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Wächter des Handelns

Vor mehr als 20 Jahren wurde an der Universität Tübingen das erste Ethikzentrum Deutschlands eingerichtet. Bis heute beschäftigt man sich dort mit hochbrisanten Themen wie der Präimplantationsdiagnostik oder der Zulässigkeit von Körperscannern.

Von Ulrike Mix |
    Für Eve-Marie Engels, die Sprecherin des Internationalen Zentrums für Ethik in den Wissenschaften, kam das Urteil genauso überraschend wie für die meisten Fachleute: Der Bundesgerichtshof hat die Präimplantationsdiagnostik für zulässig erklärt – und damit eine große Debatte ins Rollen gebracht.

    "20 Jahre lang war die überwiegende Mehrheit auch der Juristen davon überzeugt, dass die PID nicht vereinbar ist, mit dem Embryonenschutzgesetz. Deswegen überrascht mich dieses Urteil."

    Denn nach dem Embryonenschutzgesetz darf man nur Tätigkeiten am Embryo vornehmen, die seiner Erhaltung dienen. Ziel der Gentests an künstlich befruchteten Eizellen sei es aber, Embryos mit Erbkrankheiten zu entdecken – und zu töten. Juristisch gesehen läge bei der Debatte über die PID, die Präimplantationsdiagnostik, wohl einiges im Argen, meint Engels.

    Ethisch lässt sich die Frage nach der Zulässigkeit der PID nicht so leicht beantworten. Das Für und Wider abzuwägen, gute Argumente von weniger guten zu trennen, Konsequenzen abzuschätzen. Das ist für die Tübinger Ethiker Teil ihrer täglichen Arbeit, erklärt Umweltethiker Dr. Thomas Potthast. Es geht darum, Argumentationsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Entscheidung über richtig und falsch treffen dann andere.

    "Das heißt, wir versuchen, gute Argumente zu liefern. Ob das umgesetzt wird oder nicht, hängt ein bisschen davon ab, wie gut wir unsere Argumente, wie gut wir unsere Untersuchungen hinbekommen und es hängt natürlich auch davon ab, wie offen die Entscheidungsträger für gute Argumente sind."

    Eve-Marie Engels hat sieben Jahre lang im nationalen Ethikrat gesessen und ihre Argumente dort vorgebracht. Ihre Kollegin Professor Regina Ammicht-Quinn berät derzeit die baden-württembergische Landesregierung beim Thema interkultureller und interreligiöser Dialog und beschäftigt sich außerdem im Auftrag des Bundesforschungsministeriums mit dem Thema Sicherheitsethik. Es geht zum Beispiel darum, ob Körperscanner an Flughäfen zulässig sind – oder ob sie die Privatsphäre verletzen. Regina Ammicht-Quinn glaubt, dass ihre Arbeit in der Politik Gehör findet.

    "Wir werden ja nun auch von der Politik gefördert. Also es gibt ein großes Interesse, nicht Techniken zu entwickeln, von denen es sich irgendwann einmal herausstellt, dass sie weder die Akzeptanz der Menschen bekommen noch mit demokratischen Grundprinzipien übereinstimmen."

    Auch in der Medizin habe sich in den vergangenen 20 Jahren viel verändert, weil es professionelle Ethiker gibt, meint Roland Kipke. Im Studium ist die Ethik inzwischen fest verankert. Das hat Früchte getragen.

    "In der Medizinethik ist es ganz deutlich, dass sie maßgeblich dazu beigetragen hat, dass zum Beispiel das Prinzip der Selbstbestimmung, der Autonomie in der Medizin heute viel stärker anerkannt und auch rechtlich verankert ist, als es in früheren Zeiten war. Das heißt, dass Patienten selbst entscheiden können, wie sie behandelt werden, dass sie selbst einwilligen in ihre Behandlung. Das war früher längst nicht immer üblich."

    Generell sei es heute in den Biowissenschaften klar, dass man sich mit ethischen Themen auseinandersetzen muss. Deshalb kann das Ethikzentrum auch viele Forschungs- und Drittmittelprojekte an Land ziehen. In Tübingen ist außerdem der erste Lehrstuhl für Ethik in den Biowissenschaften entstanden, so Eve-Marie Engels.

    "Das Besondere ist eben, dass die Studierenden innerhalb ihres eigenen Faches ein Ethikkurrikulum angeboten bekommen. Also sie brauchen nicht zu sagen: Ich geh' jetzt in die Fakultät für Philosophie und versuche, mir irgendetwas anrechnen zu lassen, was ich da mache, sondern es ist fest verankert."

    Außerdem hat das Tübinger Ethikzentrum den Impuls dafür gegeben, dass sich inzwischen alle Lehramtsstudenten in Baden-Württemberg mit ethischen Grundfragen befassen müssen.