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Waffenstillstand im Jugendclub

Der Londoner Stadtteil Camberwell gilt als sozialer Brennpunkt. Eine Einrichtung dort macht Hoffnung: der Jugendtreff Kids Company. Rund 400 Jugendliche – zumeist afrokaribischer Herkunft – kommen dort regelmäßig vorbei. Bei Kids Company bekommen sie praktische Lebenshilfe und ein bisschen Nestwärme. Ruth Rach hat die Einrichtung besucht.

    Ein hoher Zaun. Ein Spielplatz, ein buntbemaltes Gebäude: Kids Company liegt in einem sozialen Brennpunkt in Südlondon, ein Club für Kinder und Jugendliche, die so schwierig sind, dass die Gesellschaft sie aufgegeben hat.

    Auf dem Vorplatz von Kids Co macht eine 15-jährige Zoff: Sie will gesehen haben, wie ein Mädchen einen Baseballschläger einschmuggelte. Sharon, eine Sozialarbeiterin geht der Sache auf den Grund:

    "Die Kinder bringen das mit, was zu Hause abgelaufen ist. Dies ist das Ergebnis."

    Fast alle Kinder sind ohne Vater aufgewachsen, ihre Mütter haben Alkohol- und Drogenprobleme. Jeden Tag kommen zwischen 50 und 100 Kinder zur Kids Company. Viele sind von der Schule ausgeschlossen. Über die Hälfte ist obdachlos. Sie gehören Banden an, klauen, dealen, tragen Waffen. Das sind ihre Überlebensstrategien. Kids Company ist ihr Zufluchtsort. Hier herrscht Waffenstillstand. Die Regeln sind einfach: keine Waffen, keine Drogen, keine Gewalt.

    "Manche Kinder kommen schon am frühen Morgen. Ihnen wird als erstes ein richtiges Frühstück vorgesetzt. Gesunde Kost ist ganz wichtig","

    sagt Antony, langjähriger Mitarbeiter von Kids Company und selbst ehemaliges Straßenkind.

    ""Diese Kinder sind so gestresst, dass nichts in ihren Kopf geht. Sie sehen keine Zukunft, für sie macht Schule keinen Sinn. Man muss ihnen erst einmal praktische Hilfestellung geben. Und vor allem: Man muss sie lieben und nähren wie seine eigenen Kinder. Im Laufe der Zeit blühen sie auf. Erst dann haben sie den Kopf frei fürs Lernen."
    Zwei Teenager proben für ein Stück das sie selbst geschrieben haben. Es geht um Clubs, Geld, Zuhälter, Drogen. Kids Company beschäftigt Lehrer, Psychologen, Sozialarbeiter. Alle sind vor Ort. Sie bieten Einzeltherapien an, und vor allem auch praktische Lebensberatung: Wie finde ich eine Unterkunft, wo gibt es ärztliche Hilfe, wo Ausbildungsmöglichkeiten, wie bewerbe ich mich um einen Job. Der Tag ist klar durchstrukturiert. Am Vormittag gibt es Unterricht - Lesen, Schreiben, Rechnen, Computerschulung -, am Nachmittag Sport, Spiele, Kunst, Musik, Theaterworkshops.

    Gründerin der Kids Company: Camila Batmanghelidjh, Kinderpsychologin, in Iran geboren, in Großbritannien aufgewachsen. Ihre Methoden sind unkonventionell. Wenn ein extrem gewalttätiges Kind ausflippt und eine Fensterscheibe zerschmettert, statt wie zuvor jemanden zusammenzuschlagen, sieht sie das als Fortschritt. Man muss die Kinder dort abholen, wo sie sind.

    Strafen funktionieren nicht, glaubt Camilla Batmanghelidjh: Diese Kinder haben nichts zu verlieren, deswegen haben sie keine Angst vor Strafen. Die Tragödie ist, dass man sie kriminalisiert, bevor sie geschützt werden. Aber wenn wir sie schon ausgrenzen, müssen wir uns auch fragen, in welche Ecke sie danach abdriften. Die meisten Menschen sehnen sich nach Zugehörigkeit, wollen in ihrem Innersten ein Teil der Gesellschaft sein. Bei diesen Kindern schlägt nur eines an, emotionale Bindung.

    "Die Kinder kommen in erster Linie wegen der Mitarbeiter, sie suchen neue Rollenmodelle und echte Freundschaften","

    sagt auch Antony.

    ""Ganz langsam beginnen sie dann, Vertrauen zu schöpfen, und dann öffnen sie sich. Und erzählen dir Dinge, die du nie für möglich gehalten hättest."