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Währung in Not?

Die Realwirtschaft in Europa sackt immer mehr ab. Länder wie Spanien, Italien oder Irland haben stark mit sinkenden Steuereinnahmen zu kämpfen und mit steigender Arbeitslosigkeit. Besonders hart trifft es allerdings Griechenland.

Von Alois Berger | 13.12.2009
    Die Finanzkrise wird zum Härtetest für die Europäische Währungsunion. Und es ist nicht sicher, ob der Euro diesen Test überall überstehen wird. Denn einige Euro-Länder befinden sich in einem Abwärtsstrudel, aus dem sie offensichtlich kaum noch herauskommen. Die öffentlichen Finanzen erschöpft, die Haushalte überschuldet, sackt auch die Realwirtschaft immer weiter ab. Vor allem Griechenland, aber auch Spanien, Irland und Italien kämpfen gegen sinkende Steuereinnahmen, wachsende Leistungsbilanzdefizite und erdrückende Zinslasten.

    Früher hätten die Regierungen ihre Währungen abgewertet, um auf diesem Weg wieder konkurrenzfähig zu werden, sagt Daniela Schwarzer von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Aber in einer Währungsunion gehe das nicht mehr:

    "Diese Länder haben das Anpassungsinstrument des Wechselkurses nicht, müssen also mit anderen Mitteln reagieren. Das wäre zum Beispiel, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft durch strukturelle Reform zu verbessern, und da sehen wir im Moment in einigen Mitgliedsstaaten nicht den nötigen Willen. Insofern könnte sich dort die Situation verhärten, so dass wir anhaltend mit Wettbewerbsschwierigkeiten zu kämpfen haben, mit Arbeitsplatzverlusten und allem, was damit einhergeht."

    Vor allem die Situation in Griechenland macht den anderen EU-Regierungen Angst. Das Land hat bereits Schulden in Höhe von 250 Milliarden Euro, die Summe übersteigt das gesamte Bruttoinlandsprodukt. Das Beunruhigendste aber ist die Geschwindigkeit, mit der Griechenlands Schuldenberg wächst. 12,7 Prozent Neuverschuldung hat Finanzminister Papakonstantinou für dieses Jahr angekündigt, im kommenden Jahr peilt er etwas mehr als neun Prozent an. Doch das heißt nicht viel. Bisher hat Athen Jahr für Jahr die eigenen Schuldenprognosen über den Haufen geworfen, dafür noch eins draufgesetzt und noch mehr Schulden gemacht als angekündigt.

    Dabei gehört Griechenland zu den Ländern, die von der Finanzkrise vergleichsweise wenig getroffen wurden. Die griechische Wirtschaft exportiert kaum, und griechische Banken waren offensichtlich weniger in internationale Geschäfte verwickelt als die Finanzinstitute anderer Länder. Griechenlands Problem liegt darin, dass das Land auch in normalen Zeiten über seine Verhältnisse lebt.

    Die EU-Kommission will nun strenger gegen Athen vorgehen. Doch wie streng, darüber muss der für Währungsfragen zuständige EU-Kommissar Joachim Almunia noch nachdenken.

    "Im Fall Griechenland sind wir uns mit der griechischen Regierung einig, dass bisher noch keine geeigneten Maßnahmen getroffen wurden, um das übermäßige Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen. Wir nehmen das zur Kenntnis und werden in einigen Monaten den nächsten Schritt beim Defizitverfahren gegen Griechenland einleiten."

    Griechenland gehört zu den Ländern, deren Regierungen es einfach nicht schaffen, Konzepte in Politik umzusetzen, Programme nicht nur aufzustellen, sondern sie auch einzuhalten. Finanzpolitisch trudelt das Land seit mehr als zehn Jahren nahezu führungslos dahin. Selbst in Jahren des wirtschaftlichen Aufschwunges hat Athen bis auf eine einzige Ausnahme jedes Jahr die Maastrichter Stabilitätskriterien verletzt. Nur 2006 soll Griechenland weniger als drei Prozent neue Schulden gemacht haben.

    Doch selbst daran gibt es Zweifel. In den vergangen Jahren musste Athen immer wieder einräumen, bei den Schuldenstatistiken getrickst und gelogen zu haben. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber fordert von der EU-Kommission, sie solle endlich Ernst machen und Geldstrafen verhängen.

