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Wagner: Wenn keine Wagner es kann, muss es auch keine werden

Opernregisseurin Katharina Wagner ist mit ihrem Debüt bei den Festspielen in Bayreuth zufrieden. Sie sei glücklich, weil es sehr kontrovers aufgenommen wurde, sagte die 29-Jährige im Deutschlandfunk. Zur umstrittenen Frage, wer eines Tages die künstlerische Leitung der Bayreuther Festspiele übernehmen könnte, sagte sie: Wenn keine Wagner dazu befähigt ist, muss es auch keine werden.

Moderation: Christoph Heinemann |
    Katharina Wagner: Ich war insofern sehr glücklich, als dass es halt sehr kontrovers aufgenommen wurde. Ich finde, es gibt nichts schlimmeres, wie wenn man aus einem Theaterabend da rausgeht und sich überlegt, ach Gott, wo habe ich das Auto geparkt, oder was esse ich jetzt für eine Pizza, sondern dass eben drüber diskutiert wird. Und Diskussion ist, glaube ich, wichtig nach einem Theaterabend und dann hat man eigentlich schon was erreicht.

    Christoph Heinemann: Und die Richtung der Diskussion passt Ihnen?

    Wagner: Unabhängig davon, ob die Leute es gut oder schlecht fanden, ist es gut, wenn es unterschiedliche Meinungen gibt und die dann miteinander kommunizieren.

    Heinemann: War Ihr Vater zufrieden?

    Wagner: Mein Vater war zufrieden, ja. Also, sicher nicht mit allem, aber mein Vater hätte mich sicher nicht engagiert, wenn er gedacht hätte, ich stelle genau so was wie er mit den letzten Meistersingern auf die Bühne, sondern er kennt ja meine Ästhetik, aber er war sehr zufrieden, ja.

    Heinemann: Frau Wagner, wie wichtig sind für Sie Kritik, Kritiken und Kritiker?

    Wagner: Muss man differenziert sehen. Also, teilweise, wenn die Kritik ernst und sich seriös mit der Sache auseinandersetzt, sind Kritiker und Kritiken sehr wichtig, weil man dadurch auch sehr viel lernen kann. Wenn es ein genereller, persönlicher Verriss wird, weil man ganz genau weiß, dass es eine halbe Kritik darüber gibt, was für ein Kleid ich trug und als letzter Satz drunter steht, und handwerklich und konzeptionell war es übrigens auch furchtbar, dann kann ich das natürlich nicht ernst nehmen. Aber ich nehme durchaus Kritiken sehr ernst, die sich wirklich mit der Sache auseinandersetzen und versuche, daraus auch zu lernen.

    Heinemann: Sie haben jetzt mit Ende 20 gleich Wagner inszeniert, also, ein großes Bühnenwerk. War das ein Wagnis?

    Wagner: Ja, ich glaube nicht, weil ich das Werk einfach extrem gut kenne. Also, man darf ein Werk nicht inszenieren, wenn man zu dem Werk nichts zu sagen hat und man sollte ein Werk auch nicht inszenieren, wenn man es nicht gut kennt. Aber zumindest denke ich, dass ich zu dem Werk was zu sagen habe und dass ich es exorbitant gut kenne, wenn ich das so sagen darf, einfach, weil ich als Kind schon selber mitgespielt habe, weil ich x-mal assistiert habe. Es ist das Werk, das ich am besten kenne, und insofern, glaube ich, ist es in der Beziehung kein Wagnis, nein.

    Heinemann: Wie entsteht eine solche Inszenierung? Kommt dann irgendwann der zündende Gedanke um den herum eine ganze Inszenierung gruppiert wird sozusagen?

    Wagner: Nee, es ist erst mal grundsätzlich, konzeptionell, muss man auf einer Linie sein. Eine Inszenierung lebt nicht, leider nicht von einem zündenden Gedanken, dass man sagt, boah, ich hab für die und die Szene eine ganz tolle Idee. Dann sind leider noch bei den Meistersingern vier Stunden und 29 Minuten übrig und wenn man die nicht füllen kann, also, von einer Idee kann man eine Inszenierung nicht füllen, sondern das Grundkonzept, der rote Faden sozusagen, muss stimmen. Und wenn dieser rote Faden nicht stimmt, dann sollte man auch die Finger davon lassen, sozusagen einen Knaller zu bringen und den Rest des Abends Langeweile und nichts sagende Dinge zu verbreiten, das hat keinen Sinn, sondern das entsteht sozusagen dadurch, dass man sagt, was hat man zu dem Stück zu sagen? Hat man zu dem Stück was zu sagen? Und wenn man zu dem Stück was zu sagen hat, prägt dieser Gedanke auch.

