Montag, 13. Mai 2024

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Wagner revolutionär

Michael Köhler: "Richard Wagners Dichtertum anzuzweifeln, erschien mit immer absurd.", schreibt Thomas Mann über den wirkungsmächtigsten Komponisten des 19. Jahrhunderts. Auf Musik und Literatur hat er eine unvergleichliche Wirkung und Einfluss gehabt. Maler, Bruckner, Strauß und Berg hätten ohne ihn anders komponiert, Friedrich Nietzsche anders gedacht und Thomas Mann selber hätte nicht an ihm Mythos und Psychologie so sehr bewundert und selber in sein Werk eingearbeitet, zuweilen auch sehr ironisch. Denn Wagner ist nicht nur ein großer, bedeutender Komponist sondern auch Autor zahlreicher kunsttheoretischer Schriften und immerhin sein eigener Librettist. Fragen an Egon Voss, Herausgeber der Richard Wagner Gesamtausgabe in München, Sie haben nun etwas Überraschendes entdeckt, nämlich ein Gedicht Wagners aus dessen revolutionärer Phase. Sie haben es doch gefunden, nicht wahr?

Egon Voss, Wagner-Herausgeber, im Gespräch | 11.08.2004
    Egon Voss: Ja, ich nehme mal an, dass ich es entdeckt habe. Die Umstände sind halt so, dass man das Gefühl hat, das kann doch nicht sein. Ich habe deshalb auch Nachforschungen angestellt, ob irgendein Wagnerforscher das vielleicht an entlegener Stelle vielleicht schon mal publiziert oder zumindest zur Kenntnis gebracht hat, darüber was gesagt hat. Das ist aber nicht geschehen. Ich habe also nichts gefunden. Den Text selber habe ich merkwürdigerweise im Bayreuther Wahnfriedarchiv entdeckt, von dem man annehmen sollte, dass es gut erforscht ist. Aber es ist eben immer wieder so, dass es Dinge gibt, die werden, weil man sie schlecht zuordnen kann, in bestimmte Sammelkonvolute getan und die haben dann so ein stiefmütterliches Leben. Wir in der Wagnergesamtausgabe kümmern uns um die musikalischen Werke, das Konvolut ist betitelt, "Fragmente, Notizen zu den Schriften Wagners". Das ist also nicht unser primäres Thema, also haben wir dieses Konvolut immer nur en passant betrachtet oder gar nicht.

    Köhler: Das ist ja nichts Ungewöhnliches, dass Dichter Entwürfe machen oder Notizen oder nachgelassene Gedichte ...

    Voss: Hier geht es aber nicht um dichterische Dinge sondern hier geht es primär um die Schriften. Das sind vor allen Dingen Notizen, Entwürfe zu den theoretische Schriften Wagners, vor allen Dingen zu den so genannten "Schweizer Reformschriften", "Die Kunst und die Revolution", "Das Kunstwerk der Zukunft" und "Oper und Drama".

    Köhler: In diesen Zusammenhang gehört Ihr Fund?

    Voss: Ja, dort findet man den versteckt auf der Rückseite eines Blattes, das seitlich aufgeklebt ist und man muss es wirklich schon fast ein bisschen mit Gewalt umdrehen, um dann die Rückseite dieses Blattes zu sehen.

    Köhler: Lassen Sie uns auf den Inhalt zu sprechen kommen:

    So wär´ verloren der Völker Ehre,
    verloschen der Freiheit Licht?
    und vor der Fürsten mordendem Heere
    bestünde das Volksrecht nicht?


    Viermal ist von der Freiheit in dem Gedicht die Rede, zweimal vom Volk. Das Ganze soll auf die Republik hinauslaufen. Was bezweckt dieses Gedicht, worauf spielt es an, welche geistige Gesinnung steht dahinter?

    Voss: Es spielt konkret an auf den Badener Aufstand. Die Badener sind ja diejenigen gewesen, die vielleicht am energischsten und auch am weitesten, am erfolgreichsten waren und vor allen Dingen waren sie historisch, zeitlich die letzten, die niedergeschlagen wurden. Das geschah ja erst im Sommer 1849 und in diese Zeit ist auch dieser Text zu verlegen. Wagner hat ja in seinen Notizen zu seiner Autobiographie notiert, "Aufstand und Untergang in Baden und in der Pfalz. Versuche ein Gedicht darauf." Das ist die Notiz zu diesem Text.

    Köhler: Nun hat er ja schon einige wichtige Opern vorher geschrieben. Wenn ich es richtig weiß, ist der "Fliegende Holländer" 43 uraufgeführt worden, der "Tannhäuser", glaube ich, 45. Man sagt, dass er eigentlich in diesen Opern seine jungdeutschen Ideale eigentlich schon verlassen hatte, also Emanzipation der Frau, Sensualismus, Sinnenfreundlichkeit, Republikgedanke und so weiter. Holt er den in diesem Gedicht quasi wieder zurück?

