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Wahlen in Argentinien
Junge Journalisten machen den Faktencheck

In Argentinien ist das Vertrauen in die öffentliche Debatte gering, das war auch im zu Ende gegangenen Wahlkampf zu beobachten. Eine Gruppe junger Journalisten hält dem mit Daten entgegen. Die Gruppe nennt sich Chequeado, ist eine Stiftung und bekommt auch aus Deutschland finanzielle Unterstützung.

Von Aglaia Dane | 24.10.2015
    Blick auf das Kongress-Gebäude in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires,
    Argentinien - Buenos Aires - Blick auf das Kongress-Gebäude (picture alliance / dpa /Scholz )
    In Argentinien gibt es weniger Armut als in Deutschland oder Dänemark! Man muss kein Armutsforscher sein, um diese Aussage stark zu bezweifeln. Aber genau das hat die argentinische Regierung vor wenigen Monaten behauptet. Viele Argentinier dachten, sie trauen ihren Ohren nicht. Für die Gruppe Chequeado Anlass, um an die Arbeit zu gehen.
    "Wir haben uns darüber erst amüsiert und hatten dann doch einen ganzen Nachmittag zu tun. Wir mussten erst einmal schauen, wie wird in Deutschland Armut gemessen? Sind die Methoden vergleichbar mit unseren? Und wir mussten Texte übersetzen. Auch wenn die Aussage aberwitzig und nach einer glatten Lüge klingt, das nachzuweisen, kann doch aufwendig sein."
    Chequeado steht für Transparenz und Ausgewogenheit
    Diese Arbeit macht sich die Gruppe seit fünf Jahren. Olivia Sohr ist eines der Gründungsmitglieder. Sie sitzt in dem Redaktionsraum - weiße Wände, improvisierte Holztische, abstrakte bunte Bilder an den Wänden - Startup-Atmospähre. Die Kollegen diskutieren gerade, wie sie ihre Artikel über den Wahlkampf auf der Homepage platzieren. Die zehnköpfige Redaktion knöpft sich jeden Tag Aussagen von Politikern oder anderen Entscheidungsträgern vor und überprüft sie. Am Ende fällt die Gruppe ein Urteil. Das kann lauten: "wahr", "wahr aber...", "übertrieben", "irreführend" oder "falsch".
    "Die Idee ist, die öffentliche Debatte mit Daten zu füttern. Jeder Bürger soll die Möglichkeit haben, an Fakten zu kommen. Und dafür machen wir alle unsere Quellen transparent. Jeder, der unsere Texte liest, muss am Ende zum gleichen Schluss kommen wir. Wenn er das nicht tut, haben wir einen Fehler gemacht."
    Transparenz und Ausgewogenheit - dafür steht Chequeado. Und das ist etwas Besonderes in diesem Land, denn in argentinischen Medien findet man selten eine neutrale Haltung. Die großen Zeitungen des Landes "Clarín" und "La Nación" positionieren sich klar gegen die Regierung. Die aber wiederum nutzt die staatlichen Fernseh- und Radioprogramme, um Propaganda zu verbreiten. Journalisten sind in Argentinien häufig auch politische Aktivisten - eine problematische Mischung. Das hat auch der ehemalige Fernsehmoderator Luis Rosales erlebt, der eine Zeit lang für die Oppositionspartei als Provinz-Gouverneur kandidiert hat. Er hatte sich in seinem Programm immer wieder regierungskritisch geäußert. Im Frühjahr 2013 wurde er entlassen. Auslöser war seiner Meinung nach, dass er darüber berichtet hatte, dass Venezuelas Staatschef Hugo Chávez im Sterben liegt - Chávez war ein enger politischer Freund der Präsidentin Cristina Kirchner.
    Kandidatendebatten im Fernsehen enden im Geschrei
    "Am nächsten Tag wurde mir gesagt, heute gibt es keine internationalen Nachrichten. Und so ging das tagelang weiter - aus irgendeinem Grund, sollte ich nicht mehr auf Sendung gehen. Bis mir meine Chefs gesagt haben: Wir machen nicht mehr weiter mit dir. Denn die schlechten Nachrichten über Chávez haben "sie" - damit war die Präsidentin Cristina Kirchner gemeint - diese Nachrichten hätten sie sehr traurig gemacht."
    Nicht nur das Mediensystem ist extrem polarisiert, auch die argentinische Gesellschaft ist es - gerade jetzt vor den Wahlen. Ein Gespräch unter Freunden abends in der Kneipe über die Kandidatendebatte im Fernsehen endet im Geschrei. Taxifahrer brechen in Hasstiraden aus. Auf Familienfeiern ist das Thema Politik oft ein Tabu. Einig sind sich die Argentinier allerdings darin, dass man niemandem glauben kann - nicht den Medien, nicht den Politikern, nicht einmal der staatlichen Statistikbehörde. Es ist allgemein bekannt, dass die auf Geheiß der Regierung seit acht Jahren die Zahlen zur Inflationsrate schönt. Statistiken über Armut und Tötungsdelikte publiziert die Behörde gar nicht mehr. Das alles ist Ansporn für die Journalisten von Chequeado.
    "Wenn die Präsidentin mal wieder ihre Ansprachen hält, dann twittern Leute - "Hey, wo ist Chequeado" oder sie fordern uns auf "überprüft das Mal". Das ist jetzt auch im Wahlkampf passiert, wenn ein Kandidat eine Rede gehalten hat. Da merkt man, die Leute haben echt das Bedürfnis, dass wir das checken. Das ist wirklich schön, die warten richtig auf unser Feedback."