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Wahlen Indien
Der Name Gandhi zieht nicht mehr

Mit Rahul Gandhi stelle die Kongresspartei derzeit keinen überzeugenden Kandidaten, sagte Christian Wagner, Leiter der Forschungsgruppe Asien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, im DLF. Auch große Korruptionsskandale seien der Grund für die mögliche Wahlniederlage.

Christian Wagner im Gespräch mit Peter Kapern | 07.04.2014
    Unterstützerinnen der Kongresspartei bei der Wahl 2014 in Indien
    Unterstützerinnen der Kongresspartei bei der Wahl 2014 in Indien (picture alliance / dpa)
    Peter Kapern: Bei uns am Telefon ist Christian Wagner, der Indien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Wagner.
    Christian Wagner: Guten Tag!
    Kapern: Warum eigentlich hat die Kongresspartei in Indien so abgewirtschaftet, denn die Umfragen zeigen ja doch deutliche Verluste voraus, auch, wenn sie mit großen Fragezeichen zu versehen sind, wie uns das der Kollege Jürgen Webermann gerade geschildert hat?
    Wagner: Ja, man muss bei den Umfragen sicherlich vorsichtig sein. Aber ich denke, was maßgeblich zum Abschwung der Kongresspartei beigetragen hat, war zum einen der wirtschaftliche Niedergang - Indien hat heute nur noch ein Wirtschaftswachstum um die fünf Prozent, was deutlich unter den selbst gesteckten Zielen ist -, sowie zweitens natürlich die Korruptionsskandale, die seit 2010 das Land erschüttert haben und die doch ganz neue Dimensionen angenommen haben. Hier hat die Regierung vergleichsweise wenig getan, um damit entsprechend aufzuräumen und damit natürlich auch ihr Image beim Wähler zu verbessern.
    Kapern: Können Sie uns die Dimension dieser Korruption schildern, denn Korruption in Indien scheint ja an sich doch kein neues Phänomen zu sein?
    Wagner: Ja. Korruption selber ist nun leider ein dauernder Begleiter der indischen Demokratie. Aber es gab im Zuge der Liberalisierung doch einige größere Skandale. Einen Skandal bei der Ausführung der Commonwealth-Spiele, wo dann mal jemand nachgerechnet hat und darauf kam, dass eine Rolle Toilettenpapier in Indien 90 Dollar gekostet hätte. Das ist nun selbst für indische Verhältnisse relativ viel. Zweiter großer Skandal war die Versteigerung der Telekommunikationslizenzen, wo es nicht mit rechten Dingen zuging. Wir erinnern uns in Deutschland, dass dort natürlich auch mehrere Milliarden aufgerufen wurden. Also es hat hier doch in den letzten Jahren Skandale gegeben, die bedingt durch die wirtschaftliche Öffnung ganz neue Dimensionen erreicht haben und damit natürlich auch die Unzufriedenheit verstärkt haben.
    Kapern: Jürgen Webermann hat uns ja gerade in seinem Beitrag noch mal aufgezählt, wer alles für die Kongresspartei in den vergangenen Jahrzehnten bei Wahlen angetreten ist, die Macht in Indien innehatte. Immer wieder fällt da der Name Gandhi. Ist diese Partei so etwas wie ein Familienbetrieb?
    Wagner: Ja, sie ist sicherlich ein Familienbetrieb. Und das ist vermutlich auch das größte Problem, denn wenn man keinen überzeugenden Kandidaten der Familie hat, wie es momentan mit Rahul Gandhi der Fall ist, dann bleibt natürlich von der Partei relativ wenig übrig. Also ich würde schon davon ausgehen, dass die Partei hier ein massives Problem hat. So sehr der Name Gandhi früher die Wähler angezogen hat, so sehr hat doch Rahul Gandhi bei seiner Wahlkampfperformance in den letzten Wochen und Monaten die Wähler eher enttäuscht. Die Wahlveranstaltungen waren schlecht besucht, er hat keine großen Interviews gegeben, er hielt sich sehr zurück. Aus dem Grund hat seine Mutter Sonia Gandhi, die Parteiführerin der Kongresspartei, ihn bewusst nicht zum Spitzenkandidaten gemacht, weil vermutlich man auch in der Kongresspartei gemerkt hat, gegen Herrn Modi würde Herr Rahul Gandhi sicherlich verlieren und wäre damit natürlich für künftige politische Aufgaben verbrannt.
    Kapern: Damit haben Sie den Namen eines Wahlfavoriten genannt, eines weiteren: Narendra Modi von den Hindu-Nationalisten, der BJP. Was macht den eigentlich so attraktiv für die Wähler in Indien?
