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Wagners "Meistersinger" in Bremen
Sängerwettstreit am Abgrund

Mit Wagners "Meistersingern" ist dem Theater Bremen ein starker Saison-Auftakt gelungen. Die eigenwillige Aufteilung der Bühne mit sparsamem Requisiteneinsatz wirkt. Dazu die Inszenierung der Figuren: Sachs als Ekelpaket, mal väterlich, mal boshaft.

Von Jörn Florian Fuchs | 22.09.2014
    Szenenbild aus der Aufführung "Die Meistersinger von Nürnberg".
    Szenenbild aus der Aufführung "Die Meistersinger von Nürnberg". (Jörg Landsberg)
    Beim Betreten des Zuschauerraums im nicht allzu großen Bremer Theater fällt sofort ein sperriges Ungetüm ins Auge, eine riesige Gerüstkonstruktion, auf und in der das Orchester sitzt. Etwas weiter vorne gibt es kleinere Räume etwa für die Meistersinger-Jury, der Hauptspielort befindet sich jedoch fast auf Höhe des Parketts – die nur mit ein paar verschiebbaren Türen und wenigen anderen Utensilien bestückte Bühne. An den Seiten geht es hinab in den mittig überbauten Orchestergraben. Beckmesser fällt zweimal in den Orkus, Teile des umtriebigen Bewegungsensembles tauchen dort auf und ab, wenn sie nicht gerade in Richtung Orchester klettern oder sich formvollendet von ganz oben abseilen. Entgegen Wagners Vorstellung eines unsichtbaren Orchesters sind die Bremer Philharmoniker also konstant sichtbar, was einem nach kurzer Irritation plötzlich ganz selbstverständlich vorkommt. Zumal die Sache akustisch voll aufgeht, Markus Poschners Dirigat ist schlicht Meisterklasse. Wunderbare Streicherteppiche, herrlich perlende Harfentöne, aufjaulendes Blech, Jubelchöre und Trauerszenen – man kann sich wirklich kaum satthören.
    Was das Sehen betrifft, so hinterlässt der Abend ebenfalls einen intensiven, und sehr nachhaltigen Eindruck. Benedikt von Peter befreit das Stück von aller Biederkeit, verzichtet jedoch auch aufs bloße, billige Kaputtschlagen.
    Die Grundidee: Hans Sachs hält Eva Pogner offenbar seit Langem als eine Art Sklavin, vermutlich in Abstimmung mit ihrem Vater. Auch die Meistersingergilde ist wohl nicht ganz unschuldig. Sachs zeigt sich als echtes Ekelpaket, das mit seiner braunen Cordhose, dem roten Pullover, ausgetretenen Schuhen und vor allem seinem Benehmen wie ein Päderast wirkt. Eva wiederum ist entweder geistig zurückgeblieben oder noch eine sehr junge Frau, meist stiert sie autistisch vor sich hin und zuckt mit dem Kopf. Sie geht barfuß, erst später klebt ihr Sachs rote Schühchen mit Klebeband an. Der Singschul-Gehilfe David erscheint als glatzköpfiger Harlekin, Beckmesser ist in ein recht unvorteilhaftes Gewand mit Puffärmeln gehüllt, Ritter Stolzing trägt eine alberne weiße Rüstung wie aus einem Science-Fiction-Film. Veit Pogners Angebot, Eva als Siegesprämie beim Sängerwettstreit anzubieten, setzt bei Sachs eine merkwürdige Entwicklung in Gang, mal kümmert er sich fast väterlich um Eva, dann wieder ist er unglaublich brutal.
    Die Prügelfuge gerät zur Kissenschlacht
    Claudio Otelli spielt und singt das mit Kraft und Furor und Schmerz, Erika Roos kann als Eva vor allem szenisch punkten. Dem Sachs sängerisch ebenbürtig waren Hyojong Kims fein timbrierter David und Christian-Andreas Engelhardts leicht operettenhafter Beckmesser. Ulrike Meyers Magdalene erfreute mit schön geführter Stimme, Chris Lysacks monochromer Stolzing punktete immerhin durch Kondition.
    Stringent und ohne zu viele Mätzchen entwickelt Benedikt von Peter sein Konzept, zeigt Facetten der unseligen Beziehung und schaltet doch immer wieder auch komische Momente ein. Die Prügelfuge gerät zur Kissenschlacht, die auch vom ersten Rang aus mit gestaltet wird, ein großer Hase schleicht öfters durch die Szenerie und sitzt sogar stumm im Pausenfoyer herum. Wenn kurz vor dem Finale eigentlich Stolzing den Meistern abschwört, um auf eigenen Beinen zu stehen oder auf eigene Faust Karriere zu machen, dann singt hier Eva seinen Part, anschließend hauen beide ab und lassen den verzweifelten, grimmigen Meister Sachs zurück. Der finale Jubelchor ertönt von den Rängen, während ein neues, noch ziemlich junges Mädchen angstvoll auf dem Boden vor Sachs' Wohnung kauert. Das Unheil geht also weiter.
    Dies alles könnte arg plakativ wirken, doch die Regie hat dagegen einen kleinen, feinen Trick parat: die Bühnenmittel des epischen Theaters. Sparsame Requisiten wie Türen, die von den Akteuren selbst immer neu positioniert werden und durch die man eigentlich leicht verschwinden könnte, wirken ebenso wie das nicht immer durchpsychologisierte Agieren einer Kolportage-Handlung entgegen. So ist den Bremer Meister-Musikanten ein starker Saisonauftakt gelungen, den das Publikum überwiegend euphorisch feierte.