Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Wahl eines NPD-Politikers in Hessen
"Man darf den Wolf im Schafspelz nie unterschätzen"

Sie sei fassungslos darüber, dass in Hessen bei der Wahl eines Ortsvorstehers ein NPD-Mann gewählt worden sei. "Das hätte nie passieren dürfen", sagte Lucia Puttrich, CDU-Kreisvorsitzende, im Dlf. Es sei aber auch "absolut demokratisch", ihn wieder abzuwählen. Puttrich warb für mehr politische Bildung an der Basis.

Lucia Puttrich im Gespräch mit Christine Heuer | 10.09.2019
Zu sehen ist der NPD-Funktionär Stefan Jagsch.
Der NPD-Funktionär Stefan Jagsch - gegen seine Abwahl will er juristische Schritte einlegen (imago images / Hartenfelser)
Christine Heuer: Die ganze Republik sucht einen Weg im Umgang mit der AfD, und natürlich suchen vor allem die anderen politischen Parteien diesen Weg. Alle haben sich festgelegt, mit der AfD wollen sie nicht zusammenarbeiten. Vor diesem Hintergrund passiert nun auf kommunaler Ebene in der hessischen Wetterau etwas, das alle empört.
In der Waldsiedlung, einem Ortsteil von Altenstadt, haben Vertreter von CDU, SPD und FDP gemeinsam einstimmig einen NPD-Kommunalpolitiker zum Vorsitzenden ihres Ortsbeirats gewählt.
Das Echo war immens, die Reaktion kam umgehend: Der Mann wird wieder abgewählt – auch auf Drängen der CDU-Kreisvorsitzenden und hessischen Europaministerin Lucia Puttrich. Sie ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Puttrich.
Lucia Puttrich: Guten Morgen, Frau Heuer.
Heuer: Der Ortsvorsteher von der NPD in der Waldsiedlung soll wieder abgewählt werden. Das Gemeindegesetz, die Gemeindeordnung gibt das her. Wird jetzt alles wieder gut in der Waldsiedlung?
Puttrich: Erst mal ist es gut, dass die Ortsbeiratsmitglieder die Tragweite ihrer Entscheidung erkannt haben und gesehen haben, dass es nicht darum geht, einen Mann mit einem freundlichen Gesicht zu wählen, sondern sich den politischen Hintergrund anzuschauen. Aber dennoch macht mir das im Großen und Ganzen Sorge, wenn eine politische Sensibilität fehlt.
"Absolut demokratisch, ihn wieder abzuwählen"
Heuer: Stefan Jagsch – das ist der NPD-Politiker – hat angekündigt, er wolle sich juristisch wehren. Die Rechte in Deutschland kritisiert, dass ein demokratischer Prozess jetzt rückgängig gemacht werden soll. Das ist ziemlich viel Publicity für die NPD. Ist die Abwahl vielleicht genau das falsche Signal?
Puttrich: Erst mal hätte man sich die Publicity in der Tat ersparen können, wenn man ihn nicht gewählt hätte. Aber es ist absolut demokratisch, ihn wieder abzuwählen. Die hessische Gemeindeordnung sieht sowohl eine Wahl als auch eine Abwahl vor. Das ist ein demokratisches Mittel und keinem darf das Recht genommen werden, seine entsprechende Meinung zu korrigieren oder sein Verhalten zu korrigieren, und das tun jetzt die Ortsbeiratsmitglieder.
03.07.2019, Sachsen, Schkeuditz: Peter Tauber (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, spricht während einer Pressekonferenz zur Gründung der neuen Agentur für Cybersicherheit des Bundes am Flughafen Leipzig/Halle. Die Cyberagentur soll noch in diesem Jahr ihre Arbeit aufnehmen. Sie soll Forschungs-und Entwicklungsprojekte für mehr Internetsicherheit fördern und dafür 100 Beschäftigte bekommen. Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/ZB
CDU-Politiker: - "Wir heben für Rechtsextreme nicht die Hand"
Die Wahl eines NPD-Politikers zum Ortsvorsteher einer hessischen Gemeinde müsse korrigiert werden, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Tauber im Dlf. "Rechtsextreme haben in unserer Gesellschaft keine öffentlichen Ämter zu übernehmen".
Heuer: Wie kann es überhaupt passieren, dass ein NPD-Politiker unter anderem mit den Stimmen der CDU, Ihrer Partei in eine politische Funktion gewählt wird?
Puttrich: Der Ortsbeirat ist die unterste kommunalpolitische Ebene, in der es in der Tat nicht um Parteipolitik geht, sondern um die Belange des Dorfes. Da geht es um die Bank oder um die Straße oder um den Bürgersteig und da wird häufig über Parteigrenzen hinweg zusammengearbeitet und dann leider auch mal ein politischer Hintergrund vergessen. Das hätte bei der NPD nicht passieren dürfen.
