Christoph Schmitz: In Erl gibt es, wie es sich alpenländisch gehört, ein Passionsspielhaus. Um die Passion auch allgemein kulturell zu nehmen, hat sich Erl vor neun Jahren entschieden, die Tiroler Festspiele ins Leben zu rufen, gegründet und seitdem gleitet vom österreichischen Komponisten und Dirigenten Gustav Kuhn. Im beschaulichen Erl finden große Dinge statt: große Beethoven- und Bruckner-Symphonien, Liederzyklen und Musikdiskussion, und: Richard Wagner - Premieren von "Tristan und Isolde" und "Parsifal" hat es in diesen sommerlichen Festspielwochen gegeben. Zur Idee des Festivals, sein Leiter Gustav Kuhn:
"Die Grundidee ist letztlich ganz einfach: Der normale Kulturbetrieb hat Abhängigkeiten, und ich wollte immer etwas machen, wo die einzige Abhängigkeit wirklich die Darstellung des Stückes ist, wie ich es mir vorstelle. Und dazu musste ich dann ein eigenes Festival praktisch gründen."
Der Dirigent Gustav Kuhn über die von ihm gegründeten Tiroler Festspiele in Erl. Jörn Florian Fuchs hat es sich in diesem Jahr angesehen. Zuerst einmal: Was meint Kuhn genau, wenn er von der Unabhängigkeit vom Kulturbetrieb spricht?
Jörn Florian Fuchs: Ja, es geht ihm in erster Linie darum, einen Starkult zu vermeiden. Die Sänger, die hier in Erl singen, und auch die Orchestermusiker, die kommen fast alle aus einer von Kuhn gegründeten Akademie, die nennt sich Academia di Montegral. In Lucca sitzt die, in einem Kloster - in der Toskana ist das. Und dort durchlaufen die Sänger und Musiker eine mehrjährige Ausbildung und können dann in Erl debütieren, sich also einem größeren Publikum vorstellen und zugleich eben Erl auch als Sprungbrett für größere Häuser nutzen. Und diese klosterähnliche Atmosphäre in Lucca, die bietet natürlich zumindest zwei ziemlich geniale Vorteile: Das eine ist, dass es immens viel Zeit zum Ausprobieren gibt, und zum anderen kann, gerade was das Orchester betrifft, können die Musiker wirklich organisch zusammenwachsen. Und das hört man auch, also es gibt einen organischen, ganzheitlichen Klang, den man hier in Erl mitbekommt.
Schmitz: Kuhn ist ja Dirigent und Regisseur in Personalunion. Welchen musikalischen Ansatz verfolgt er, und welche inszenatorische Idee?
Fuchs: Inszenatorisch ist es so, dass Kuhn eine sehr eigene, eigenwillige Mischung aus einerseits einem durchaus konzeptionellen Regietheater bietet, andererseits aber versucht, die Stücke, die Fabel der Stücke, jeweils ernst zu nehmen. Und es kommt als drittes noch hinzu, die Anbindung an den Spielort, das ist ja eben das Passionsspielhaus. Und als viertes kommt auch noch der Einbezug des ganzen Dorfes Erl hinzu. Also wie bei den Passionsspielen, die es hier alle sechs Jahre gibt, ist es nun auch in den Wagnerinszenierungen von Kuhn so, dass die Kinder aus dem Dorf Erl - zum Beispiel letztes Jahr gab es ja den "Ring", da waren sie Nibelungen, beim Parsifal sind sie am Ende auch auf der Bühne -, dass die hier also mitspielen. Oder die Feuerwehr zum Beispiel spielt eine Rolle: Im letztjährigen "Ring" eben, bei der Walküre, da war die Erler Feuerwehr sozusagen eine menschliche Waberlohe für Brünhild.
Schmitz: Wird das nicht sehr folkloristisch?
Fuchs: Das wird auf der einen Seite ein bisschen folkloristisch, aber er kann eben doch eine sehr gute Dynamik bieten und hat eine sehr gute Kombination zwischen eben einem gewissen, doch auch manchmal etwas intellektuellen Regieansatz und eben dieser Anbindung an den Spielort. Wenn wir es einmal erläutern wollen, konkret an den Neuinszenierungen dieses Jahr: Also beim "Tristan", das war mir etwas zu verkopft, da hat Kuhn versucht, die Wagnerfiguren aus dem "Tristan" an Ibsen anzubinden. Das äußerte sich so, dass eine sehr spartanische Bühne da vorherrschte und dazu opulente, historisierende Kostüme. Die waren aber zum Teil doch ein bisschen miefig, fand ich dann. Und sein Ziel, das hat er so erklärt, war es zu zeigen, dass man Gefühle also ganz reduziert darstellt, durch die Kostüme praktisch also eine Reduktion, eine kühle Erotik verstrahlt. Und dagegen wollte er diesen opulenten, emotionsgeladenen Orchesterpart setzen. Das Orchester war opulent und emotionsgeladen, aber es ist eben nicht ganz aufgegangen. Die Darsteller waren da doch sehr statuarisch und die Emotionen waren zum Teil einfach nicht kühl, sondern sie waren gar nicht da.
