Dienstag, 19. März 2024

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Waffenruhe in Syrien
"Assad wartet lauernd ab"

Die seit Mitternacht weitgehend eingehaltene Waffenruhe in Syrien stimme sie noch nicht optimistisch, sagte die Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut, Bente Scheller, im DLF. Die Achillesferse des Konflikts sei Präsident Assad. Mit ihm sei ein Frieden nicht möglich - Verhandlungen wolle er auf jeden Fall vermeiden.

Bente Scheller im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 27.02.2016
    Eine Straße in Douma, Syrien, ist am 27.01.2016 nach einem Luftangriff von Trümmern übersät.
    Eine Straße im syrischen Douma ist nach einem Luftangriff von Trümmern übersät. (picture alliance / dpa / Mohammed Badra)
    Der syrische Präsident Assad warte nun lauernd ab, sagte die Syrien-Expertin Bente Scheller im Deutschlandfunk. Ein Frieden in dem Land sei möglich, aber nicht mit Assad. Es komme jetzt auf die Vereinbarungen der verschiedenen Akteure an - sowohl derjenigen innerhalb des Landes als auch die der internationalen Gemeinschaft. Die Schwierigkeit sind laut Scheller die gespaltene Opposition und die Zivilgesellschaft. Die Friedensverhandlungen würden daher nicht leicht.
    Scheller betonte außerdem, dass die internationale Gemeinschaft auch eine Verantwortung trage an der Eskalation des Konflikts. Spätestens seit dem Einsatz von Chemiewaffen 2013, als dies als Überschreitung der roten Linie formuliert wurde, aber nichts geschah, sei Assad das Signal gegeben worden, er könne fortfahren wie bisher.
    Waffenruhe wird eingehalten
    Die Waffenruhe in Syrien wird bislang offenbar weitgehend eingehalten. Die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte erklärte, die Kampfhandlungen seien mit einigen wenigen Ausnahmen eingestellt worden. Auch russische Kampfflugzeuge seien nach Mitternacht nicht aktiv gewesen. Die Beobachtungsstelle stützt sich auf ein Netz von Informanten in Syrien. Die Waffenruhe soll es Hilfsorganisationen ermöglichen, dringend benötigte Lebensmittel und Medikamente zur Zivilbevölkerung zu bringen.
    Die Friedensgespräche für Syrien könnten am 7. März wieder aufgenommen werden. Das teilte der UNO-Sondergesandte Staffan de Mistura mit. Bedingung sei allerdings, dass die Waffenruhe eingehalten werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Die erste Waffenruhe für Syrien in diesem Jahr ist gescheitert. Sie war ja vereinbart worden auf der Münchener Sicherheitskonferenz, dann aber nicht realisiert worden. Jetzt folgt der zweite Anlauf, die USA und Russland haben diese Waffenruhe vereinbart, die Regierung in Damaskus und zahlreiche Oppositionsgruppen haben dem zugestimmt. Nur auf Terroristen, auf die darf weiter geschossen werden.
    ((Bericht))
    Gibt es für Syrien überhaupt eine Chance auf Frieden? Und kann diese Waffenruhe dabei helfen? Darüber möchte ich jetzt mit Bente Scheller sprechen. Sie ist Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Guten Morgen, Frau Scheller!
    Bente Scheller: Guten Morgen!
    Büüsker: Frau Scheller, hätten Sie damit gerechnet, dass es mit dieser Waffenruhe tatsächlich klappt – zumindest temporär?
    Scheller: Ich denke, alleine diese Frage ist schon erheiternd, weil wir ja jetzt über acht Stunden gerade reden, eine Waffenruhe, die mindestens zwei Wochen dauern soll. Also, ich denke, die Frage zeigt sehr deutlich, was für geringe Erwartungen eigentlich alle daran hatten. Und es ist natürlich erfreulich, dass abgesehen von kleineren Verstößen diese Zeit schon einmal die Waffenruhe gehalten hat, aber das ist noch nichts, was uns wirklich optimistisch stimmen sollte.