Heuer: Frau Puttrich, in der Tat. Auch wenn ich in einem Dorf lebe und mich da politisch engagiere, weiß ich doch eigentlich, dass man mit der NPD als überzeugte demokratische Partei nicht zusammenarbeitet.
Puttrich: Selbstverständlich! Das hätte nie passieren dürfen. Und auch wenn jemand mit einem freundlichen Gesicht daher kommt, muss man den politischen Hintergrund immer im Kopf haben, und eine Zusammenarbeit mit der NPD verbietet sich von selbst.
"Die Ehrenamtlichen waren hoffnungslos überfordert"
Heuer: Wie haben Sie darauf eigentlich reagiert? Was haben Sie gedacht, als Sie das mitbekommen haben?
Puttrich: Ich konnte es im ersten Moment überhaupt nicht glauben, weil ich es am Tag hinterher erfahren habe. Eine Ortsbeiratssitzung hat ja nun keine große Öffentlichkeit. Ich habe erst mal logischerweise vor Ort nachgefragt, was da passiert ist.
Heuer: Warum haben Sie das nicht vorher gemacht?
Puttrich: Das wissen Sie vorher nicht. Ein Ortsbeirat, das ist ein Gremium, das eigentlich ohne große Aufmerksamkeit tagt. Es ist auch nicht so, dass es da Verbindungen gibt, dass es groß in der Zeitung stünde oder es parteipolitische Stränge gäbe. Das sind Gremien, die im Dorf tagen, die im Dorf ihre Sitzungen durchführen, und mir war der Fall nicht bekannt.
Ich habe davon erfahren, nachdem die Wahl stattgefunden hatte. Aber in der Tat hätte man von Seiten derer, die sich nicht zur Wahl stellen wollten, schon mal einen Hilferuf erwartet zu sagen, wie gehen wir mit der Situation um.
Man muss aber auch eines wissen: Keiner von denen, die da saßen, hat erwartet, dass an diesem Abend Herr Jagsch vorgeschlagen wird und dass es überhaupt einen NPD-Kandidaten geben würde. Die Ehrenamtlichen dort waren in diesem Moment hoffnungslos überfordert.
08.09.2019, Hessen, Altenstadt: Stefan Jagsch (NPD), Ortsvorsteher von Altenstadt-Waldsiedlung, steht vor dem Gemeinschaftshaus im Ortsteil, in dem er gewählt wurde und telefoniert. 
Nach Wahl von NPD-Politiker zu Ortsvorsteher - Empörung bei CDU und SPD
Mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP wurde der NPD-Politiker Stefan Jagsch zum Ortsvorsteher im hessischen Altenstadt gewählt. Bundespolitiker reagieren mit Empörung.
Heuer: Na ja. Wie kann ich hoffnungslos überfordert sein, wenn es keinen demokratischen Kandidaten für eine Position gibt, die da vergeben wird?
Puttrich: Sie waren von der Situation überfordert, weil sie ihn als freundlichen Mann kennen, der auch Gemeindevertreter in Altenstadt ist.
Für sie war der in der Kommunalpolitik schon aktiv. Das entschuldigt nichts. Das sage ich ganz deutlich dazu. Aber es hat zur Situation geführt, dass hier nicht die parteipolitische Einstellung gesehen wurde, sondern dass man nur einen Menschen gesehen hatte, der im Ort bekannt ist.
"Ich bin fassungslos darüber"
Heuer: Frau Puttrich, es ist bekannt. Wir alle haben das erst lernen müssen, aber Sie sind ja vor Ort aktiv. Sie werden das gewusst haben, dass die NPD in der Wetterau, in Altenstadt und speziell in der Waldsiedlung eine Hochburg hat. Sie sagen jetzt, Sie haben einen Hilferuf erwartet.
Ich frage das noch mal: Hätten Sie oder auch der Bürgermeister von Altenstadt da nicht die Pflicht gehabt, vorher genauer hinzuschauen und diese Prozesse zu begleiten, wenn Sie wissen, da sitzen Leute zusammen mit jemandem von der NPD und versuchen, gemeinsam Politik zu machen, und da steht dann eine Wahl an?
Puttrich: Jetzt müssen wir das mal in Ruhe anschauen. Es gab ja einen Ortsvorsteher und der Ortsvorsteher ist zurückgetreten. Dann hatte man versucht, einen neuen Kandidaten zu finden. Ich wusste nicht, dass es nicht möglich war, einen neuen Kandidaten zu finden.
Dann gab es eine Sitzung, die mir nicht bekannt war, bei der die Wahl auf der Tagesordnung stand. Von diesen neuen Ortsbeiratsmitgliedern waren acht nicht bereit zu kandidieren und insofern gab es gar kein Zeichen dafür, dass an diesem Tag überhaupt Herr Jagsch auf der Matte stehen würde als Kandidat.
