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Wagner als Promi-Event

Das Vorurteil Richard Wagners Musik sei laut, pathetisch und die Opern dauern viel zu lang widerlegen die romantischen Opern "Der Fliegende Holländer" und "Die Meistersinger von Nürnberg" wunderbar. Kurze Dauer, reiche Melodien, durchaus was für Einsteiger. In München eröffnete mit den Meistersingern die Opernfestspiele. Bemerkenswert daran ist dreierlei. Es sind die ersten neuen Meistersinger nach 25 Jahren . Bislang wurde immer die Kult-Aufführung von August Everding gezeigt. Desweitern wurde die Eröffnung zum Promi-Event mit rotem Teppich vor der Oper und erstmalig Absperrgittern für das Volk. Und das ausgerechnet, wo Wagner selber den Helden "Hans Sachs" als letzte Erscheinung des künstlerisch produktiven Volksgeistes sah.

Von Holger Noltze |
    Ist "Mölln" denn überall? Sogar in München schon, wo man sich die "Meistersinger", dieses Lieblingsstück, fünfundzwanzig Jahre nach Everding wieder neu inszenieren lässt? – Tatsächlich wird ein Hornist, der während der großen Prügelfuge im zweien Akt aus dem Graben auf die Bühne steigt, dort von einem (offenbar:) Neonazi zusammengeschlagen. Die Bühne stellt kein noch so abstrahiertes Nürnberg dar, sondern ist ein weiter dunkler Raum, hinten begrenzt durch eine Art Sperrholz-Plattenbau.

    Auf dem Höhepunkt des nächtlichen Durcheinanders ist da Feuer in den Fenstern; es mag wohl das Festspieleröffnungspublikum daran erinnern, wie das Gutbürgerliche umschlagen kann in dumpfe Gewalt, und es sieht eben fatal aus wie damals in Mölln. So soll uns die Heiterkeit in dieser nur vordergründig komischen Oper im dafür gern missbrauchten Hals stecken bleiben. Am Ende, beim Festwiesenschluss, als der ungleiche Song Contest zwischen dem innovativen Ritter Walther und dem regelbeschränkten Bürger Beckmesser ums schöne Evchen entschieden ist, und Hans Sachs seine heikle Volksrede für deutsche Kunst und gegen welschen Tand schon gehalten hat, zaubert Regisseur Langhoff die üblen Sportsfreunde in Bomberjacken noch einmal aus dem Hut und lässt sie sich, die Baseballschläger in der Hand, dräuend unter die Festgesellschaft mischen.

    Ob als Bedrohung dieser Gesellschaft von außen oder als ihre Ausgeburt – einerlei. Denn Langhoff dient das starke Zeichen dreifach. Erstens beweist er ein irgendwie kritisches Bewusstsein. Zweitens unterläuft er das peinlich Affirmative des C-Dur-Finales. Und drittens kann er sich postwendend und zielgenau jenen Buhsturm einfangen, ohne den die ganze Sache sich das begehrte Etikett "umstritten" nicht anpappen könnte. Denn auch die Münchener, womöglich an ihrem Saturiertheitsimage leidend, wollen mal ein wenig umstritten sein. Lustvoll wurde gebuht, lustvoll nahm der Regisseur dies Kränzlein entgegen.

    Und was sollte man von dem ansonsten brav hingestellten Geschehen sonst berichten? Dass der frühere Bayreuther Licht-Künstler Manfred Voss noch in die kühl-kargen Räumen von Gottfried Pilz so etwas wie Stimmungen zu zaubern vermochte? Dass im Transzendenz-Moment des großen Quintetts die Protagonisten per Projektion in den Himmel auffahren, was sie per Musik aber ohnehin und weitaus vollkommener tun?´

    Mittelstimmenselig, in elastischen Tempi und mit symphonischen Wohlklang lässt Zubin Mehta aufspielen und weiß so vieles mehr zu erzählen als Langhoffs fade Aktualisierungsscherze. Es staut sich und strömt dann frei, es trumpft auf und findet dann wieder zu einem innigen Kontemplations-Ton, der vor allem in der Fliederduft-Musik im zweiten Akt zum Ereignis wird. Hier kann dann auch der bisweilen problematisch autistische Sachs von Jan-Hendrik Rootering gelöst mitschwingen

    Rootering vermeidet die beim Sachs oft unangenehme Zeigefingerei, er versäumt aber auch den Kernpunkt seiner Tragik: dass der Alte der Eva entsagt, als bürgerliche Variante auf den Liebestotalitarismus im "Tristan". Davon lässt immerhin Michaela Kaune etwas spüren, deren Eva einmal kein Gänschen ist, auch wenn sie in einem albernen Kostüm steckt, mit dunkelgetöntem, zu beseligten Aufschwüngen fähigem Sopran. Ihr Walther Robert Dean Smith gibt einen über weite Strecken gestressten Wagnertenor, mit manchmal überraschenden Reserven. Eike Wilm Schulte zeichnet den Beckmesser als gequälte Kreatur: ein Mann, der einen echt schlechten Tag hat. Wie kantabel und wortverständlich Wagnergesang sein kann, zeigt Matti Salminens Pogner.

    Es sei ihm um den Traum von der Kunst in einer zunehmend kunstfeindlichen Welt gegangen, hat Thomas Langhoff seine Münchener Meistersinger vorab kommentiert. Der Abend erweist aber vor allem, neben viel schöner Musik, eine selbst kunstfeindliche Regietendenz: Die Spekulation auf -in ihrer szenischen Begründung- unscharfe, in ihrem Instant-Effekt dafür "scharfe" Bilder für die alten Stücke. So billig aber sollten Provokationen selbst in München nicht zu haben sein.