    Büüsker: Aber es ist zumindest mal ein positives Zeichen!
    Scheller: Auf jeden Fall, und ich denke auch, gerade diejenigen in den Gebieten, die dauerhaft dem Bombardement immer ausgesetzt waren, werden das sehr zu schätzen wissen.
    Büüsker: Wie viel taugt denn so eine Waffenruhe überhaupt, wenn Terroristen trotzdem weiter ins Visier genommen werden dürfen? Es gibt ja keine klare Definition davon, wer Terrorist ist.
    Scheller: Genau, und das ist auch vielleicht das Hauptproblem, weil wir ja in den letzten Jahren immer wieder gesehen haben: Für das syrische Regime und auch für Russland sind eigentlich alle Oppositionellen Terroristen, da wird nicht groß Federlesens gemacht, wer jetzt in den Gegenden sitzt, die bombardiert werden. Und das ist vielleicht sozusagen die Achillesferse des ganzen Konstrukts.
    Büüsker: Ist dann derjenige, der sich am meisten über diese Waffenruhe freut, Baschar al-Assad?
    Scheller: Ich denke, dass es ihm auf jeden Fall im Moment auch eine hoch willkommene Atempause gewährt. Er hat sich in den letzten Wochen nicht mehr unter Druck gesehen, weil ja durch die starke russische Unterstützung es so aussah, als könne er das Blatt für sich wenden. Ich denke, dass trotzdem das ganze Ringen darum noch sehr zäh war, weil es natürlich auch eine Sache ist, was die internationale Gemeinschaft will, nämlich Verhandlungen, und eines, was Baschar al-Assad will, und der möchte gerade Verhandlungen eigentlich vermeiden. Also, er möchte keine Konzessionen machen und deswegen denke ich, dass es für ihn auch im Moment eher so ein lauerndes Abwarten ist.
    Büüsker: Der Westen hat ja lange gesagt, es kann keinen Frieden mit Assad geben. Sehen Sie denn tatsächlich überhaupt noch die Möglichkeit, dass es einen Frieden ohne Assad geben kann?
    "Je brutaler das Regime, desto stiller ist es darum geworden"
    Scheller: Ich denke, dass es sehr schwierig ist, von der internationalen Gemeinschaft jetzt zu sehen, wie sie Assad in der Tat loswerden will, wie sie ihn aufs Altenteil schicken will. Denn die Bemühungen sind ja in den letzten Jahren immer verhaltener geworden: Je brutaler das Regime sich an der eigenen Bevölkerung vergangen hat, desto stiller ist es darum geworden. Und jetzt hat Assad ja auch schon sehr selbstbewusst Wahlen für den April ausgelobt und ich denke, es gibt keinen Anlass zu glauben, dass er dort nicht antreten werde.
    Büüsker: Kann es denn überhaupt einen Frieden mit Assad geben nach dem, was er seinem eigenen Volk auch angetan hat?
    Scheller: Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Das Level der Gewalt, das er über Syrien gebracht hat, ist wirklich so unermesslich, und auch die soziale Spaltung, bewusst vorangetrieben vom Regime und natürlich durch die Kriegshandlungen bestärkt – das ist sehr schwierig, das zusammenzuhalten und diesem Land auch tatsächlich dann eine Zukunft zu geben. Das kann mit Assad sicherlich nicht geschehen.
    Büüsker: Was heißt das dann für einen möglichen Frieden? Ist überhaupt einer möglich?
    Scheller: Ich denke schon, dass ein Frieden möglich ist. Aber ich glaube, dass es so stark davon abhängt, inwieweit nicht nur die Konfliktparteien innerhalb Syriens, sondern auch die internationalen Akteure sich darauf einlassen und wie sie hier eine Übereinkunft auch treffen können. Und das finde ich eben einen Punkt, der nicht sehr vielverheißend im Moment ist.