Ich bin allerdings auch fassungslos darüber, das sage ich auch ganz klar, dass man sich in dem Moment überrumpeln lässt, einen Kandidaten wählt, der der NPD angehört, und eine Wahl nicht verschiebt oder nach einer anderen Lösungsmöglichkeit sucht. Ich kann das auch nicht gut reden. Ich kann das auch an der Stelle nicht rechtfertigen, auf gar keinen Fall.
Heuer: Wir versuchen, es zu verstehen, Frau Puttrich. Peter Tauber, der Christdemokrat, der auch in der Wetterau seine politische Heimat hat, dort seinen Wahlkreis hat und im Bundestag für die CDU sitzt, war auch mal Generalsekretär seiner Partei im Bund.
Peter Tauber hat gestern Mittag bei uns gesagt, üblicherweise, so kennt er das, ist der Bürgermeister eingebunden, wenn in den Ortsteilen Vorsteher gewählt werden. Ist das nicht ein Komplettausfall dieser Ebene in Ihrer eigenen Partei im Kreisverband, dass das nicht passiert ist?
"Das ist ein gesellschaftliches Problem"
Puttrich: Nein. Ich bin selbst mal Ortsbeiratsmitglied gewesen und weiß, wie das entsprechend funktioniert. Das heißt, wenn während einer Legislaturperiode ein Ortsvorsteher neu gewählt wird, dann ist das erst mal keine Sache des Bürgermeisters, sondern Sache des Ortsbeirates selbst.
In diesem Moment, da hätte man in der Tat, aber das sage ich auch ganz klar, von Seiten derer, die keinen gefunden haben, Hilfe suchen können und fragen können, wie gehen wir mit der Situation um. Das ist ein Fehler gewesen. Das sehen die Ortsbeiratsmitglieder inzwischen auch ein. Nun muss man auch dazu wissen, dass nicht jedes Ortsbeiratsmitglied überhaupt ein Parteimitglied ist. Auch bei uns ist einer dabei, …
Heuer: Aber dann sitzen die eben auf den Listen.
Puttrich: Das sind keine Entschuldigungen! Ich wiederhole das. Es sind keine Entschuldigungen! Sie müssen die Strukturen dieser Gremien verstehen, bevor man darüber urteilt. Das ist der Punkt, den ich sage.
Heuer: Ja, verstanden. Ich frage trotzdem noch mal. Sie reden über diese Ortsvertreter ein bisschen, Entschuldigung, als wären das unmündige Kinder, die dann um Hilfe hätten rufen müssen. Müssen Sie vielleicht ein bisschen mehr an der politischen Bildung an der CDU-Basis arbeiten?
Puttrich: Das ist ein Problem, das aufgetreten ist nicht nur bei der CDU, auch bei der SPD und auch bei der FDP. Das ist unser aller Herausforderung und nicht nur der politischen Parteien, sondern auch der Gesellschaft. Es ist vollkommen klar: Wenn es rechtsradikale Parteien gibt, dann ist es ein absolutes No Go. Das kann ich marginalisieren, sondern man muss an der Stelle ganz deutlich sagen, welche Gesinnung dahinter steckt.
Die Herausforderungen haben die politischen Parteien, alle politischen Parteien, und auch die Gesellschaft, und das ist das, was mir eine riesen Sorge macht und was auch unser Auftrag ist und was wir aus dieser Situation heraus auch lernen müssen: Bitte schaut genau hin, auch wenn einer noch so freundlich aussieht. Man darf den Wolf im Schafspelz nie unterschätzen.
Heuer: Frau Puttrich, letzte Frage. Haben Sie sich vorgenommen, etwas anders zu machen in Ihrem Kreisverband?
Puttrich: Das ist kein Problem des Kreisverbandes oder von den Parteien, sondern das ist eine Frage der Struktur in der Politik insgesamt. Was wir machen werden: Wir werden selbstverständlich mit unseren ehrenamtlichen Mandatsträgern vertieft diese Diskussion führen. Wir werden mit ihnen auch diesen Fall aufarbeiten, um sie entsprechend zu sensibilisieren, um klar zu zeigen, was passiert, wenn man sich nicht engagiert, wenn man keine Verantwortung übernimmt, wenn man keinen Vorsitz übernehmen will.
Wir haben aber auch die Herausforderung, den Leuten nicht Angst vorm Ehrenamt zu machen, sondern ihnen zu sagen, wenn ihr euch nicht engagiert, bitte beteiligt euch, auch diejenigen, die noch keine Ortsbeiratsmitglieder sind, damit Radikale hier keinen Platz bekommen. Also auch einen klaren Aufbruch derer, die solche Entwicklungen nicht wollen, die im Moment noch nicht engagiert sind. Deshalb ein Ruf für das Ehrenamt und nicht eine Verurteilung des Ehrenamtes.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.