    "Griechenland ist – um es in aller Deutlichkeit zu sagen - dran, jetzt Sanktionen auferlegt zu bekommen. Griechenland hat schon schöngerechnet, als sie Mitglied der Währungsunion geworden sind. Sie haben damals die Mehrwertsteuer gesenkt, so dass sie das Kriterium der Inflationsrate erfüllen konnten. Sie haben dann gesündigt, weil sie die Militärausgaben bei den staatlichen Ausgaben nicht berücksichtigt haben. Und ähnliches haben sie jetzt wieder gemacht."

    Doch mit hohen Geldstrafen, wie sie nach dem Stabilitätspakt theoretisch möglich wären, wäre im Fall Griechenlands nicht viel gewonnen. Das würde die griechischen Schulden nur noch weiter nach oben treiben. Daran können die Euro-Länder aber kein Interesse haben. Denn Griechenland könnte das erste Euro-Mitglied sein, das in den Staatsbankrott schlittert – und dann möglicherweise noch andere europäische Wackelkandidaten mitreißt.

    Die Finanzmärkte verlangen von der griechischen Regierung bereits einen Risikoaufschlag, der diese Woche noch einmal erhöht wurde. Obwohl die Europäische Zentralbank von den Geldhäusern im ganzen Euroraum einen einheitlichen Zins von nur rund einem Prozent verlangt, muss die griechische Regierung inzwischen für langfristige Staatsanleihen an den Finanzmärkten fast sechs Prozent Zinsen zahlen, das ist gut doppelt soviel wie beispielsweise die deutsche Regierung bieten muss. Jedes Prozent mehr bedeutet für Griechenland jährliche Mehrkosten von zweieinhalb Milliarden Euro. Ein Teufelskreis.

    Der Präsident der Eurozone, der Luxemburger Premierminister Jean-Claude Juncker, bemüht sich in diesen Tagen, den Druck auf Athen zu erhöhen und gleichzeitig die Finanzmärkte zu beruhigen:

    "Die griechische Regierung hat mit der Vorstellung ihres Haushaltsplans 2010 einen sehr wichtigen Schritt in Richtung Konsolidierung der Finanzen gemacht. Aber es sind noch weitere Maßnahmen nötig. Doch das Szenario, das in einigen Zeitungen beschrieben wird, dass Griechenland vor dem Staatsbankrott steht, ist völlig abwegig. Griechenland ist nicht bankrott und wird es auch nicht sein. Wir sind überzeugt, dass Regierung und Parlament in Athen die nötigen Schritte zu einer strukturellen Verbesserung der Staatsfinanzen einleiten werden. Ich sehe nicht den Schatten eines Verdachts, dass Griechenland pleite gehen könnte."

    Einige EU-Regierungen stellen sich darauf ein, Griechenland notfalls mit größeren Milliarden-Summen zu stützen. Am deutlichsten hat das schon vor einiger Zeit der damalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück gesagt. Im Ernstfall würden die Euro-Länder füreinander einstehen, so Steinbrück.

    Beim EU-Gipfel in dieser Woche klang das differenzierter. Die Stabilität des Euro sei "unser aller Sorge", sagte Angela Merkel. Die Losung der schwedischen Ratspräsidentschaft jedoch hieß: Griechenlands Sorgen sind innenpolitische Sorgen. So oder so: Manchem Finanzminister Europas würde es bitter aufstoßen, wenn Athen trotz seiner laschen Haushaltsführung, seiner Reformverweigerung und seinen Tricksereien durchkäme, mithilfe anderer Länder der Eurozone. Aber anders gehe es nicht, meint Daniela Schwarzer von der Stiftung Wissenschaft und Politik:

    "Ich denke, das entspricht einfach der Realität heute in der Eurozone. Die Mitgliedsländer können es sich schlichtweg nicht leisten, ein anderes Mitgliedsland bankrott gehen zu lassen. Es würde sicher in irgendeiner Form, ob jetzt aus der Eurozone heraus, oder mit dem IWF oder der IWF alleine: Es würde Stützungspakete geben, aber sie wären mit harten Auflagen verbunden, und das wäre ein Hebel, um einzelne Mitgliedsstaaten, die in den letzte Jahren ihre Reform nicht gemacht haben, dann doch auf einen Kurs zu bringen, dass sie langfristig besser mit der gemeinsamen Währung leben können."

    Das gilt nicht nur für Griechenland, sondern auch für Länder wie Italien, Irland und Spanien. Während Irland sich durch ungenügende Kontrolle der Banken in die Klemme gebracht hat, ist Italien ähnlich wie Griechenland vor allem durch politisches Nicht-Handeln immer weiter abgerutscht. Spanien dagegen leidet unter einer anhaltenden Wettbewerbsschwäche seiner Industrie, die sich in einer hohen Arbeitslosigkeit von fast 20 Prozent ausdrückt. Zum Vergleich: Deutschland hat derzeit acht Prozent Arbeitslosigkeit.

