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Wacht an der Burbon-Flasche

Brünnhilde nimmt Platz in der ersten Reihe. Dann fährt das Markenzeichen dieses Dresdner "Rings", die gebogenen Parkettreihen eines virtuellen Welttheaters, in die Tiefe des Krematoriums-Schlunds. Weiter hinten sitzen schon Wotan und seine Getreuen. Der Wallvater hatte auf wackligen Beinen eben noch einmal die Überreste des toten Siegfried inspiziert und dann die zerbrochenen Teile seines Speers ins Archiv für gebrochene Verträge abgeschoben.

Georg-Friedrich Kühn |
    Am Ende, wenn die Götter schon im Feuertod versunken sind, erscheint noch einmal Urmutter Erda. Nun jungfräulich schneeweiß. Die einst geborstene Weltkugel rollt sie heil vor sich herein.

    Das Machtsymbol Ring hatte Brünnhilde wohlbehalten den etwas flippigen Rheintöchtern übergeben in einer vertraulichen Zermonie. Und die ob des toten Siegfried zur Amazone emanzipierte Gutrune hat peinlich darauf geachtet, dass nicht doch noch der Finsterling Hagen das Goldutensil sich schnappt.

    Beherzt hat sie ihn von seiner Ring-Gier mit einem Speerstich kuriert. Nun wird sie wohl Brünnhildes Flammbotschaft der Menschlichkeit weiterreichen. Die Alberich und Co haben ausgespielt, so uhrwerksmäßig exakt auch Hagens Mannen wie die Strohhalme im Takt mit den Regungen ihres Meisters sich bogen. Stumm wie graue Lemuren einer Todesbarke saßen sie freilich bei Brünnhildes Eintritt in den hohen Felsendom des Obersalzberg, in dem die Gibichungen hier winterlich verschneit residieren.

    Ein Operettenheld namens Gunther und seine nicht minder oberflächliche Schwester Gutrune tänzelten dort um die Sektkelche, ihre Langeweile sich vertreibend, während Hagen tapfer die Wacht an der Burbon-Flasche hält. In der Halle harren sie gespannt der Ankunft der unbedarften Frohnatur Siegfried mit seinem Goldhelm, der sich denn auch mit Wucht ins volle Halbweltleben stürzt und Gunther sogar mit nimmt auf Spritztour zum Walkürenfelsen, Brünnhilde zu vergewaltigen, derweilen Hagen Gleiches der Gutrune besorgt.

    Die Götterdämmerung ist mit Abstand der beste Teil dieser als kopfiges "Welttheater" etwas dröge bis dato sich dahin schleppenden Dresdner Ring-Tetralogie. Und eindrucksvoll gelingen Regisseur Willy Decker und seinem Ausstatter Wolfgang Gussmann vor allem die Massenszenen. Eher spannungslos dagegen die meisten kammertheatralischen Ensembles.

    Musikalisch hat das über weite Strecken hohe Klasse. Michael Boder am Pult – nach Giuseppe Sinopoli, der ursprünglich den Ring dirigieren wollte, und Semyon Bychkov, der im Streit mit dem Regieteam einerseits wie auch der Kapelle andererseits auf halber Strecke ausstieg -, Boder dirigiert einen silbrig aufgehellten Wagner-Klang, der zugleich die spezifischen Qualitäten der Sächsischen Staatskapelle voll auskostet.

    Zumal die instrumentalen Highlights der Partitur wie "Rheinfahrt" und "Trauermarsch" sind eine Delikatesse. Aber auch sängerisch hat man erste Kräfte auf der Bühne. Gabriele Schnaut als Brünnhilde brilliert mit metallischen Höhen wie zartesten Pianissimi. Ein stimmlich wie darstellerisch ungemein flexibler Siegfried ist Alfons Eberz. Kurt Rydl gibt dem Hagen schattenhafte Düsternis.

    Vieles an Deutungsmustern kommt einem bei Decker zwar mehr oder minder bekannt vor. Und das war wohl auch der Grund, dass so recht dieser "Ring" anfangs nicht Tritt fasste. Manches allerdings fügt sich vom Schlussteil her nun doch noch in ein Gesamtbild – wie zumal die etwas sperrige Metapher der Parkett-Stühle. Dass es dieser Ring-Produktion über weite Strecken an zupackendem Drive gebricht, kann man aber auch nicht übersehen.

    Dass die Flut die Vollendung des "Rings" um ein halbes Jahr verzögerte, hat dem Unternehmen gewiss auch nicht geholfen. Immerhin -Dresden hat bald sechzig Jahre nach dem Krieg nun endlich wieder einen kompletten Ring. Die Wasser der Elbe fließen gelegentlich eben nur tröpfelnd spärlich.

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