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Wachwechsel in Doha

Seit zwei Jahren mischt das kleine Emirat Katar die arabische Politik auf - vor allem als Finanzier der syrischen Rebellen und Unterstützer islamistischer Parteien in Ägypten und Tunesien. Nun hat der dortige Emir die Macht an seinen Sohn übergeben."

Von Stephanie Doetzer |
    Am Dienstag in Doha: kaum Menschen auf der Straße, das einzig Auffallende: viele schwarze Luxus-Limousinen vor dem Diwan, dem Regierungssitz des Emirs. Niemand muss arbeiten gehen, der Tag des Machtwechsels wurde kurzerhand zum öffentlichen Feiertag erklärt. Die meisten verbringen ihn vor dem Fernseher.

    "Draußen hat es tagsüber 45 Grad. Im Westen erwartet man Bilder von feiernden Leuten auf der Straße, aber wir sind mitten im katarischen Sommer, man hält es höchstens 20 Minuten draußen aus."

    Wer die Reaktionen der Kataris einfangen will, meint Michael Stephens, wissenschaftlicher Mitarbeiter eines britischen Thinktanks in Doha, der muss nicht auf die Straße, sondern ins Internet. Dort wird Sheikh Hamad, der zurückgetretene Emir, in den höchsten Tönen gefeiert. Auf Twitter schreibt ein junger Katari:

    "In 20 Jahren vom Entwicklungsland zum reichsten Land der Welt – so muss man ein Land regieren!”"

    In anderen Tweets heißt es: 'Hamad, wir sind Dir zu tiefster Schuld verpflichtet.' Und immer wieder der Satz: 'Du wirst für Dein Volk immer wie ein Vater sein.'

    Angesichts der Popularität des scheidenden Emirs, stört es in Doha kaum einen, dass da einfach ein Monarch die Macht an den nächsten übergibt.

    ""Die Kataris fordern bisher keine demokratischen Reformen. Im Gegenteil: Sie sehen, dass Experimente mit mehr Demokratie und Freiheit in Kuwait und Bahrain nur Instabilität gebracht haben. Die Kataris aber wollen Stabilität – und Wohlstand. Dass ein Machtwechsel im Land von ganz oben entschieden wird, ist für sie etwas ganz Normales. Und in den letzten zwei Jahren war die katarische Politik sowieso von Vater und Sohn gemeinsam geprägt, die Machtübergabe ist kein Schritt in Richtung Liberalisierung oder Demokratisierung."

    Vielmehr ist es eine pragmatische Entscheidung: Schon seit zwei, drei Jahren wurde in Katar viel über den Gesundheitszustand des bisherigen Emirs spekuliert. Und seit Monaten kündigen arabische Zeitungen eine Machtübergabe an. Abdelbari Atwan, der Chefredakteur der Tageszeitung "Al Quds al Arabi", war deswegen nicht überrascht. Und trotzdem, meint er, ist es etwas Besonderes, dass ein Emir mit nur knapp über 60 die Macht abgibt.

    "Wir haben Staatschefs in der arabischen Welt, die gehen nie freiwillig. In Saudi-Arabien ist der König über 90, schwer krank und trotzdem bleibt er der König. Mubarak war 84 und ist an der Macht geblieben, Gaddafi hat 42 Jahre durchgehalten, insofern ist das in Katar schon bemerkenswert, die meisten treten nicht zurück, bevor sie sterben."

    Fast auf den Tag genau 18 Jahre lang war Sheikh Hamad an der Macht. Unter ihm wurde das Land zum weltweit größten Exporteur von Flüssiggas und zu einem der reichsten Länder der Welt. Ein Jahr nach seinem Machtantritt gründete er das Medienimperium von Al Jazeera – und profiliert sich seit 2011 als Hauptsponsor all der arabischen Revolutionen, die im strategischen Interesse Katars liegen. Sein Nachfolger tritt ein politisches Erbe an, das kaum mehr zu überschauen ist, meint Atwan.