    Wagner: Ich glaube, es macht ihn vor allem sein wirtschaftlicher Erfolg attraktiv. Die BJP hat es eigentlich geschafft, in den letzten Wochen und Monaten de facto immer nur auf die Frage der wirtschaftlichen Entwicklung abzuheben, der guten Regierungsführung. Dem gegenüber haben Themen wie der religiöse Fundamentalismus eigentlich keine Rolle gespielt.
    Kapern: Aber genau der haftet ja eigentlich Narendra Modi auch an. Er wird immer wieder in Zusammenhang gebracht mit Pogromen gegen Muslime in Indien im Jahr 2002. Hat er Blut an seinen Händen?
    Wagner: Er hat, wenn man den Gerichten glaubt, sicherlich kein Blut an seinen Händen. Aber er hat natürlich durch sein zögerliches Verhalten dazu beigetragen, dass es eben zu diesen gewaltsamen Exzessen kam. Die BJP steht natürlich weiterhin für den Hindu-Nationalismus. Sie hat ja ironischerweise erst heute ihr Wahlprogramm veröffentlicht. Und dort finden sich natürlich auch eine Reihe von Punkten, die natürlich den Minderheiten zu denken geben, unter anderem die Einführung eines einheitlichen Zivilrechts, was sich dann über die Hintertür natürlich gegen die Privilegien religiöser Minderheiten in Indien richtet.
    Kapern: Erschöpft sich dieser Hindu-Nationalismus schon in solchen Regelungen? Religiöse Aufladung der Politik ist uns ja auch aus islamischen Staaten beispielsweise bekannt. Ist das vergleichbar?
    Wagner: Es ist, glaube ich, nicht ganz vergleichbar. Man darf nicht vergessen: Die BJP wird vermutlich, auch selbst wenn sie jetzt die Wahlen gewinnt und stärkste Partei wird – das scheint vielleicht das einzig sichere, was man von den Umfragen ablesen kann -, dann wird sie aber doch nicht einen Stimmenanteil von mehr als 30 Prozent erreichen. Das heißt, 70 Prozent der indischen Bevölkerung und eben auch viele Hindus sind natürlich mit dieser hindu-nationalistischen Ausrichtung nicht zufrieden. Und es wird dann natürlich für die BJP wichtig sein, entsprechende Koalitionspartner zu finden und auch über die Koalitionspartner, die großen Regionalparteien, kommt eigentlich immer ein mäßigendes Element in die Politik. Also ich denke, hier wird man sicherlich die endgültige Regierungsbildung abwarten müssen.
    Über Christian Wagner:
    Der Wissenschaftler studierte bis 1985 Politikwissenschaft im Hauptfach sowie neuere und neueste Geschichte und Soziologie als Nebenfächer in Freiburg, 1989 promovierte er. Danach arbeite er an verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen. Seit 2002 ist er Forschungsgruppenleiter der Forschungsgruppe Asien an Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.
    Kapern: Herr Wagner, Sie haben eben den wirtschaftlichen Niedergang Indiens kurz angesprochen. Lassen Sie mich noch mal kurz darauf zurückkommen. Wir haben ja jahrelang Indien als aufstrebendes Schwellenland wahrgenommen, wir haben von der Software-Industrie dort gehört, wir haben registriert, dass indische Konzerne renommierte Unternehmen im Westen aufgekauft haben. Und plötzlich stottert der indische Wachstumsmotor. Warum?
    Wagner: Ja. Er stottert zum einen aufgrund der weltwirtschaftlichen Verwerfungen, die dann Indien auch getroffen haben. Er stottert aber noch sehr viel mehr, weil die Regierung es natürlich nicht geschafft hat, Reformen im Innern durchzusetzen. Hier wäre zum ersten zu nennen die Reform der Arbeitsgesetzgebung, die für viele Investoren abschreckend ist. Zum zweiten gibt es immer noch massive Defizite im Bereich der Infrastruktur. Hier hat die Regierung zwar viel Geld in die Hand genommen, aber Stromausfälle sind leider immer noch ein Phänomen, auch die klassischen Infrastruktur-Verbindungen, Hafenausbau, Straßenausbau, das hinkt alles deutlich im Vergleich zu ost- oder südasiatischen Schwellenländern hinterher. Also hier muss man auch sagen, dass die Regierung es eigentlich nicht vermocht hat, hier große Reformen durchzusetzen. Der letzte große Streitpunkt war die Öffnung des indischen Marktes für den Einzelhandel. Auch da gab es dann nur einen halbherzigen Kompromiss. Hier steht natürlich Narendra Modi für eine ganz klar wirtschaftsfreundliche liberale Politik, aber auch er wird sich natürlich dann mit seinen Koalitionspartnern darüber erst mal auseinandersetzen müssen.
    Kapern: Christian Wagner war das, der Indien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Wagner, danke für Ihre Expertise, danke für die Auskünfte, schönen Tag noch.
    Wagner: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.