    Büüsker: Hier in Deutschland gucken wir gerade insbesondere auf die Fluchtbewegungen, die ja auch aus Syrien kommen. Und so mancher hofft, dass diese Waffenruhe, die jetzt ja zumindest schon ein paar Stunden zu halten scheint, ein bisschen den Flüchtlingszustrom begrenzen wird. Gehen Sie davon aus, dass das eine Hoffnung … dass diese Hoffnung in Erfüllung gehen kann?
    Scheller: Ich denke, dass es auf jeden Fall Anlass dazu gibt. Denn wir wissen ja, dass der Großteil der Menschen wegen der Luftangriffe flieht. Also, wenn die Waffenruhe weiterhin hält, dann gibt es für viele Menschen schon mal nicht mehr akut eine Situation, in der sie sich sicher sind, dass es wert ist, den Tod auf dem Mittelmeer zu riskieren. Die Menschen fliehen ja im Wesentlichen deshalb, weil sie wirklich um ihr Leben fürchten, und das im Wesentlichen durch Angriffe, denen sie überhaupt … oder denen sie völlig hilflos ausgesetzt sind. Wenn jetzt schon mal die Luftbombardements eingestellt werden, wenn auch nur temporär, dann wird es zumindest temporär auch möglicherweise weniger Flüchtlinge geben.
    Büüsker: Was wäre aus Ihrer Sicht jetzt der nächste Schritt auf dem Weg zu einem Frieden?
    Scheller: Für den 7. März sind ja jetzt Verhandlungen anberaumt und das wird natürlich sehr, sehr schwierig, weil die Hauptfrage – was ist Assads Zukunft und was ist die Zukunft des Landes ohne ihn – von allen Seiten gemieden wird. Und man tauscht sich bis jetzt über eine Vielzahl von Dingen aus, aber gerade diese wichtigste Frage kommt nicht auf den Tisch. Und erst wenn wir es schaffen, tatsächlich dahin zu kommen, denke ich, werden wir klarer sehen, ob Syrien bald, zeitnah befriedet werden kann.
    Büüsker: Die sunnitische Opposition in Riad hat ja erklärt, dass jetzt rund 100 bewaffnete Gruppen, also dieses Teils der Opposition dieser jetzt gestarteten Feuerpause zugestimmt haben. Alleine das zeigt ja auch schon, wie gespalten beziehungsweise wie diffizil die Opposition ist, die Assad da gegenübersteht. Macht es diese aufgesplitterte Interessenlage auch so schwierig, eine Lösung für Syrien zu finden?
    "Den Vorwurf der Spaltung müssen wir uns auch zu eigen machen"
    Scheller: Ja, ich denke, das war von Anfang an ein Problem. Nach 40 Jahren harter Diktatur hat man einfach keine oppositionellen Strukturen, die politische Erfahrung haben, die auch nur die Chance hatten, sich irgendwie wirklich vorher auf Dinge auch zu einigen. Und das ist ein Problem, das die Opposition weiterhin mit sich schleppt. Natürlich hat die ausländische Unterstützung der Opposition hier auch ihren eigenen Anteil, denn auch Briten, Franzosen, die Golfstaaten, alle haben ja eigentlich in verschiedene Richtungen gezogen an dieser Opposition. Deswegen denke ich, der Vorwurf der Spaltung, den müssen wir uns auch zu eigen machen.
    Büüsker: Das klingt dann auch für eine mögliche Zeit nach dem Krieg schwierig, wenn die Opposition so gespalten ist, dann ist es wahrscheinlich auch die Zivilgesellschaft?
    Scheller: Die Zivilgesellschaft ist auch gespalten, aber ich denke, gerade bei Syrien sollten wir darauf gucken, wie stark die Zivilgesellschaft auch ist. Also, ich finde, die Bemühungen, alles in den Gebieten außerhalb der Regimekontrolle aufrecht zu erhalten, was Verwaltung betrifft, was das Betreiben von Untergrundschulen, Untergrundkrankenhäusern betrifft, zeigt uns, es gibt eine sehr, sehr starke Zivilgesellschaft, die auch ein Interesse daran hat, die Zukunft mitzugestalten.