    Heinemann: Frau Wagner, ist die erfolgreiche Meistersingerinszenierung Ihr Preislied für den Führungsstreit auf dem grünen Hügel? Haben Sie jetzt die Nase vorn?

    Wagner: Also, weiterhin stehe ich auf dem Standpunkt, dass wirklich die Inszenierung nichts mit der Festspielleitung zu tun hat, weil, ein guter oder ein schlechter Regisseur ist noch lange kein guter oder schlechter Festspielleiter. Das beste Beispiel ist, glaube ich, mein Vater, dessen Inszenierungen immer sehr kritisiert werden, und der trotzdem Schlingensief, Heiner Müller und so weiter, die ganz andere ästhetische Linien fahren wie er selber, holt. Ein guter Intendant darf eben nicht nur den anstellen, wo er selber ästhetisch sozusagen auf der Linie liegt, sondern der zeichnet sich dadurch aus, dass er eben auch anderes zulässt.

    Heinemann: Also, eine gute Festspielleiterin muss nicht inszenieren können?

    Wagner: Muss nicht, genau, das ist der Punkt.

    Heinemann: Aber kann.

    Wagner: Können kann man immer alles, bloß ich sage das mal so, natürlich, wenn Sie es so nehmen, wenn ich ein guter Maurer wäre, ist das noch keine Berechtigung, die Festspiele zu leiten, so schön es ist, wenn man das beides nebeneinander kann und anders sehe ich es nicht.

    Heinemann: Muss es denn eine Wagner werden?

    Wagner: Wenn keine Wagner sozusagen befähigt ist, es geht ja um die Sache, dann muss es keine Wagner werden, nein, wenn keine die Befähigung hat.

    Heinemann: Der Stiftungsrat hat sich ja, wissen Sie, weiland für Ihre Halbschwester Eva Wagner-Pasquier entschieden, also, streng genommen könnte man doch sagen, die Frage der Festivalleitung ist damit eigentlich beantwortet.

    Wagner: Ist sie eigentlich nicht, weil erstens, wie Sie selber wissen, hat mein Vater einen lebenslangen Vertrag, dann ist die Frage beantwortet, wer das Festival leitet, zum anderen ist das ja auch schon wieder sieben Jahre her jetzt.

    Heinemann: Sie rechnen damit, dass die sich noch anders entscheiden werden?

    Wagner: Ich rechne mit gar nichts im Moment, ich glaube das einfach, dass sich in sieben Jahren viel tut, unter anderem das Alter von einigen Leuten, und das ist einfach eine Sache, wo man sagen muss, die Zeit schreitet ja voran und das ist einfach grundsätzlich die Frage: Die Festspiele sind vorgeplant bis zu einem gewissen Status und der Rentenstatus von Eva Wagner wäre dann schon lange überschritten in dem Moment, wo sie überhaupt künstlerisch tätig werden könnte.

    Heinemann: Wenn sie sich Ihren Vater zum Vorbild nimmt, dann hätte sie dennoch ungefähr 20 Jahre.

    Wagner: Gut, ich glaube nicht, dass der Stiftungsrat noch mal jemandem einen Vertrag auf Lebenszeit gibt, das glaube ich nicht.

    Heinemann: Sollte es eine Chefin geben auf dem grünen Hügel, oder könnten Sie sich auch eine Doppelspitze vorstellen?

    Wagner: Könnte man sich auch vorstellen, ist bloß die Frage, mit wem.

    Heinemann: Haben Sie eine Vorstellung?

    Wagner: Nee, weil ich im Moment, ehrlich gesagt, gar keine Vorstellung habe, selbst wenn der Stiftungsrat sagt, er tagt im Herbst, tagen kann er, bloß letztlich ist mein Vater derjenige, der dazu das Okay, also, der sagen muss, um sozusagen eine Entscheidung herbeizuführen, sagen muss, er gibt die Festspielleitung ab und das tut er nicht. Also, beraten kann man sich natürlich immer, aber im Moment ist der Status quo einfach anders.

