"Nein, kein philosophischer Kern, sondern eine Art von Konterattacke gegen die Art und Weise, wie die Florstädter in dem Buch denken, reden, sprechen, handeln. Die gehen ja immer unmittelbar davon aus, dass alles, was sie sagen oder was sie erfahren, sofort und in jeder Hinsicht die Wahrheit ist. Sie geben das an andere weiter, die anderen nehmen das auch sofort als Wahrheit hin. In diesem Kommunikationsprozess geht ständig Wahrheit verloren, soviel Wahrheit verloren, dass am Ende überhaupt niemand mehr weiß, was wahr ist und was nicht. Und sozusagen die Konterattacke dagegen ist der Satz, dass die Gedanken den Dingen keinerlei Notwendigkeit auferlegen. Der Schossau. weiß sozusagen als einer der wenigen in dem Buch, wie's abläuft. Allerdings ist es ja so, dass am Anfang des dritten Teils wieder gekontert wird, weil er sagt, auch dieser Satz kann keinerlei Notwendigkeit für sich beanspruchen. Das ist ja so, dass die Leute immer mit diesem Problem der Notwendigkeiten in dem Buch auch Probleme haben. Und sie benutzen ständig Notwendigkeiten, indem sie einfach zum Beispiel das, was andere ihnen sagen, sofort notwendigerweise für ganz wahr halten. Und notwendigerweise ergibt sich dann daraus für die diese Welt, die eigentlich nur rein sprachlich da ist, aber sie halten sie für die Welt. Der Schossau hält es eher für einen Lärm, was da erzeugt wird."
Vom Hohen, Abstrakten springt die Handlung zum Empirischen, auch Banalen, wobei sie Elemente des Heimat- wie des Kriminalromans in sich vereint. Anklänge eines Bildungsromans kommen hinzu, als ein Jüngling namens Anton Wiesner durch die Vorgänge nach Adomeits Tod zu einem Erkenntnisschock getrieben wird. Auch er wird im streng dualistischen Aufbau des Textes zu einer Symbolfigur.
"Der Wiesner steht an einem notwendigen Punkt seines Lebens, an dem, glaube ich, jeder mal steht. Irgendwann ist man an dem einen winzigen Punkt. Vielleicht merkt man den in seinem Leben gar nicht, wo die Chance besteht, dass die Begriffe sich für einen zersetzen können. Bei Wiesner wird das höchstwahrscheinlich in die Richtung gehen, dass er ebenso wird wie die anderen Nieder-Florstädter. Aber ich wollte damit zeigen - oder in einer anderen Form gesagt - mir scheint dieser Wiesner auch dadurch erklärbar zu sein, dass ich offensichtlich der Meinung bin, so muss ich aus dem Text schließen, dass jeder Mensch irgendwann mal vor dieser Grundwahl steht: Beginne ich, mit meinen eigenen Begriffen zu arbeiten oder nicht. Offenbar steht der Wiesner davor."
Andreas Maier wurde 1967 in Bad Nauheim geboren. Sein Debüt ist philosophisch grundierter Thesenroman und kauziges Sittengemälde in einem. Der hartnäckig durchgehaltene Konjunktiv verleiht "Wäldchestag" einen eigentümlichen Reiz: Hier wird einfach alles in Frage gestellt und durch die Möglichkeitsform dem Zweifel ausgesetzt. Mit diesem Ton fiel Maier bereits beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb auf: Seine in Klagenfurt vorgetragene "Diagnosestunde" verdichtete durch die indirekte Rede ironisch die deutsche Geschichte in ihren Verklemmungen und Verdrängungen. Das trug ihm den Ernst-Willner-Preis ein. Nach dem Preis der Jürgen-Ponto-Stiftung kam jetzt noch der angesehene Aspekte-Literaturpreis hinzu.
