Neudeck: Guten Morgen, Frau Durak.
Durak: Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste an dieser Wahl, abgesehen davon, dass sie stattgefunden hat?
Neudeck: Das Wichtigste ist, dass die Bevölkerung weiter Rugova und seiner LDK, also der Liga vom Kosovo, die Treue hält. Das ist deshalb so wichtig, weil sich diese Partei eigentlich in einer Weise in den letzten zwei Jahren passiv verhalten hat, dass man das mit den normalen demokratischen Augen eines Mitteleuropäers nicht fassen kann, dass eine Partei, die so wenig für die Bevölkerung getan hat, die als Partei eigentlich gar nicht da ist, eine Wahl gewinnen kann. Man muss wissen, Parteien im Kosovo sind nicht Parteien wie in der Bundesrepublik Deutschland, die dadurch zustande kommen, dass in den Ortsverbänden und Landesverbänden ein demokratischer Prozess stattfindet. Das hat bei der LDK beispielsweise der Herr Rugova mit drei von seinen Beratern gemacht. Und trotzdem wählt diese Bevölkerung Rugova, aus einem ganz wichtigen Grund, der staatspolitisch, glaube ich, sehr wichtig ist: sie weiß, mit einem Gemäßigten, der mit der internationalen Gemeinschaft, auch mit den Serben ganz gut kann, kann sie weiter vorankommen, während das mit der Partei des Konkurrenten, also mit der Ex-UCK-Partei, die mit den Abkürzungen PDK aufgetreten ist, eben nicht der Fall ist. Das scheint mir ein Ausweis von demokratischer Legitimation zu sein.
Durak: Rugova ist also im wahrsten Sinne des Wortes ein Hoffnungsträger. Hat er denn mehr zu bieten, als nur sozusagen die Inkarnation eines Traums?
Neudeck: Ja, ich denke schon, denn mit Rugova und auch der kleineren Partei von Haralina gibt es wieder eine Möglichkeit, glaube ich, mit Serben nebeneinander im Kosovo zu wohnen, vom Miteinander wollen wir noch gar nicht reden. Haralina ist ein Ex-UCK-Kommandant, der sich ganz gut entwickelt hat. Er konnte z.B. zum ersten Mal bei dem Wahlkampf öffentlich sagen, ohne sich dafür Proteste einzuhandeln, dass es ganz wichtig für den Kosovo ist, dass die serbische Bevölkerung, die geflohen ist, wieder zurückkehren kann, damit man eine Teilung des Kosovo verhindert. Denn das ist im Moment die große Diskussion im Kosovo gewesen, auch während des Wahlkampfes. Die UNO-Verwaltung des Kosovo hat ja etwas getan, das kein Mensch bis heute richtig begreifen kann: sie hat eigentlich ihre alte Politik der Integration aller Völkerschaften und Nationalitäten im Kosovo schon dadurch ein bisschen desavouiert, dass sie eine zweite Universität, eine serbische Universität in dem Gebiet eingerichtet hat, das man jetzt Nordkosovo nennt. Wir wissen ja, dass dieses Gebiet bei Mitrovica von den französischen Truppen von Anfang an nicht ganz in den Kosovo eingemeindet wurde, sondern wir haben dort eine große serbische Enklave, die auch die großen Erzminen enthält. Dort ist eine serbische Universität entstanden, und das ist eigentlich etwas, wo wir alle gedacht hatten, dass die UNO das nicht macht, weil sie das Konzept des multiethnischen Kosovo hat.
Durak: Herr Neudeck, wir haben aber in den vergangenen Wochen und Monaten vor allen Dingen immer wieder davon gehört, dass Serben und Albaner überhaupt nicht miteinander klarkommen. Man kann ja die Leute nicht zwingen, zusammenzuleben.
Neudeck: Ja, deshalb ist es auch so wichtig, dass wir uns in Deutschland klarmachen - vielleicht auch mir Rücksicht auf unsere eigene Vergangenheit nach 1945 -, so schnell geht das nicht, wenn man in einer solchen Weise von einem anderen Volk behandelt worden ist. Es ist erst zwei Jahre her, und Wunden und Traumata heilen nicht so schnell. Ich denke, man muss sich auf eine Zeit - das ist auch die Zeit, wo die UNO-Verwaltung dort weiter tätig sein muss - von fünf bis zehn Jahren einrichten. Das wird in Bosnien nicht anders sein als im Kosovo. Wichtig ist aber, dass jetzt eine Statussicherung - in welcher Weise auch immer - im Kosovo stattfindet. Wir haben in diesem Land 500 000 Junge Menschen, die mit geballten Fäusten in der Tasche herumstehen und auf einem Arbeitsplatz warten. Aber diese Arbeitsplätze werden nicht kommen, weil kein Unternehmer in den Kosovo geht und dort investiert.