    Vier Länder, vier Ursachen und keine überzeugenden Rezepte. Um die explodierenden Staatsschulden in den Griff zu bekommen, wären in allen Ländern drastische Sparmaßnahmen nötig. Doch in der derzeitigen Wirtschaftslage sind solche Einschnitte nicht nur schwer durchsetzbar, sie würden möglicherweise auch mehr schaden als nützen. Die Weltkonjunktur und auch die Konjunktur in Europa stehen auf äußerst schwachen Füßen. Eine rigide Sparpolitik, so wichtig sie für die öffentlichen Finanzen in einigen Ländern wäre, wäre gefährlich für die zarten Ansätze von Wachstum.

    Die EU-Kommission versucht nun den vorsichtigen Spagat. Einige Länder sollen ein bisschen sparen, andere sollen vorerst an ihren Ausgabenprogrammen festhalten. Wer noch nicht allzu hohe Schulden hat, soll Geld ausgeben, Subventionen in die Wirtschaft pumpen, staatliche Investitionsprogramme finanzieren. Die EU-Kommission muss die Regierungen dazu nicht eigens auffordern. Sie muss nur die Zügel schleifen lassen. Denn fast alle Länder geben derzeit mehr Geld aus, als sie nach den Euro-Stabilitätskriterien ausgeben dürften.

    Es wäre nun eigentlich Aufgabe der EU-Kommission, die Regierungen zu zwingen, so schnell wie möglich zur soliden Haushaltsführung zurückzukehren. Wir beurteilen jedes Land nach seinen spezifischen Möglichkeiten, sagt Währungskommissar Joachim Almunia:

    "Gleiche Behandlung bedeutet, dass wir unterschiedliche Mitgliedsstaaten auch unterschiedlich behandeln. Denn die Situation ist nicht überall dieselbe. Jedes Mitgliedsland hat seine ganz eigenen Herausforderungen, die Defizite sind unterschiedlich hoch, die Gesamtschulden, die Arbeitslosigkeit und auch die Arbeitsmarktregeln sind so verschieden wie die Prioritäten und die unterschiedliche Ausgangspunkte bei Effizienz und Finanzierung der Beschäftigungsmaßnahmen. Das bedeutet, dass wir für jedes Land eine eigene Frist und ganz spezifische Anforderungen für die Korrektur des Haushaltsdefizits festlegen."

    Zur Zeit verstoßen 20 der 27 EU-Länder gegen die Regeln des Euro-Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Einige, wie etwa Deutschland, überschreiten die Drei-Prozent-Neuverschuldungsgrenze nur knapp. Andere, darunter Griechenland und Italien, aber auch Großbritannien und Frankreich, machen drei bis viermal mehr neue Schulden, als der Pakt erlaubt. In normalen Zeiten könnte man den Stabilitätspakt damit für tot erklären. Doch die Zeiten sind nicht normal. Die EU-Regierungen hatten kaum eine andere Wahl, als die Staatsausgaben drastisch zu erhöhen. Es ging schließlich darum, das Bankensystem zu retten und die volkswirtschaftliche Kernschmelze zu verhindern. Für solche Extremsituationen sind im Stabilitätspakt sogar ausdrücklich Ausnahmen von der Schuldendisziplin vorgesehen.

    Selbst in der Krise ist der europäische Stabilitätspakt nicht völlig wirkungslos. Früher hätte jede Regierung allein auf die eigene Volkswirtschaft geschaut und nach deren Bedürfnissen gehandelt. Durch den Stabilitätspakt sind sie nun immerhin gezwungen, sich vor den EU-Partnern für ihre Finanzpolitik zu rechtfertigen. Das hat die Ausgabenprogramme vermutlich etwas gedrosselt, vor allem aber hat es dazu geführt, dass die Regierungen sich gegenseitig über ihre Finanzpläne in Kenntnis gesetzt haben. Besonders die wirtschaftlich stärkeren EU-Staaten haben ihre Ausgabenprogramme zwar nicht völlig, aber doch sehr weitgehend aufeinander abgestimmt. Selbst der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold, ein vehementer Globalisierungskritiker, räumt ein, dass sich die EU-Regierungen nach anfänglichen Alleingängen zu einer relativ engen finanzpolitischen Kooperation aufgerafft hätten.