    Heinemann: Was muss sich, oder was müsste sich auf dem grünen Hügel ändern, damit Bayreuth bleibt, was es ist?

    Wagner: Ich bin der Meinung, Bayreuth müsste durchaus innovativer mit manchen Dingen umgehen, zum Beispiel mit der Orchesterbesetzung.

    Heinemann: Das will sagen?

    Wagner: Das will sagen, dass man auf Leute wie Christian Thielemann natürlich nicht verzichten darf und kann, aber durchaus haben wir jetzt einige Vorstellungen auch gesehen an anderen Orten, wo mit Originalinstrumenten experimentiert wird und ich glaube, das, was Bayreuth szenisch immer wieder tut, kann sich auch im Rahmen des Orchesters fortsetzen.

    Heinemann: An einen Siegfriedruf auf Naturhörnern müssten sich die Wagnerianer aber erst gewöhnen.

    Wagner: Sie müssen sich auch an die Regie von Herrn Schlingensief gewöhnen und auch an die Inszenierung von Katharina Wagner.

    Heinemann: Also, man sollte den Leuten mehr zumuten?

    Wagner: Hm, der Meinung bin ich grundsätzlich, weil, sonst bleiben wir stehen. Also, wenn Bayreuth was sein soll, sollte es innovativ sein. Wenn es sich sozusagen nur auf Wagners Werke spezialisiert, muss es da eine Vorreiterrolle haben, eine innovative Vorreiterrolle, und das kann es, glaube ich, nur kriegen, indem man eben nicht stehen bleibt und sagt, man bewahrt krampfhaft den Status quo in der Hoffnung, dass jeder ruhig hält, sondern dann muss man hergehen und sagen, okay, der Punkt ist einfach, man muss auch was wagen, man kann beim Wagner sozusagen auf die Schnauze fliegen, wenn ich das so offen sagen darf, man kann aber auch wirklich künstlerische Neuerungen schaffen und ein Wagner kann gut und kann schief gehen, aber den Mut muss Bayreuth auch haben.

    Heinemann: Zum Repertoire. In Salzburg gehen ja heuer Premieren mit Werken von Haydn, Tschaikowsky, Weber, Berlioz über die Bühne, in Mozarts Heimat ist auch Platz für andere Sterne. Könnte dies Beispiel in Bayreuth Schule machen?

    Wagner: Könnte, ja. Ich spreche im Konjunktiv. Diese Frage ist immer so leicht gestellt, ist aber wahnsinnig schwierig zu beantworten. Zunächst mal würde man damit gegen die Stiftungssatzung verstoßen. Man braucht also schon mal. Ein Festspielleiter kann gar nicht das Repertoire erweitern, das ist praktisch und rechtlich einfach so. Da bräuchte man erst mal eine Mehrheit dafür, um überhaupt das Repertoire zu erweitern, das ist mal Punkt eins. Punkt zwei ist, dass der ganze Festspielbetrieb so nicht mehr aufrecht zu erhalten wäre, wenn man das Repertoire erweitern würde. Zum anderen hat es extreme wirtschaftliche Folgen. Die können positiv und negativ sein, ich stelle das jetzt sozusagen ganz sachlich dar, damit diese Frage, die immer so leicht in den Raum geworfen wird, auch mal von allen Seiten beleuchtet wird. Und man würde natürlich in gewisser Weise ein bisschen diesen Mythosgedanken eben auch nehmen.

    Heinemann: Aber das wäre Ihnen doch ganz recht wahrscheinlich, oder?

    Wagner: Ich hätte damit kein Problem, ich glaube bloß, dass es faktisch so nicht durchsetzbar ist, weil dann sind die Bayreuther Festspiele in der Form nicht mehr die Bayreuther Festspiele.

    Heinemann: Mythos - Sie haben in der Süddeutschen Zeitung im Zusammenhang mit Hans Sachsens Verklärung der "heiligen deutschen Kunst" an die Rolle Bayreuths im dritten Reich erinnert. Welche Rolle spielt dieser Teil Ihrer Familiengeschichte für Sie heute noch?