Auf den Vergleich mit den artistischen Hasstiraden Thomas Bernhards reagiert der Germanist inzwischen allergisch; er schätzt den Schweizer E.Y. Meyer. Dessen Roman "In Trubschachen" karikiert den Ortsgeist des Emmentals. Andreas Maiers Suaden im Konjunktiv, diesem bald unter Artenschutz stehenden Modus, haben etwas von den Rechtfertigungsreden der ausgegrenzten Individuen Hermann Burgers und von Hanns Dieter Hüschs epischer Kabarettnummer, die immer mit dem Satz "Hagenbuch hat jetzt zugegeben" beginnt. Maier:
"Ich hab lange Zeit nicht gemerkt, dass ich im Konjunktiv schreibe. Ein Freund hat mich darauf hingewiesen. Offensichtlich ist mir das unter der Hand in einer gewissen Werkphase zur Selbstverständlichkeit geworden. Tja, was reizt mich daran? Der Text wird dadurch zum Zitat. Der Sprecher geht verloren. Das bildet vielleicht ein bisschen vielleicht das ab, was ich vorhin mit Wahrheitsverlust in der Kommunikation gesagt hab. Für den Schossau im Roman ist es das, was die anderen Leute reden, Lärm. Und vielleicht kann das Lärmen dieser Sprache dadurch ein bisschen zum Ausdruck gebracht werden, dass sie so massiv im Konjunktiv erscheint und wie ein Wust den Leser zu erdrücken scheint, obwohl das ja offensichtlich in dem Roman auf eine amüsante Weise erzählt ist. Das wird zumindest immer wieder gesagt. Einerseits nimmt man die Keule schon sehr wahr, aber andererseits ist es komischerweise auch ein erzählerischer Roman. Das wundert die Leute. Die sagen dann auch, das hat einen gewissen Charme, und das, was sie über diesen Charme sagen, erinnert mich ein bisschen an den Charme, den für mich Konjunktivpassagen aus meiner Lokalzeitung haben. Immer wenn ich zum Beispiel Berichte lese über Geflügelzuchtvereine oder die Rede eines Vorsitzenden, die wiedergegeben wird, bekommt diese Rede für mich ein ganz großes Gewicht und eine Tonlage dadurch, dass sie im Konjunktiv wiedergegeben wird. Das hat irgendwie so einen Klick, den kann ich nicht genau beschreiben."
Die Trauergesellschaft, zu der sich die zerstrittenen, keinesfalls trauernden Verwandten Adomeits zusammenfinden müssen, ergeht sich in Dissonanzen. Von seinem Sohn, der bei der Oberhessischen Stromversorgungs AG sein Brot verdient, hielt der elitäre Adomeit nur wenig. Seine Schwester soll er einst wegen ihres unehelichen Kindes verjagt haben; ein Verhältnis mit der Putzfrau und ungeahnte Reichtümer stehen als weitere Gerüchte im Raum. Mit ihrem Gerede frönen die Hinterbliebenen einem Kommunikationsprozess, bei dem ständig Wahrheit und Substanz verlorengehen. Es ersteht ein Denkmal für Adomeit als Individualisten, der versucht hat, - Zitat - "dem Leben gegenüber seine eigene Hoheit nicht aufzugeben". Maier:
"Ein Denkmal setzen die Nieder-Florstädter dem Adomeit zwar schon, aber das tun sie natürlich unfreiwillig. Man merkt daran, wie reizauslösend offensichtlich so eine Person auf die Gemeinschaft beziehungsweise auf das Kollektiv der Sprechenden ist. Das Kollektiv der Sprechenden hat seine Struktur, die will es erfüllt wissen. Und wer da nicht mitmacht, der kommt sofort außen vor und erzeugt in diesem Redekollektiv Rede über ihn. Also, dieses Denkmal geschieht sozusagen etwas unfreiwillig. Und man muss ja auch sagen, das ist ein Denkmal des Hasses. Auch wenn ich den Pfarrer davon ausnehmen will. Ja, dass man von dem allzu Abstrakten ins Empirische abgleitet, das ist, glaube ich, etwas, was auf mich und auf Sie oder auf Leute unserer Fasson immer zutrifft. Aber das entspricht auch der Struktur des ganzen Romans, insofern ich vorhin versucht habe, darzulegen an dem Satz "Meine Gedanken erlegen den Dingen keinerlei Notwendigkeit auf". Auch dieser sehr abstrakte Satz wird ja zurückgenommen. Und dieses Zurücknehmen von Dingen, mit denen man versucht, irgend etwas zu sagen, das findet ja im Roman ständig statt. Also, insofern ist die Struktur schon angelegt."
Das Biedermeier überwintert im Hessischen. Butzenscheiben, ein gewisser Geibel - wie der "Backfischlyriker" jener Epoche - und die allmächtige AOK bestimmen den Ortsgeist. Der Roman als Ganzes dient dem von den Ereignissen erschöpften Schossau als - Zitat - "Vorlage zur Bewilligung von Kuren auf Beitragsbasis der hiesigen Kassenstelle" - ein später Sieg der AOK.
Andreas Maiers "Wäldchestag", in dem nicht nur heftig nachgedacht, sondern auch viel gegrillt und geschwärmt wird, setzt selbst beim geneigtesten Leser Frustrationstoleranz voraus. Das betrifft vor allem die wechselnden Erzählperspektiven, die keiner Hierarchie unterliegen. Doch der Genuss am Witz und an der Kühnheit des Unternehmens überwiegt. Wenn der Geist von Descartes über die Wetterau kommt, müssen Risiken und Nebenwirkungen in Kauf genommen werden.