    "Es hat ziemlich viel Abstimmung gegeben, ohne dass allzu laut darüber geredet wurde. Dass einige Länder, die schwächer sind, eben kein Defizitspending machen, während Länder die stärker sind, deutlich mehr getan haben. Gleichzeitig brauchen wir aber eine stärkere wirtschaftspolitische Integration in Europa, sowohl bei den Steuern, damit dieser unsägliche Steuer-Wettbewerb aufhört, als auch bei der Harmonisierung der Staatsausgaben."

    Mehr europäische Zusammenarbeit bei Steuern und Staatsausgaben, das ist für die meisten Finanzminister der EU derzeit kein Thema. Für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zum Beispiel geht es jetzt erst einmal darum, wie die EU aus der Schuldenmacherei wieder herauskommt. Exitstrategie sagen sie dazu in Brüssel, und das hört sich einfacher an als es ist. Denn noch ist die Bankenkrise nicht überwunden, noch lauern in vielen Tresoren Milliardenrisiken. Und entsprechend viel Geld müssen die Regierungen noch bereithalten, um notfalls weitere Bankenzusammenbrüche zu verhindern. Vor allem in Irland und Großbritannien ist die Unsicherheit groß, wie viele Milliarden noch gebraucht werden.

    Dazu kommen die Subventionen für die Realwirtschaft, um nach der Rezession das Wachstum wieder anzukurbeln. Fast alle EU-Staaten haben für das nächste und teilweise auch das übernächste Jahr große Konjunkturprogramme geplant, die das Haushaltsdefizit belasten. Die EU-Kommission rechnet damit, dass die meisten Mitgliedsländer möglicherweise noch drei, vier Jahre lang weitere Schulden anhäufen, bevor sie mit dem Abbau der Schulden beginnen können. In einigen Ländern wird sich der Schuldenstand dann, verglichen mit den Statistiken zu Beginn der Krise, vervierfacht haben.

    Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hofft, dass zumindest Deutschland, Österreich, die Niederlande und vielleicht noch ein paar andere Staaten bereits 2011 ihre Neuverschuldung wieder unter die drei Prozent-Grenze drücken können.

    "Wenn die Finanzmärkte nachhaltig stabilisiert sind, können die Stabilisierungsmaßnahmen auslaufen. Aber natürlich ist eine Koordinierung des Ausstiegs, zumindest auf europäischer Ebene, aber wahrscheinlich besser noch international, aufgrund des hohen Vernetzungsgrades der Finanzmärkte, notwendig. Es heißt aber nicht, dass alle Länder zwingend ihre Rettungspakete zum selben Zeitpunkt beenden müssen. Da kann auf länderspezifische Aspekte natürlich Rücksicht genommen werden."

    Das hört sich nach sehr lockerer Koordinierung an. Nachdem es unmittelbar nach Ausbruch der Krise weitgehend Einigkeit unter den Regierungen gab, dass die EU-Staaten unbedingt enger zusammenarbeiten müssten, sind jetzt schon wieder starke Absetzbewegungen spürbar - nicht nur in Großbritannien, auch in Deutschland. Vor allem konservative Politiker bauen darauf, dass es im Grunde reicht, dem Stabilitätspakt wieder Autorität zu verschaffen. Allerdings, so der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, müsse man den Pakt nachbessern. Vor allem hochverschuldete Länder müssten gezwungen werden, entschieden mehr für den Schuldenabbau zu tun.

    "Nehmen Sie nur Italien, das es schaffen konnte, seine Zinsrate von zehn Prozent für Staatsanleihen auf 2,5 Prozent zu senken. Dieses ersparte Geld hätte eigentlich in die Schuldentilgung fließen müssen. Und das hätte von Brüssel verordnet werden müssen, und deshalb gehört so was in den Stabilitätspakt."

    Schuldenberge lassen sich abbauen. In Europa hat das Finnland vor 15 Jahren eindrucksvoll belegt. Der Regierung gelang es damals, mit einschneidenden Reformen und einem Umbau der Wirtschaft die enorme Arbeitslosigkeit, Wettbewerbsschwäche und Überschuldung zu bewältigen. Finnland gehört heute zu den wenigen Ländern, die den Stabilitätspakt auch in schwierigen Zeiten einhalten.

    Doch im Europaparlament setzt sich quer durch fast alle Parteien langsam die Erkenntnis durch, dass der Stabilitätspakt alleine nicht ausreicht, um bei künftigen Krisen noch größere wirtschaftliche Spannungen und Verwerfungen zu verhindern. Dafür sind die Volkswirtschaften in Europa einfach zu unterschiedlich. Wolf Klinz ist FDP-Abgeordneter und Vorsitzender des Sonderausschusses zur Finanzkrise im Europaparlament.

