht die europäische Stadt eine perfekt durchmischte Stadt, weil es das auch nie historisch gegeben hat."

    Die wachsende Stadt sollte für alle auch gleichermaßen sozial wachsen, resümiert Uli Hellweg. Er ist der Geschäftsführer der IBA Hamburg. Außerdem, so der Architekt und Stadtplaner, müssten die Menschen an dem Prozess des Stadtwachstums beteiligt werden. Beispiel: Erneuerbare Energie.

    "Wie wir es beim Energieberg gemacht haben, dass wir da eine öffentliche zugängliche Grünanlage gebaut haben mit einem großen Promenadenweg. So dass die Leute gesagt haben, na gut, da haben wir was von. Also akzeptieren wir auch die Windturbine. Also man muss viel mehr in dieser Kategorie der Win-Win-Situation denken und den Bürger als Partner beim energetischen Stadtumbau sehen als ihn als Hindernis zu betrachten."

    Die IBA habe von Anfang an versucht die Menschen im Stadtteil umfassend und fortlaufend über Pläne und Aktivitäten zu informieren, sagt Uli Hellweg.

    "Das ist ja auch das Problem einiger Großprojekte, dass die sich auf ne Bürgerbeteiligung von vor 15 Jahren beziehen und sagen, wir haben euch das doch schon mal alles erzählt, und da wart ihr dafür oder zumindest nicht dagegen. Das ist natürlich keine Bürgerbeteiligung. Sondern Bürgerbeteiligung ist im Grunde ein ständiger Dialog mit den Bürgern."

    Heute, so Uli Hellweg, könne man Stadtprojekte nicht mehr 30 Jahre im Voraus planen. Man brauche flexible Systeme. Und man müsse alle Bürger beteiligen.

    "Wir haben ja nicht immer nur die Situation, dass die Politik gegen den Bürgerwillen agiert. Wir haben ja durchaus auch mal die Situation, dass sich einzelne, sehr artikulationsfähige Bürgergruppen gegen andere Bürgerinteressen durchsetzen. Oder gegen das Allgemeininteresse durchsetzen. Das gibt’s ja auch."

    Auch in Wilhelmsburg gibt es Vorwürfe, dass die IBA einer Gentrifizierung Vorschub leiste. Die durchschnittliche Mieterhöhung bei Modernisierungsmaßnahmen wie Wärmedämmung im Stadtteil liege bei 50 Cent pro m², sagt Uli Hellweg. Und Schulen und Parks zu bauen, sei keine Gentrifizierung sondern eine Verbesserung der Lebensqualität für eingesessene Bewohner.

    "Das wäre ja furchtbar, wenn jede Verbesserung der Lebensverhältnisse gleich ne Gentrifizierung wäre. Eine Gentrifizierung ist, wenn die privaten Eigentümer die Verbesserung eines Stadtteils ausnutzen oder auch ausnutzen können, um die Mieten dramatisch hoch zu treiben oder die Verkaufspreise der Wohnungen und dadurch dann die vorhandene Bevölkerung zu vertreiben."

    Bei einer anderen Mega-Baustelle, der neu entstehenden Hafencity nahe der Innenstadt, gibt es per Definition keine Gentrifizierung. Niemand kann verdrängt werden, denn niemand hat vorher in diesem Hafengebiet gewohnt. Aber die Idealstadt der Zukunft kann man dort auch nur bedingt bauen, sagt Giselher Schultz-Berndt, Geschäftsführer der Hafencity Hamburg GmbH.

    "Natürlich, wir brauchen die privaten Baumenschen, nenn ich sie mal, also die auch bereit sind, sehr viel Geld dort in ihre Gebäude zu investieren. Die wiederum aber auch abhängig sind davon, dass sie dann ihre Wohnungen, ihre Bürogebäude, ihre Läden auch letztendlich werden vermieten können. Und das bedeutet, dass auch die Fragen der immobilienwirtschaftlichen Rahmenbedingungen immer zu beachten sind."

    Mit anderen Worten: Geld regiert die Welt. Und Klimakonzepte stoßen nicht unbedingt auf Akzeptanz bei den Bauherren. Giselher Schultz-Berndt.

    "Aber wir stellen uns die Frage, was kann man machen, um diese Idee von elektrisch betriebenen Fahrzeugen zu fördern. Oder einen erhöhten Einsatz im öffentlichen Nahverkehr."

    Es kann nicht alles gleich der ganz große Wurf sein, kommentiert Uli Hellweg, Geschäftsführer der IBA. Die hat es immerhin geschafft, dass Wilhelmsburg heute der klimafreundlichste Stadtteil Hamburgs ist. Durch kreislaufwirtschaftliche Energieversorgung werden fünfzig Prozent des Stroms eingespart. So kann es auch gehen. In der Stadt.

    "Ich glaube, ein ganz wichtiger Punkt bei diesem Energiethema ist, dass man ganz klar ein Primat setzt, dezentral jetzt zu beginnen und nicht erst zu warten, bis die ganz großen Lösungen irgendwo anders geschaffen wurden."