Durak: Was braucht es dafür?
Neudeck: Es braucht eine klare Sicherung. Man muss ein Privatisierungsgesetz haben. Es ist ja noch die sozialistische Wirtschaftsordnung vorhanden, in der alles Staatsbesitz ist. Aber diese Privatisierungsgesetze können nicht erlassen werden, solange der Status des Kosovo nicht klar ist, weder von der UNO-Verwaltung noch von einer künftigen Regierung Rugovas. Und solange es keine Arbeitsplätze gibt, werden wir entweder einen großen Exodus von jungen Leuten nach Mitteleuropa haben oder wir werden die ganz gefährliche Situation haben, dass irgendein wildgewordener Rattenfänger diese jungen Leute aufsammelt und sie vielleicht wieder zu neuen Waffenträgern macht. Also die Situation ist wieder ganz dringlich. Ich höre aber aus Brüssel - das ist gerade eben bekannt geworden -, zu der Frage, was aus dem Kosovo werden soll, gibt es zwei Möglichkeiten: die eine Möglichkeit heißt, niemals darüber sprechen und die zweite Möglichkeit, niemals darüber nachdenken. So wird Politik im Kosovo, glaube ich...
Durak: Das ist aber, Herr Neudeck, sicherlich eine Information unter der Hand.
Neudeck: Das hat der ehemalige australische Außenminister jetzt erklärt, dass er das nach den Gesprächen in Brüssel herausbekommen hat, das sei die Politik in Brüssel, niemals darüber sprechen, sondern die Dinge so treiben lassen, mit dieser UNO-Verwaltung, in der man sich noch Zeit lassen kann. Aber jetzt werden die Dinge etwas heftiger werden, weil wir mit dem Ergebnis der Wahl eine wirkliche parlamentarische Versammlung haben, die gewisse souveräne Möglichkeiten hat, im Kosovo etwas zu bestimmen.
Durak: Heute Nachmittag gegen 17 Uhr, so heißt es, wie die OSZE die Ergebnisse der Wahlen im Kosovo bekannt geben. Schönen Dank für das Gespräch, Rupert Neudeck.
Link: Interview als RealAudio
Durak: Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste an dieser Wahl, abgesehen davon, dass sie stattgefunden hat?
Neudeck: Das Wichtigste ist, dass die Bevölkerung weiter Rugova und seiner LDK, also der Liga vom Kosovo, die Treue hält. Das ist deshalb so wichtig, weil sich diese Partei eigentlich in einer Weise in den letzten zwei Jahren passiv verhalten hat, dass man das mit den normalen demokratischen Augen eines Mitteleuropäers nicht fassen kann, dass eine Partei, die so wenig für die Bevölkerung getan hat, die als Partei eigentlich gar nicht da ist, eine Wahl gewinnen kann. Man muss wissen, Parteien im Kosovo sind nicht Parteien wie in der Bundesrepublik Deutschland, die dadurch zustande kommen, dass in den Ortsverbänden und Landesverbänden ein demokratischer Prozess stattfindet. Das hat bei der LDK beispielsweise der Herr Rugova mit drei von seinen Beratern gemacht. Und trotzdem wählt diese Bevölkerung Rugova, aus einem ganz wichtigen Grund, der staatspolitisch, glaube ich, sehr wichtig ist: sie weiß, mit einem Gemäßigten, der mit der internationalen Gemeinschaft, auch mit den Serben ganz gut kann, kann sie weiter vorankommen, während das mit der Partei des Konkurrenten, also mit der Ex-UCK-Partei, die mit den Abkürzungen PDK aufgetreten ist, eben nicht der Fall ist. Das scheint mir ein Ausweis von demokratischer Legitimation zu sein.
Durak: Rugova ist also im wahrsten Sinne des Wortes ein Hoffnungsträger. Hat er denn mehr zu bieten, als nur sozusagen die Inkarnation eines Traums?