    Büüsker: Es gibt noch einen Akteur, der in Syrien sehr stark ist, und das ist Daesh, der selbsternannte Islamische Staat. Sollte Assad am Ende gewinnen, was bedeutet das für Daesh?
    Scheller: Das bedeutet, dass unsere Aussichten, Daesh tatsächlich einzuhegen, zurückzudrängen, sehr viel geringer sind, weil das ja heißen würde, die internationale Gemeinschaft akzeptiert ihn weit genug, um möglicherweise auch zu versuchen, mit ihm gegen Daesh zu kämpfen. Das ist natürlich eine hervorragende Grundlage für Daesh, um die eigene Rekrutierung zu motivieren, um mehr Leute zu mobilisieren, tatsächlich mit Daesh zu kämpfen, weil der Großteil der Menschen in Syrien, Sunniten, sich eben jetzt religiös diskriminiert fühlen. Sie haben den berechtigten Eindruck, dass das Regime bewusst versucht, sie zu treffen. Und ein Frieden, bei dem Assad bleibt, würde eben hier weitere Kräfte mobilisieren gegen das Regime und nicht gegen Daesh.
    Büüsker: Hätte diese Eskalation des Konflikts verhindert werden können, wenn sich die EU oder auch die USA da früher stärker eingemischt hätten?
    "Bandbreite diplomatischer Möglichkeiten ist nicht ausgeschöpft worden"
    Scheller: Ich denke schon, dass es diverse Gelegenheiten gab, sehr klar zu signalisieren, dass man nicht nur den Rücktritt Assads wünscht, sondern auch bereit ist, dafür etwas zu tun. Da ist meiner Ansicht nach nicht die ganze Bandbreite diplomatischer Möglichkeiten ausgeschöpft worden. Und der klarste Fall ist, denke ich, als Chemiewaffen eingesetzt wurden: eine sehr klar gezogene rote Linie, die dann aber innerhalb weniger Tage völlig verwischt wurde. Das war jeweils ein Signal an Baschar al-Assad, dass er einfach fortfahren kann, dass er ein beliebiges Level an Gewalt einsetzen kann. Also, da haben wir durch etwas, was wir vielleicht als pazifistische Töne gemeint hatten, das Signal zu weiterer Gewalt gesendet. Und deswegen denke ich, dass wir damit einen Anteil daran haben, dass die Dinge sich in Syrien so negativ entwickelt haben.
    Büüsker: Der Konflikt hat jetzt ja in den vergangenen Monaten enorm an Schärfe gewonnen seit dem Eingreifen Russlands und auch durch die Bombardements der internationalen Allianz gegen den Terror. Wenn jetzt auch noch Saudi-Arabien und die Türkei darüber nachdenken, Bodentruppen nach Syrien zu schicken, wird diese Region dann ein Brandherd weit über die Region hinaus?
    Scheller: Anzeichen dessen sehen wir ja nicht nur in Syrien, wir haben ja auch einen relativ stark ignorierten Konflikt im Jemen. Wir haben diverse Dinge, die im Moment im Argen liegen und sich nicht zum Besseren entwickeln. Deswegen glaube ich nicht, dass das allein von Syrien abhängt. Aber natürlich ist es ein bedenkliches Zeichen, wenn noch weitere Akteure sich hier militärisch engagieren wollen. Gerade für Zivilisten in Syrien ist es fatal, hier wird auf ihrem Grund und Boden unter Inkaufnahme dessen, dass sie sterben, ein regionaler Konflikt ausgetragen.
    !!Büüsker: Bente Scheller war das, sie ist Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Frau Scheller, vielen Dank für das Gespräch!
    Scheller: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.