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Wahlen in Argentinien
Das Phänomen Peronismus

Vier Jahre nach seiner Wahl steht Argentiniens liberalkonservativer Präsident Mauricio Macri vor dem Aus. Sein Herausforderer Alberto Fernández gilt als klarer Favorit bei den Präsidentenwahlen. Die Rückkehr der Peronisten an die Macht weckt Erinnerungen an die Vergangenheit.

Von Victoria Eglau | 26.10.2019
Präsidentschaftskandidat Alberto Fernández während einer Debatte am 21. Oktober in Buenos Aires.
Präsidentschaftskandidat Alberto Fernández während einer Debatte am 21. Oktober in Buenos Aires. (imago images/Agencia EFE)
"Arbeiter, vereint Euch! Seid heute brüderlicher denn je!"
Am 17. Oktober 1945 steht General Juan Domingo Perón auf dem Balkon des Regierungsgebäudes in Buenos Aires und redet zu Hunderttausenden von Argentiniern, die ihm frenetisch zujubeln. Es ist ein historischer Moment, der den Beginn der peronistischen Bewegung markiert.
Perón hat damals gerade einen Putschversuch innerhalb der Militärregierung überlebt. Der Widerstand gegen ihn hängt nicht zuletzt mit seiner arbeiterfreundlichen Politik zusammen. Für mehrere Tage ist er auf einer Gefängnisinsel festgehalten worden. Doch seine Anhänger fordern auf Massenkundgebungen seine Rückkehr. Die Wahlen von 1946 gewinnt Perón und wird Präsident.
"Der Peronismus hat in Argentinien den Sozialismus ersetzt. Der Sozialismus hat in der Arbeiterklasse nie Wurzeln geschlagen", erklärt der Philosoph José Pablo Feinmann. Allerdings wird Perón zu Beginn seiner politischen Karriere nicht nur von Arbeitern und Gewerkschaften unterstützt, sondern auch von einem Teil der Mittelschicht. Von Anfang an existiert auch ein starkes anti-peronistisches Lager. Ein Teil wirft Perón seine Sympathie für den Faschismus vor, ein anderer Teil lehnt die Stärkung der Rechte des Proletariats ab.
Anpassungsfähige Bewegung
Mehr als 70 Jahre später steht die Bewegung des charismatischen Volkstribuns nun erneut davor, die Macht zu erobern. Der Peronismus ist die wohl langlebigste der populistischen Bewegungen Lateinamerikas. Carolina Barry, Politologin von der Universität UNTREF in Buenos Aires, erklärt warum:
"Ich denke, weil der Peronismus immer Antworten auf aktuelle Probleme parat hat. Er hat die Fähigkeit, Macht quasi zu riechen, zu konstruieren und auszuüben. Perón hat mal gesagt, dass letztendlich alle Peronisten sind, ob sie es wissen oder nicht – und da ist etwas Wahres dran."
Das Etikett "Peronist" gilt vielen argentinischen Politikern als erfolgversprechend. Peronistische Politiker sind bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag in den drei chancenreichsten Bündnissen vertreten. Allen voran das Duo Alberto Fernández – Cristina Kirchner, das die Vorwahl im August mit gut sechzehn Prozentpunkten Vorsprung vor Amtsinhaber Mauricio Macri gewonnen hat. Aber auch Macri hat einen Peronisten ins Boot geholt, der sich für das Amt des Vizepräsidenten bewirbt.
"Der Peronismus ist sehr anpassungsfähig. Er folgt verschiedenen Strömungen, steht mal politisch links, mal in der Mitte, mal rechts. Sein wichtigstes Merkmal ist der Pragmatismus", erklärt der politische Journalist Juan Buchet. Dieser Pragmatismus zeigt sich bei Alberto Fernández, von Haus aus eher ein Mitte-Rechts-Peronist, und seiner linksperonistischen Vize-Präsidentschaftskandidatin Cristina Kirchner. Beide waren jahrelang zerstritten, aber haben ihr Zerwürfnis ad acta gelegt. Und die Mehrheit der Bewegung unterstützt die beiden.
Der Historiker Luís Alberto Romero: "Wenn der Peronismus seine Kräfte bündelt, gewinnt er Wahlen, und wenn er sich spaltet, verliert er. Ein peronistischer Caudillo, der verschiedene Strömungen hinter sich vereint, ist eine Sieg-Garantie."
Bündnis mit Cristina Kirchner
Alberto Fernández, der Kandidat, den viele bereits als künftigen Präsidenten sehen, ist aber eigentlich kein Caudillo-Typ – meint zumindest der politische Analyst Sergio Berensztein:
"Alberto Fernández ist ein typischer Peronist aus der Hauptstadt Buenos Aires – einem Distrikt, in dem der Peronismus traditionell in der Minderheit ist und verliert. Fernandez hat daher nie davon geträumt, Präsident zu werden."
Ex-Präsidentin Cristina Kirchner persönlich hat Alberto Fernández auserkoren, mit ihr anzutreten – und ist freiwillig ins zweite Glied getreten. Wohl, weil sie wusste, dass ein großer Teil der Argentinier sie für autoritär, populistisch und korrupt hält, während Fernández ein gemäßigteres Image hat. Dass beiden gemeinsam der Sieg winkt, liege vor allem an der miserablen Bilanz der Regierung des Liberalkonservativen Macri, meint Analyst Berensztein:
"Wenn diese Regierung nicht so ein Desaster hinterlassen hätte, dann wäre es für den Peronismus es nicht so leicht, an die Macht zurückzukehren. Einer von Peróns berühmtesten Sätzen lautet: 'Es ist nicht so, dass wir so gut wären – sondern die anderen sind schlechter als wir.'"
Und deswegen werden auch Nicht-Peronisten für Fernández und Kirchner stimmen – etwa Cynthia Aquino, Bewohnerin eines Elendsviertels in Buenos Aires. Sie gehört zu den mehr als 35 Prozent der Bevölkerung, die in Armut leben:
"Die Regierung Macri hat die Elendssiedlungen vergessen. Hier fehlt es an allem, hier haben Menschen Hunger und viele sind arbeitslos. Ohne Arbeit können wir kein Essen für unsere Kinder kaufen. Fernández und Kirchner sind für mich die einzigen, die die Probleme unseres Landes in den Griff kriegen können. Ich glaube, sie haben die Fähigkeit und die politische Entschlossenheit dazu."