Schmitz: Noch einmal zu dem musikalischen Ansatz, den Kuhn grundsätzlich verfolgt.
Fuchs: Gustav Kuhn, das kann man sagen, dirigiert einen sehr emotionsgeladenen Wagner hier. Der ist aber erfreulich unpathetisch, er ist also zum Teil fast schlank. Und er ist, an den geeigneten Stellen ist er mal etwas breiter oder er ist humorvoll. Also zum Beispiel im "Parsifal", bei den Blumenmädchen, bietet es sich ja geradezu an, das Ganze mal ein wenig leichter und lockerer zu machen. Und das dirigiert er fast schon aus dem Geiste Offenbachs, würde ich sagen.
Schmitz: Wie ist denn diese "Parsifal"-Inszenierung insgesamt gelungen?
Fuchs: Ja, da zeigt sich nun paradigmatisch dieses Konzept, also relativ wenig auf der Bühne, ein großes Holzgerüst, große Pfeiler, die sich zur Verwandlungsmusik dann ein bisschen drehen und dazu eben Kostüme. Einerseits sind wir in der Jetztzeit, da kommt der "Parsifal" so ein bisschen als Manager oder als Buchhalter-Mischung, der am Ende etwas lockerer wird und dann T-Shirt trägt. Dann gibt es sehr grelle Kostüme, für Klingsor zum Beispiel. Die Kundry kommt so als Fellwesen zunächst, verwandelt sich aber interessanterweise dann in eine recht züchtige Magd und sieht dann wieder am Ende so ein bisschen aus wie ein Tiroler Bauernmädchen und legt also, sozusagen, diesen Ethno-Chic, den sie am Anfang hatte, völlig ab. Und an der Kundry sieht man ganz gut, dass Kuhn hier versucht, die Wandlung aufzuzeigen und eine Art, fand ich, Resakralisierung des "Parsifal" hier gemacht hat, also dass sie am Ende eben so eine Art Madonna-Bauernmädel-Verschnitt ist. Das ist bei anderen Figuren ähnlich. Und er hat also in seiner Inszenierung zum Beispiel das Kreuz der Passionsspiele in Erl integriert. Es gibt an zwei Stellen sogar die große Orgel des Passionsspielhauses, die ertönt. Und es gibt die Klangklappen, die hier als Gralsglocken fungieren, die wurden vom Erler Pfarrer vorher noch geweiht. Das wirkt ein bisschen kitschig, aber auf der Bühne ist es bestechend, vor allen Dingen weil man eben weiß, an welchem Spielort das ist. Und es wirkt einfach adäquat.
"Die Grundidee ist letztlich ganz einfach: Der normale Kulturbetrieb hat Abhängigkeiten, und ich wollte immer etwas machen, wo die einzige Abhängigkeit wirklich die Darstellung des Stückes ist, wie ich es mir vorstelle. Und dazu musste ich dann ein eigenes Festival praktisch gründen."
Der Dirigent Gustav Kuhn über die von ihm gegründeten Tiroler Festspiele in Erl. Jörn Florian Fuchs hat es sich in diesem Jahr angesehen. Zuerst einmal: Was meint Kuhn genau, wenn er von der Unabhängigkeit vom Kulturbetrieb spricht?
Jörn Florian Fuchs: Ja, es geht ihm in erster Linie darum, einen Starkult zu vermeiden. Die Sänger, die hier in Erl singen, und auch die Orchestermusiker, die kommen fast alle aus einer von Kuhn gegründeten Akademie, die nennt sich Academia di Montegral. In Lucca sitzt die, in einem Kloster - in der Toskana ist das. Und dort durchlaufen die Sänger und Musiker eine mehrjährige Ausbildung und können dann in Erl debütieren, sich also einem größeren Publikum vorstellen und zugleich eben Erl auch als Sprungbrett für größere Häuser nutzen. Und diese klosterähnliche Atmosphäre in Lucca, die bietet natürlich zumindest zwei ziemlich geniale Vorteile: Das eine ist, dass es immens viel Zeit zum Ausprobieren gibt, und zum anderen kann, gerade was das Orchester betrifft, können die Musiker wirklich organisch zusammenwachsen. Und das hört man auch, also es gibt einen organischen, ganzheitlichen Klang, den man hier in Erl mitbekommt.
Schmitz: Kuhn ist ja Dirigent und Regisseur in Personalunion. Welchen musikalischen Ansatz verfolgt er, und welche inszenatorische Idee?
