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Wagnerle-Theater

Andreas Homoki hat die "Meistersinger" an der Komischen Oper in Berlin auf Kasperletheatergröße eingedampft - formal und inhaltlich. Der ästhetischen Großmannssucht setzt Homoki einen Minimalismus entgegen - untermalt von Wagners schöner Musik.

Von Christoph Schmitz |
    Zügig dirigiert Patrick Lang das kleine Orchester der Komischen Oper, prägnant, pointiert, schmissig und locker zugleich. Was aber manchmal etwas fahrig wirkt, fürs Verweilen bei den vielen kleinen Schönheiten der Partitur bleibt keine Zeit. Das ist aber gar nicht so schlimm, weil es zum Geist der Vorstellung passt. Die verwandelt nämlich das Großwerk zu einem Kleinwerk, einem Kammerspiel, wozu das Haus aus der Not eine Tugend macht.

    In den kleinen Orchestergraben passen eh nicht so viele Musiker, weswegen das Orchester für Wagner-Verhältnisse fast schon kammermusikalisch besetzt ist. Und auch, was auf der Bühne steht und was dort passiert, wirkt eher klein. Andreas Homoki hat die "Meistersinger" als eine Art Kammerstück inszeniert, man könnte fast sagen als Kasperletheater. Am Anfang ist man erstaunt über die Schlichtheit, die Verweigerung jeglicher Gegenwartsbezüge, alles Politischen und jeder Bezüglichkeit zur schwierigen und problembeladenen Aufführungsgeschichte des Werkes.

    Biedermeier pur, denkt man, eine schon am Abend der Premiere verstaubte Inszenierung. Und doch entwickelt sie schleichend einen ungeheuren Sog, der die Figuren auf eine Weise öffnet, als hätte man sie zuvor gar nicht gekannt.

    Die Liebespaare Eva und Walther und Magdalene und David, sie bewegen sich durch die schlichten geometrischen Kuben mit Satteldächern um einen Kirchturm in der Mitte des Dorfes, alles ist grau in grau, mit Türen versehen, durch die die Dörfler und Meistersinger immer wieder verschwinden und wieder auftauchen. Manchmal beginnt das stilisierte Dorf zu tanzen, die Häuschen verschieben und drehen sich im Kreis, schließen sich wie zu einer Wagenburg gegen das Fremde zusammen, bieten Spaliere und kippen in der Prügelfuge zu einem wilden Würfelhaufen um.

    Die Dörfler und ihre Handwerker tragen Provinzkleider aus dem 19. Jahrhundert, ebenfalls grau in grau, die Männer Lang-, Spitz- und Zwirbelbärte wie nostalgische Handpuppen. Sie alle aber, die Liebenden und der Schuster Hans Sachs, sie bewegen sich und empfinden wie Menschen aus Fleisch und Blut, denn selten gibt es eine Inszenierung, die ihre Personen so dicht an jede Regung der Musik heranführt und ihr Verhalten aus jeder Klangminute heraus deutet, wie es Andreas Homoki hier gelingt. Das ist der Erfolg Nummer 1 dieser Arbeit. Erfolg Nummer 2, dass sie die mittlerweile verfestigten Rollenklischees des politisch-kritischen Regietheaters überwindet. Stadtschreiber Sixtus Beckmesser ist nicht der verhöhnte Außenseiter, der unter dem Antisemitismus der "Volksdeutschen" leidet, sondern das, was er bei Wagner auch ist, ein Intrigant und ein schlechter Musiker, der am Ende nicht ausgestoßen wird, sondern Sachsens Freund bleibt, wie Troubadix und Asterix.

    Und Hans Sachs ist nicht der nationalsozialistische Volks- und Mädchenverführer oder Medienmogul, sondern ein alter Mann, der seine Liebe zur jungen Eva hintanstellt zum Wohl der jungen Leute, der soziale Brüche kittet und der am Ende auf der bunten Festwiese die Massen nicht gegen den Feind draußen aufpeitscht, sondern vor dem Feind im Innern warnt, der gesellschaftlichen Zersplitterung, der Auflösung der Gemeinschaft. Denn plötzlich ist das Dorf auf der Bühne verschwunden, die Dorfgesellschaft zersprengt und der universalen Obdachlosigkeit ausgeliefert.

    So ist Homoki aktueller als manche aktualisierenden und geschichtskritischen Regiearbeiten, die zudem dazu neigen, die Bildersucht der Mediengesellschaft zu bedienen und mit Bilderfluten die Werke zu übermalen. Diesem ästhetischen Maximalismus setzt Homoki einen Minimalismus entgegen, der zwar weniger unterhaltsam ist, dafür mitunter intensiver – Erfolg Nummer 3.
    Erfolg Nummer 4 ist, wie zu Beginn schon angedeutet, die Musik. Marco Jentzsch singt einen schönen, klaren und kräftigen Walther, Tómas Tómasson einen wohlklingenden Hans Sachs; Ina Kringelborn als Eva hat zwar ein schönes samtiges Timbre, ist in den Höhen aber immer einen Tick zu tief und Tom Erik Lies Beckmesser-Vibrato klingt allzu gemeckert. Winzige Abstriche bei einer vom Publikum zu Recht gefeierten Premiere.