    Voss: Ich weiß nicht, ob Wagner, oder Künstler Wagner und der Politiker Wagner, oder der politische Mensch Wagner, der Bürger, oder wie man sagen will, so gleich, so eindimensional sind. Der Künstler bewegt sich auf einem etwas anderen Terrain, obwohl das ja auch immer wieder bestritten wird, als der Mensch Wagner. Wagner war sicherlich bis 1849 und auch noch darüber hinaus ein durchaus den demokratischen, den republikanischen Ideen nahestehender Mensch. Das kommt letztenendes natürlich aus der Verbindung zum Jungen Deutschland.

    Köhler: Also, zu Heine und Börne? Wagner selber ist so um die Mitte 30.

    Voss: Richtig, zu Heine, vor allen Dingen zu Laube. Mit Laube war er ja befreundet und durch Laube hat er in Paris Heinrich Heine kennengelernt. Das Ideengut ist sicherlich bis mindestens zum Anfang der fünfziger Jahre wach gewesen bei Wagner, dann kommt so eine Phase der totalen Resignation und danach sieht es so aus ...

    Köhler: Er wird steckbrieflich gesucht, er muss ins schweizerische Exil ...

    Voss: Das hat zu tun mit seiner Teilnahme an dem Aufstand in Dresden. Wobei man anführen muss, so ganz geklärt, worin diese Teilnahem eigentlich bestanden hat, ist das nicht. Da gibt es sehr, sehr widersprüchliche Meinungen. Die Einen sagen, er habe das Opernhaus angezündet und die Anderen sagen, er habe doch allenfalls zugeschaut.

    Köhler: Herr Voss, wir müssen auf eins zu sprechen kommen, was ihren Fund besonders macht. Es ist nicht allein die Sympathie für die Aufständischen und der republikanische Gedanke, sondern die Skizze zu einer Komposition.

    Voss: Ja, das ist überraschend. Wagner hat ja diverse Gedichte zu den revolutionären Bewegungen 1848/49 gemacht. Es gibt eine Gruß aus Sachsen an die Wiener, es gibt ein Gedicht an einen Staatsanwalt. Aber das sind alles Texte, die sich als verbale Bekundungen verstehen.

    Köhler: Gedichtete Flugblätter?

    Voss: In gewisser Weise. Hier nun gibt es eine musikalische Skizze, beziehungsweise gibt es genaugenommen zwei, sodass deutlich ist, das sollte gesungen werden. Da sollte wohl offensichtlich ein Satz entstehen für einen Männerchor und das entspräche fast so etwas wie einem Agitationslied, wie man es von Brecht und Eisler kennt.

    Köhler: Könnten Sie sich vorstellen, es gibt ja eine Reihe von Werken, die in unserem öffentlichen Bewusstsein nicht so verbreitet sind, die "Polonia Ouvertüre" ist zu nennen, dann gibt es auch die Dichtung für Chor der zwölf Apostel, ich weiß jetzt den Titel nicht ganz genau ...

    Voss: "Das Liebesmahl der Apostel".

    Köhler: "Das Liebesmahl der Apostel". Die gibt es zwar in Einspielungen auf CD, aber sie werden kaum aufgeführt. Können Sie sich vorstellen, dass sich da vielleicht einmal einer ranmacht und sagt, wir versuchen mal in dem Geiste das auszudenken und vielleicht aufzuführen?

    Voss: Das wäre eine gute Idee, das ist allerdings das, was Wagner selber wollte. Man spielt immer diesen Kanon vom "Fliegenden Holländer" bis zum "Parsifal", so wie es Wagner wollte und vernachlässigt total, was daneben noch existent ist. Das ist ja eine ganze große Menge. Das Wagnerwerksverzeichnis verzeichnet immerhin 113 Werknummern und dabei muss man sagen, dass der "Ring der Nibelungen" nur eine Werknummer ist. Das heißt also, es gibt eine ganze, ganze Menge Musik zu entdecken und da sind auch Aspekte dabei, die in diese Richtung tendieren, wie Sie das skizziert haben.

    Köhler: Herr Voss, wir kennen den Dichter der romantischen Oper, des Rings, wir kennen Wagner als jemand, der sein eigener Librettist war für seine Opern. Wir kennen aber eigentlich etwas weniger, wenn ich es richtig sehe, den Prosaisten, den Schriftsteller und den Dichter Wagner. Gibt es da immer noch Entdeckungen zu machen?

    Voss: Auf alle Fälle. Das Erste ist, dass man ja Wagner kaum lesen kann, weil man die Texte gar nicht kaufen kann, sie sind nicht vorhanden im Buchhandel und die wenigen Ausgaben, die es gibt, werden auch wenig ins Visier genommen. Es wäre wichtig, dass die Verlage sich dafür interessieren, es wäre wichtig vor allen Dingen eine wissenschaftlich-kritische Ausgabe der Schriften zu machen, denn die Ausgabe, auf der bisher alle Publikationen fußen, ist eine Ausgabe, die Wagner selber veranstaltet hat und der spätere Bayreuther Meister hat eben vieles anders gesehen als er es in den vierziger oder anderen früheren Jahren geschrieben hatte. Da ist also eine richtige Zensur gewesen und unter diesem Aspekt gerade, wäre noch Vieles zu entdecken.

    Köhler: Egon Voss, Herausgeber der Richard Wagner Gesamtausgabe in München, hat etwas Überraschendes entdeckt, ein Gedicht Wagners aus dessen revolutionärer Phase.