Fuchs: Inszenatorisch ist es so, dass Kuhn eine sehr eigene, eigenwillige Mischung aus einerseits einem durchaus konzeptionellen Regietheater bietet, andererseits aber versucht, die Stücke, die Fabel der Stücke, jeweils ernst zu nehmen. Und es kommt als drittes noch hinzu, die Anbindung an den Spielort, das ist ja eben das Passionsspielhaus. Und als viertes kommt auch noch der Einbezug des ganzen Dorfes Erl hinzu. Also wie bei den Passionsspielen, die es hier alle sechs Jahre gibt, ist es nun auch in den Wagnerinszenierungen von Kuhn so, dass die Kinder aus dem Dorf Erl - zum Beispiel letztes Jahr gab es ja den "Ring", da waren sie Nibelungen, beim Parsifal sind sie am Ende auch auf der Bühne -, dass die hier also mitspielen. Oder die Feuerwehr zum Beispiel spielt eine Rolle: Im letztjährigen "Ring" eben, bei der Walküre, da war die Erler Feuerwehr sozusagen eine menschliche Waberlohe für Brünhild.
Schmitz: Wird das nicht sehr folkloristisch?
Fuchs: Das wird auf der einen Seite ein bisschen folkloristisch, aber er kann eben doch eine sehr gute Dynamik bieten und hat eine sehr gute Kombination zwischen eben einem gewissen, doch auch manchmal etwas intellektuellen Regieansatz und eben dieser Anbindung an den Spielort. Wenn wir es einmal erläutern wollen, konkret an den Neuinszenierungen dieses Jahr: Also beim "Tristan", das war mir etwas zu verkopft, da hat Kuhn versucht, die Wagnerfiguren aus dem "Tristan" an Ibsen anzubinden. Das äußerte sich so, dass eine sehr spartanische Bühne da vorherrschte und dazu opulente, historisierende Kostüme. Die waren aber zum Teil doch ein bisschen miefig, fand ich dann. Und sein Ziel, das hat er so erklärt, war es zu zeigen, dass man Gefühle also ganz reduziert darstellt, durch die Kostüme praktisch also eine Reduktion, eine kühle Erotik verstrahlt. Und dagegen wollte er diesen opulenten, emotionsgeladenen Orchesterpart setzen. Das Orchester war opulent und emotionsgeladen, aber es ist eben nicht ganz aufgegangen. Die Darsteller waren da doch sehr statuarisch und die Emotionen waren zum Teil einfach nicht kühl, sondern sie waren gar nicht da.
Schmitz: Noch einmal zu dem musikalischen Ansatz, den Kuhn grundsätzlich verfolgt.
Fuchs: Gustav Kuhn, das kann man sagen, dirigiert einen sehr emotionsgeladenen Wagner hier. Der ist aber erfreulich unpathetisch, er ist also zum Teil fast schlank. Und er ist, an den geeigneten Stellen ist er mal etwas breiter oder er ist humorvoll. Also zum Beispiel im "Parsifal", bei den Blumenmädchen, bietet es sich ja geradezu an, das Ganze mal ein wenig leichter und lockerer zu machen. Und das dirigiert er fast schon aus dem Geiste Offenbachs, würde ich sagen.
Schmitz: Wie ist denn diese "Parsifal"-Inszenierung insgesamt gelungen?
Fuchs: Ja, da zeigt sich nun paradigmatisch dieses Konzept, also relativ wenig auf der Bühne, ein großes Holzgerüst, große Pfeiler, die sich zur Verwandlungsmusik dann ein bisschen drehen und dazu eben Kostüme. Einerseits sind wir in der Jetztzeit, da kommt der "Parsifal" so ein bisschen als Manager oder als Buchhalter-Mischung, der am Ende etwas lockerer wird und dann T-Shirt trägt. Dann gibt es sehr grelle Kostüme, für Klingsor zum Beispiel. Die Kundry kommt so als Fellwesen zunächst, verwandelt sich aber interessanterweise dann in eine recht züchtige Magd und sieht dann wieder am Ende so ein bisschen aus wie ein Tiroler Bauernmädchen und legt also, sozusagen, diesen Ethno-Chic, den sie am Anfang hatte, völlig ab. Und an der Kundry sieht man ganz gut, dass Kuhn hier versucht, die Wandlung aufzuzeigen und eine Art, fand ich, Resakralisierung des "Parsifal" hier gemacht hat, also dass sie am Ende eben so eine Art Madonna-Bauernmädel-Verschnitt ist. Das ist bei anderen Figuren ähnlich. Und er hat also in seiner Inszenierung zum Beispiel das Kreuz der Passionsspiele in Erl integriert. Es gibt an zwei Stellen sogar die große Orgel des Passionsspielhauses, die ertönt. Und es gibt die Klangklappen, die hier als Gralsglocken fungieren, die wurden vom Erler Pfarrer vorher noch geweiht. Das wirkt ein bisschen kitschig, aber auf der Bühne ist es bestechend, vor allen Dingen weil man eben weiß, an welchem Spielort das ist. Und es wirkt einfach adäquat.