    "Wir haben keine einheitliche Steuerpolitik in der Eurozone. Und dieses Fehlen des fiskalischen Elementes, das im Zusammenspiel mit der Geldpolitik im Prinzip für Stabilität sorgen soll, wurde damals ersetzt durch den Maastricht-Vertrag. Das war damals eine Notlösung, wenn Sie so wollen, und möglicherweise stellt sich heraus, dass es kein Ersatz eins-zu-eins ist."

    Nach Ansicht von Daniela Schwarzer von der Stiftung Wissenschaft und Politik ist nicht nur eine gemeinsame europäische Steuerpolitik nötig, sondern auch eine integrierte EU-Lohn- und Beschäftigungspolitik. Die bislang praktizierte sogenannte offene Koordinierung zwischen den Mitgliedern der Währungsunion reicht für Schwarzer nicht aus, um künftigen Krisen vorzubeugen. Offene Koordinierung bedeutet, dass sich die Mitgliedsstaaten auf ein gemeinsames Ziel einigen und sich dann gegenseitig drängen, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Vor allem in der Wirtschaftspolitik ist offene Koordinierung zu einem beliebten Mittel geworden, um jede verpflichtende Zusammenarbeit zu umgehen. Doch die bisherigen Erfahrung mit dieser Politik seien nicht überzeugend, sagt die Wissenschaftlerin Schwarzer.

    "Da sehen wir, dass das Ergebnis nicht immer optimal ist. Insbesondere in der Krise war der fiskalische Stimulus in einigen Ländern zu spät und vielleicht nicht ausgeprägt genug. Die Regierungen wollen aber diese Stufe nicht gehen, anzuerkennen: o.k., wir haben eine gemeinsame Währung, wir müssen uns makroökonomisch, auch was die gemeinsame Lohnpolitik anbelangt, viel stärker aufeinander abstimmen, weil uns einfach ein grundsätzliches Anpassungsinstrument, der Wechselkurs, fehlt."

    Bislang haben alle Euro-Länder von der gemeinsamen Währung profitiert: Die wirtschaftlich schwächeren Länder wie Italien oder Griechenland, weil sie an den Finanzmärkten einen wesentlich günstigeren Zinssatz für ihre Staatsschulden bekamen als sie mit ihrer eigenen Währung bekommen hätten. Und die stärkeren Länder wie Deutschland, weil die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit nicht wie früher durch Aufwertungen ihrer Währung wieder zunichte gemacht wurde. Doch die großen Unterschiede in den Handelsbilanzen schaffen auch wirtschaftliche Spannungen, die in Krisenzeiten zu ernsthaften Problemen führen, wie sie einige Länder derzeit erleben.

    Politikforscher wie Daniela Schwarzer sehen im Grunde nur zwei Möglichkeiten, die strukturellen Spannungen innerhalb der Eurozone abzubauen. Entweder die EU-Länder entwickeln einen Mechanismus, um die großen Handelsbilanzunterschiede abzubauen. Dazu müssten auch die wirtschaftlich starken Länder beitragen, indem sie ihre Handelsüberschüsse begrenzen, zum Beispiel durch eine gezielte Stärkung der Binnennachfrage. Oder die EU-Regierungen einigen sich auf eine gemeinsame Steuer- und Beschäftigungspolitik.

    Beides würde bedeuten, der Europäischen Union mehr Einfluss auf die nationale Wirtschaftspolitik zu geben. Doch dazu sind die meisten EU-Regierungen nicht bereit. Noch nicht, meint Daniela Schwarzer von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

    "Im Moment gibt es keine Mehrheiten, aber ich denke, dass durch die Finanzkrise vielen klar geworden ist, zunächst nicht in der breiten Öffentlichkeit, aber bei den Entscheidungsträgern, die in der Krise gelernt haben, wie groß die gegenseitige Abhängigkeit wirklich ist. Ich bin überzeugt, dass der Euro jetzt die nächsten Jahre nicht auseinanderbricht. Aber wenn wir uns nicht besser koordinieren, bleiben wir langfristig unter unserem Potenzial. Und dann können wir uns vornehmen, der wettbewerbsfähigste Raum der Welt zu werden, das wird dann nicht passieren, wenn wir nicht die Tatsache, dass wir eine gemeinsame Währung haben, konsequent zu Ende denken."