Neudeck: Ja, ich denke schon, denn mit Rugova und auch der kleineren Partei von Haralina gibt es wieder eine Möglichkeit, glaube ich, mit Serben nebeneinander im Kosovo zu wohnen, vom Miteinander wollen wir noch gar nicht reden. Haralina ist ein Ex-UCK-Kommandant, der sich ganz gut entwickelt hat. Er konnte z.B. zum ersten Mal bei dem Wahlkampf öffentlich sagen, ohne sich dafür Proteste einzuhandeln, dass es ganz wichtig für den Kosovo ist, dass die serbische Bevölkerung, die geflohen ist, wieder zurückkehren kann, damit man eine Teilung des Kosovo verhindert. Denn das ist im Moment die große Diskussion im Kosovo gewesen, auch während des Wahlkampfes. Die UNO-Verwaltung des Kosovo hat ja etwas getan, das kein Mensch bis heute richtig begreifen kann: sie hat eigentlich ihre alte Politik der Integration aller Völkerschaften und Nationalitäten im Kosovo schon dadurch ein bisschen desavouiert, dass sie eine zweite Universität, eine serbische Universität in dem Gebiet eingerichtet hat, das man jetzt Nordkosovo nennt. Wir wissen ja, dass dieses Gebiet bei Mitrovica von den französischen Truppen von Anfang an nicht ganz in den Kosovo eingemeindet wurde, sondern wir haben dort eine große serbische Enklave, die auch die großen Erzminen enthält. Dort ist eine serbische Universität entstanden, und das ist eigentlich etwas, wo wir alle gedacht hatten, dass die UNO das nicht macht, weil sie das Konzept des multiethnischen Kosovo hat.
Durak: Herr Neudeck, wir haben aber in den vergangenen Wochen und Monaten vor allen Dingen immer wieder davon gehört, dass Serben und Albaner überhaupt nicht miteinander klarkommen. Man kann ja die Leute nicht zwingen, zusammenzuleben.
Neudeck: Ja, deshalb ist es auch so wichtig, dass wir uns in Deutschland klarmachen - vielleicht auch mir Rücksicht auf unsere eigene Vergangenheit nach 1945 -, so schnell geht das nicht, wenn man in einer solchen Weise von einem anderen Volk behandelt worden ist. Es ist erst zwei Jahre her, und Wunden und Traumata heilen nicht so schnell. Ich denke, man muss sich auf eine Zeit - das ist auch die Zeit, wo die UNO-Verwaltung dort weiter tätig sein muss - von fünf bis zehn Jahren einrichten. Das wird in Bosnien nicht anders sein als im Kosovo. Wichtig ist aber, dass jetzt eine Statussicherung - in welcher Weise auch immer - im Kosovo stattfindet. Wir haben in diesem Land 500 000 Junge Menschen, die mit geballten Fäusten in der Tasche herumstehen und auf einem Arbeitsplatz warten. Aber diese Arbeitsplätze werden nicht kommen, weil kein Unternehmer in den Kosovo geht und dort investiert.
Durak: Was braucht es dafür?
Neudeck: Es braucht eine klare Sicherung. Man muss ein Privatisierungsgesetz haben. Es ist ja noch die sozialistische Wirtschaftsordnung vorhanden, in der alles Staatsbesitz ist. Aber diese Privatisierungsgesetze können nicht erlassen werden, solange der Status des Kosovo nicht klar ist, weder von der UNO-Verwaltung noch von einer künftigen Regierung Rugovas. Und solange es keine Arbeitsplätze gibt, werden wir entweder einen großen Exodus von jungen Leuten nach Mitteleuropa haben oder wir werden die ganz gefährliche Situation haben, dass irgendein wildgewordener Rattenfänger diese jungen Leute aufsammelt und sie vielleicht wieder zu neuen Waffenträgern macht. Also die Situation ist wieder ganz dringlich. Ich höre aber aus Brüssel - das ist gerade eben bekannt geworden -, zu der Frage, was aus dem Kosovo werden soll, gibt es zwei Möglichkeiten: die eine Möglichkeit heißt, niemals darüber sprechen und die zweite Möglichkeit, niemals darüber nachdenken. So wird Politik im Kosovo, glaube ich...
Durak: Das ist aber, Herr Neudeck, sicherlich eine Information unter der Hand.
Neudeck: Das hat der ehemalige australische Außenminister jetzt erklärt, dass er das nach den Gesprächen in Brüssel herausbekommen hat, das sei die Politik in Brüssel, niemals darüber sprechen, sondern die Dinge so treiben lassen, mit dieser UNO-Verwaltung, in der man sich noch Zeit lassen kann. Aber jetzt werden die Dinge etwas heftiger werden, weil wir mit dem Ergebnis der Wahl eine wirkliche parlamentarische Versammlung haben, die gewisse souveräne Möglichkeiten hat, im Kosovo etwas zu bestimmen.
Durak: Heute Nachmittag gegen 17 Uhr, so heißt es, wie die OSZE die Ergebnisse der Wahlen im Kosovo bekannt geben. Schönen Dank für das Gespräch, Rupert Neudeck.
Link: Interview als RealAudio
