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Wahl-Watching auf der Sofakante

Wann immer man in diesen Tagen den Fernseher einschaltet, auf irgendeinem Kanal trifft man immer auf irgendwelche Politiker, die erklären, warum man gerade sie wählen soll. Der Bundestagswahlkampf, so scheint es, findet dieses Mal im TV statt.

Von Klaus Deuse |
    Man könnte glatt von "Wahl-Watching" sprechen. Einzelne Sender haben sogar eigene Formate entwickelt. RTL etwa hat sich ganz was Großes vorgenommen, nämlich Townhall-Meetings so wie in den USA. Nur bei RTL kommt die Townhall als kleines Fernsehstudio daher. Da dürfen dann Bürger Fragen an die Spitzenkandidaten stellen. Also ganz unheimlich bürgernah ging es in der RTL-Townhall zu, als SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier gefragt wurde, ob er sich wie Ex-Kanzler Schröder die Haare färbe. Da hat der ergraute Außenminister aber locker gekontert, jawohl, weil sonst das Schwarz durchkäme. Kann das etwa als ein televisionär vermitteltes Angebot der SPD für die Fortsetzung einer großen Koalition gewertet werden? Ob wie gehabt Moderatoren oder in dem Fall Bürger fragen, Politiker spulen ihre eingeübten Standardantworten ab. Warum man diesmal die SPD wählen sollte, das wusste Frank-Walter Steinmeier wie aus der Pistole geschossen.

    "Die entscheidende Frage ist ja die: Konnte man seit Beginn der Krise die Dinge einfach so weiter laufen lassen? Ich habe gesagt, nee, das können wir nicht."

    Und natürlich lässt sich Steinmeier allen Umfragewerten zum Trotz nicht bange machen. Frage, wer da wolle.

    "Mich interessiert nicht die Umfrage von gestern, sondern das Wahlergebnis von morgen."

    Um die Deutschen für diesen Wahlgang fit zu machen, hat man sich beim ZDF auch ein besonderes Format einfallen lassen. Mit der talkerprobten Maybrit Illner. Titel der Sendung, bei der die fünf etablierten Parteien auf den TV-Prüfstand durften: "Illner intensiv". Und als die Union an der Reihe war, da erfuhr man von Ilse Aigner, der CSU-Bundesministerin ganz Erstaunliches.

    "Die CSU und die CDU gemeinsam, die Union, ist eigentlich immer zentriert auf den Menschen. Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt."

    Und der stellvertretende CDU-Vorsitzende Christian Wulff legte aus männlicher Sicht nach:

    "Wir wenden uns gegen den Begriff der Herdprämie. In bin heute in meinem Land froh, wenn ich Familien habe, wo überhaupt noch ein Herd in der Familie ist und nicht jeder mal die Mikrowelle anwirft, wenn er gerade zu Hause ist."

    Wenn Politiker im TV, wie gewohnt, auf unmissverständliche Fragen nur mit verbalen Nebelkerzen antworten, dann gerät selbst eine erfahrene Talkerin wie die intensiv nachfragende Maybrit Illner aus dem Konzept.

    "Äh, ist das, äh, 'ne ordentliche, besser gesagt, hintereinander gute und intensive Politik."

    Nicht viel anders geht es bei Anne Will in der ARD zu, wenn sie sich guten Willens anschickt, Politiker wie Finanzminister Steinbrück auf den Punkt zu bringen.

    "Zunächst mal: Den größten Zahlensalat liefert im Augenblick die Union zu den Steuersenkungsversprechen. Absolut aberwitzig."

    So viel Vorwahlwirbel fand noch nie im deutschen Fernsehen statt. Da kann der Zuschauer, sprich Wähler, eigentlich froh darüber sein, dass die ARD nicht nach dem ZDF-Modell "Illner intensiv" noch "Plasberg pulsiert" oder "Beckmann bestürzt" kreiert hat. Dafür gibt es nun beim Ereignis-Kanal "Phönix" ein politisches "Speed Dating", bei dem Bürger auf so bekannte Bundestagsabgeordnete wie Jens Spahn, Carsten Schneider und Nicole Maisch treffen. Also Hinterbänkler von CDU, SPD und Grünen. Und bei SAT 1 tauchen aus der Versenkung in den Ruhestand plötzlich Sabine Christiansen und Stefan Aust auf, die sich gemeinsam Oskar Lafontaine und Wirtschaftsminister zu Guttenberg verbal zur Brust nehmen wollen. Da knistert der Bildschirm garantiert vor Spannung - bis die Politiker wie gewohnt ihre Standpunkte abspulen. Als Wahlhilfe-Infoagentur hilft das Fernsehen eigentlich kaum weiter. Nur ein Kandidat hat bisher nicht um den heißen Brei herumgeredet:

    "Weiss'e, schlechter als die andren bin ich auch nicht."

    Im ZDF hat er außerdem vor Millionen glasklar Position bezogen.

    "Für heute hatte ich eigentlich Attest. Aber ich will mich ihren knallharten Fragen, lieber Herr Lanz, stellen."

    Horst Schlämmer, Spitzenkandidat der HSP, hat den interessierten Bürgern trotz Schnappatmung reinen Wein eingeschenkt.

    "Wir wollen uns nichts vormachen. Deutschland steckt in einer Wirtschaftskrise - und unser Motto ist: durchwurschteln!"

    Endlich ein Kandidat, dem die Wähler vor der Glotze glauben können und an dem sie Spaß haben. Dumm daran ist nur, dass Horst Schlämmer nur auf der Kinoleinwand kandidiert.