    "Katar hat die Führungsrolle im Syrien-Konflikt, es finanziert die neue ägyptische Regierung, es spielt eine wichtige Rolle in Somalia, in Darfur, in Libyen. Es ist überall involviert. Ich denke, das ist zu viel. Katar hat nicht genug qualifizierte Leute, um das alles zu schaffen. Man muss bedenken: Es gibt nur etwas mehr als 200.000 Kataris. All diese politischen Baustellen bewältigen zu wollen, das ist wie ein Mann, der fünf riesige Wassermelonen im Arm trägt und aufpassen muss, dass keine herunterfällt."

    Ob der 33-jährige Tamim Bin Hamad der Herausforderung gewachsen ist, wird in Katar eifrig diskutiert. Die meisten sind alleine deshalb zuversichtlich, weil er der Sohn des Vater-Emirs ist und sich zu viel Kritik von vornherein verbietet.

    Atwan hat Sheikh Tamim getroffen, als der Kronprinz noch Anfang 20 war. In Erinnerung hat er ihn als starken Charakter, sehr selbstbewusst. Und so wirkt er auch bei seiner ersten Fernsehansprache als neuer Emir.

    Steter Blick in die Kamera, gefasster Gesichtsausdruck eines Herrschers am Golf. Bekannt sind über ihn vor allem die biographischen Daten: Tamim ist das vierte von insgesamt 24 Kindern des scheidenden Emirs. Ausgebildet in England, an zwei Privatschulen, dann an der Militärakademie in Sandhurst. 2002 wird er an Stelle eines älteren Bruders der Thronfolger, schon seitdem hängt sein Foto in Doha in fast jedem öffentlichen Gebäude an prominenter Stelle.

    Doch während jeder sein Gesicht kennt, kennt kaum einer seine politischen Positionen, meint ein junger Intellektueller aus Doha, der anonym bleiben möchte, um offener sprechen zu können.

    "Wird er den gleichen außergewöhnlichen Weg einschlagen? Wissen Sie, katarische Politik ist nicht normal verständlich. Hier in Katar ist die amerikanische Militärbasis, von der aus Irak und Afghanistan bombardiert wurden. Und gleichzeitig gibt es in Doha das Büro der Taliban und die ganze Familie von Saddam Hussein wurde aufgenommen und lebt hier in einem Palast. Und der Sohn von Bin Laden wohnt auch hier. Also keiner kann voraussagen, wie katarische Politik sein wird, sie war bisher immer das Produkt von einem Mann, dem Emir, einem klugen und gleichzeitig sehr seltsamen Mann. "

    Sicher ist: Sheikh Hamad hat Fakten geschaffen, die sicherstellen sollen, dass sein Sohn die begonnene Politik weiterführen wird. Drei Tage vor dem Machtwechsel werden auf einer großen Syrien-Konferenz in Doha weitere Waffenlieferungen an syrische Rebellen beschlossen – und gleichzeitig ein umstrittenes Investment-Projekt über 300 Millionen Euro mit Frankreich.

    "Wenn Katar Sicherheit will, dann ist das die einzige Möglichkeit. Katar muss überall auf der Welt investieren und braucht weltweit Kontakte. Wenn Katar keine mächtigen Freunde hat, dann können Saudi-Arabien oder der Iran das Land mit Haut und Haaren verschlucken. Und keinen kümmert's. Aber jetzt wo Katar Milliarden in Frankreich, England und den USA investiert hat, werden die auch betroffen sein, wenn Katar etwas passiert."

    Und dass etwas passieren kann, das ist vielen Kataris sehr bewusst: Durch die Unterstützung sunnitisch-konservativer Gruppierungen im arabischen Frühling hat sich das Land erbitterte Feinde gemacht – und vielleicht die falschen Freunde. Den einen ist Katar zu islamisch, den anderen nicht islamisch genug. Das Gleiche gilt für den neuen Emir: manche bezeichnen ihn als sehr konservativ, andere als sehr westlich.

    Vielleicht hat er sich als Thronfolger aber auch genau deswegen gegen seine Brüder durchgesetzt, denn von den katarischen Prinzen heißt es in Doha: "Die einen feiern zu viel, die anderen beten zu viel."