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Wahl eines neuen Vorsitzenden
Parteichef Corbyn spaltet Labour-Basis

Mit rund einer halben Million Mitgliedern ist die britische Labour Partei die größte sozialdemokratische Partei Europas. An ihrer Spitze steht Jeremy Corbyn, der auf eine linke Reformagenda setzt. Doch das radikale Programm des Parteichefs spaltet die Basis. Heute beginnt die Wahl eines neuen Vorsitzenden.

Von Ruth Rach | 22.08.2016
    Der Vorsitzende der britischen Labour-Partei Jeremy Corbyn.
    Der britische Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn hat die Partei tief gespalten. (pa/dpa/EPA)
    Arthur Hammond ist seit 1968 Mitglied der Labour Partei und kümmert sich schon seit Jahren um die Finanzen seiner Ortsgruppe in Lewes. Aber neuerdings fühlt er sich in seiner eigenen Partei nicht mehr wohl:
    "Wahrscheinlich wird Jeremy Corbyn zum Parteichef gewählt und dann ist Labour nicht mehr meine Partei."
    Beim letzten Treffen der Ortsgruppe sprachen sich zu seinem Missfallen Dreiviertel der Anwesenden für Jeremy Corbyn aus. Auch in Lewes ist die Zahl der Labour Mitglieder stark gestiegen, erzählt Arthur Hammond. Auch hier gebe es zwei Lager. Die Pragmatiker, die wüssten, dass sie nur mit einem gemäßigten Programm Wahlen gewinnen und regieren können. Und die Schwärmer - kompromisslose Idealisten, die Corbyn folgten, als sei er "der Rattenfänger von Hameln".
    Ortsgruppenmeetings bis zur Wahl des Parteichefs suspendiert
    Bei mehreren Treffen kam es auch in Lewes zu erheblichen Turbulenzen. Inzwischen hat Labour alle Ortsgruppenmeetings suspendiert, bis zur Wahl des Parteichefs am 24. September. Und so treffen sich die Aktivisten informell im Pub. Beim ersten Treffen wurde der Jeremy Corbyn Biograf Richard Seymour nach Lewes eingeladen. Im Elefant and Castle versammelten sich rund 80 Leute zwischen 10 und 94 Jahren.
    "Dies ist ein wichtiger Moment. Die repräsentative Demokratie funktioniert nicht mehr, die Bevölkerung fühlt sich von den politischen Prozessen ausgeschlossen", glaubt Richard Seymour. Er macht die Labour Hierarchie mit verantwortlich. Sie habe sich von der Basis gelöst und wolle lieber eine Spaltung in Kauf nehmen, als mit der breiteren, weiter links angesiedelten Bewegung zusammenarbeiten."
    Wie sollte das britische Wahlsystem reformiert werden? Gibt es einen Corbynismus nach Corbyn? Die Diskussionen verlaufen harmonisch und gipfeln in einem freundlichen Folk-Song über Jeremy Corbyn. Dieses Treffen war erst der Anfang, sagt Mark Perryman, 40, der die Zusammenkunft in Lewes organisiert hat. Er steht am Tag darauf in der Fußgängerzone und verteilt Flugblätter:
    "Die Leute haben Appetit auf eine andere Art von Politik. Weg von der Seifenblase in Westminster. Aber die etablierten Politiker und die Medien wollen uns weismachen, Corbyn sei unwählbar, dabei hat Labour unter Corbyn sämtliche Nachwahlen gewonnen und sogar die Bürgermeisterwahl in London."
    Corbyn-Anhänger werfen BBC unfaire Berichterstattung vor
    Auch unter den Passanten finden sich Freunde von Jeremy Corbyn. Adrienne Thomas, Ende 60, wählt grundsätzlich grün. Aber sie mag Corbyn, denn er sei das genaue Gegenmodell zum Medienschmuser Tony Blair und lasse sich nicht vermarkten:
    "Die etablierten Medien können nichts mit ihm anfangen, weil er ehrlich ist und keine Deals mit ihnen macht, und verwandeln ihn deshalb in eine Spottfigur."
    Viele Corbynfreunde werfen nicht nur der BBC unfaire Berichterstattung vor, sondern auch dem sonst recht labourfreundlichen Guardian. Andere meinen, das liege auch an Corbyn selbst: Er sollte sich den etablierten Medien mehr zuwenden. Corbyn konzentriert sich lieber auf die sozialen Medien und schlägt somit auch hier neue Wege ein, betont Mat Woodruff, ein Gärtnereibesitzer, Mitte 30:
    "Es ist unglaublich beleidigend, dass Corbyn-Anhänger von so vielen Medien nicht ernst genommen, sondern automatisch als Trotzkisten, Extremisten oder Spinner abgetan werden."
    Aber Arthur Hammond findet einfach keinen Zugang zu den "Corbynistas". Als erstes will er sein Amt als Schatzmeister für den Ortsverband in Lewes abgeben. Und dann vielleicht sogar ganz austreten. Arthur Hammond ist 74 und wolle den Rest seines Lebens nicht damit verbringen, Jeremy Corbyn und seine Anhänger zu bekämpfen.