    Wagner: Ich glaube, dass man schon - ich meine, das habe ich ja auch versucht - dezidiert dazu Stellung beziehen muss und da ich das Gott sei Dank nicht miterleben musste, glaube ich, kann ich das auch in einer anderen Form. Ich habe das Gott sei Dank nur in Geschichtsbüchern miterlebt und finde, gerade dass sich Bayreuth als Ort dazu verhalten muss.

    Heinemann: Gehört schon dazu?

    Wagner: Selbstverständlich. Man kann die Geschichte nicht totschweigen und man darf sie auch nicht totschweigen. Und gerade dieses Werk "Meistersänger" ist so problematisch und aus dem Grund, glaube ich, muss gerade an diesem Ort Stellung dazu bezogen werden.

    Heinemann: Auf dem grünen Hügel geht's auch um die Pflege auf die Bewahrung eines Teils unseres kulturellen Patrimoniums. Wie kann man, Frau Wagner, junge Menschen, die mit Klassik kaum etwas am Hut haben, für Richard Wagners Musik interessieren, vielleicht sogar begeistern?

    Wagner: Das ist immer das, was ich eben auch Interviews versuche zu sagen. Ich bin ja selber erst 29, und ich würde den Beruf nicht ausüben, wenn er altbacken, konservativ und nur langweilig wäre. Es kann einem durchaus was geben, und ich versuche junge Leute auch durch gewisse Kampagnen zu erreichen, dass man eben sagt, ein Opernregisseur ist eben nicht nur ältlich, irgendwie versoffen und redet wirres Zeug, also, so das typische Klischee eines Opernregisseurs, sondern dass man auch an die Öffentlichkeit geht und sagt, ich bin selber jung und nur, weil man sich mit Oper beschäftigt, ist man trotzdem ein normaler Mensch, hört andere Musik auch und hat ein normales Leben. Was man auf die Bühne stellt, kann auch durchaus heutige Bezüge haben und kann auch durchaus interessant sein und ist auch interessant für junge Leute, dass die sich selber sozusagen auch in einem Kunstdiskurs vielleicht wiederfinden oder diskutieren. Und ich versuche das immer auch nach außen zu kommunizieren, dass man sozusagen auch die Leute reinkriegt. Ich habe das an der Deutschen Oper ganz deutlich gemerkt. Da haben wir ein Plakat gemacht mit drei Flip-Flops und da bekam ich sehr viele Briefe danach, dass viele nur wegen des Plakats rein sind. Also, ich glaube, auch Oper braucht teilweise ein anderes Image, dass man schon deutlich suggeriert, es sind nicht Sänger, die 150 Kilo wiegen, ein Samtkostüm anhaben und vorn an der Rampe stehen und die Arme nach vorne zum Dirigenten halten, sondern man muss den Leuten auch einfach durch Fotos zeigen, Moment mal, Sänger heißt eben nicht gleich schwerfällig, langweilig, nicht bewegt, und ein Kostüm ist nicht immer so ein Samtplüschplunder.

    Heinemann: Noch mal zu den jungen Leuten, welches Musikstück, welcher Opernauszug, welche Ouvertüre, was von Wagner eignet sich vielleicht als Einstiegsdroge?

    Wagner: Das ist eine gute Frage, weil Sie mich jetzt natürlich irgendwie hier erwischen, wo ich die Wagnersachen sehr gut kenne.

    Heinemann: Deshalb frage ich Sie.

    Wagner: Ja ja, Lohengrin ist, denke ich, sehr beeindruckend. Ich meine, solche Sachen wie Trauermarsch oder so, das ist natürlich einfach auch emotional. Ich glaube, die Meistersinger sind vielleicht nicht unbedingt das beste Stück, um einzusteigen.

    Heinemann: Ich hätte jetzt gewettet, Sie nennen das Siegfried-Idyll.

    Wagner: Nein. Ich glaube schon, dass zum Beispiel der Trauermarsch doch einige Leute einfach anspricht, weil es wahnsinnig emotional ist. Oder Lohengrin, das Vorspiel ist auch sehr emotional.

    Heinemann: Frau Wagner, wie geht es jetzt bei Ihnen oder mit Ihnen auf dem grünen Hügel weiter in den nächsten Tagen?

    Wagner: Termine, Gesellschaft der Freunde, Empfänge, ja, und natürlich die normale Arbeit, die ich hier am Grünhügel oft so zu tun habe.

    Heinemann: Und dann irgendwann ein bisschen ausspannen?

    Wagner: Nach den Festspielen.