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Wahlkämpfer wieder willkommen

Um den Jahreswechsel nannte der rheinland-pfälzische Spitzenkandidat Herbert Mertin (FDP) den Vorsitzenden seiner Partei noch einen "Klotz am Bein". Nun strahlt der Stern des Außenministers wieder, er wäre ein gern gesehener Gast im Wahlkampf. Doch Westerwelle kam nicht.

Von Ludger Fittkau |
    Stehtische zwischen alten Textil-Maschinen. Das Kulturzentrum "Kammgarn" in Kaiserslautern war früher eine Spinnerei. Die Leute, die an diesem Abend die Halle füllen, wollen Guido Westerwelle sehen. Enttäuschung, als sie erfahren, dass der Bundesaußenminister doch nicht kommt:

    "Ich habe heute Mittag noch auf die Homepage geguckt, da stand auch noch, dass er kommen würde."

    "Es hieß ja, er wäre ein Klotz am Bein, wir können ihn gar nicht brauchen. Jetzt waren wir überrascht, dass er doch kommt. Jetzt wollten wir ihn hören und jetzt hat sich das auch erledigt."

    "Schade, dass er nicht da ist."

    Jeder der Anwesenden weiß, dass der Spitzenkandidaten der FDP, Herbert Mertin, Westerwelle noch vor drei Monaten nicht als Wahlkämpfer nach Rheinland-Pfalz einladen wollte. Der Bundesparteichef galt Anfang des Jahres als Stimmen-Killer. Mittlerweile hat er an der Basis wieder an Sympathie gewonnen.

    Anerkannt wird seine Haltung zu den Demokratiebewegungen in Nord-Afrika. Aber nicht nur als Außenminister hat er sich neuen Respekt verschafft. Dass er nach der Katastrophe in Japan gemeinsam mit der Bundeskanzlerin die erst vergangenen Herbst von schwarz-gelb beschlossene Laufzeitverlängerung wieder auf den Prüfstand stellte, wird ihm hoch angerechnet. Auch von Günter Eymael, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Landtagsfraktion – einem der einflussreichsten Männer Liberalen in Rheinland-Pfalz:

    "Es ist in der Tat so, Guido Westerwelle hat erheblich gewonnen. An Ausstrahlung, auch durch seine Tätigkeit als Außenminister. Mit seiner Nordafrika-Politik trifft er mit seinen Aussagen den Kern der Sache. Und er ist für die Demokratie und für die Menschenrechte und wie er sich dort einsetzt – und hat auch jetzt in der schwierigen Situation in Japan Rückgrat gezeigt und nimmt die Situation sehr ernst."

    Vor der Nuklearkatastrophe in Japan waren es lediglich die Grünen, die auf ihren Wahlplakaten Kritik an Atomkraft übten. Bis vor anderthalb Wochen bestimmten sehr regionale Themen wie etwa der Nürburgring, Brückenpläne an Rhein und Mosel oder der Fluglärm über Mainz den Wahlkampf. Nun aber ist alles anders.

    Würden nicht überall in der Halle gelbe Flyer ausliegen, könnte man an diesem Abend glatt vergessen, dass man auf einer Wahlkampfveranstaltung der FDP ist. An allen Tischen wird fast pausenlos über neue Stromleitungen für Offshore-Windparks diskutiert. Auch über Möglichkeiten wird gesprochen, wie sich der Widerstand in der Bevölkerung gegen neue Infrastruktur zur Gewinnung regenerativer Energien vielleicht brechen lässt. Auch

    Spitzenkandidat Herbert Mertin hört sich ein bisschen so an, als sei er immer schon ein ökologiebewusster Politiker gewesen. Sein Streit mit Westerwelle – vergessen.

    "Ich habe ja auch immer gesagt, die Stimmung ist deutlich besser und die Belastung gibt es nicht."

    Nicht mehr Westerwelle spaltet die FDP, sondern die Kernspaltung belastet (alternativ überstrahlt) den Wahlkampf. Die Liberalen in Rheinland-Pfalz fordern, dass die vorläufig bis Mitte Juni stillgelegten sieben alten deutschen Atomanlagen endgültig abgeschaltet werden. Gleichzeitig ahnen die FDP-Anhänger an diesem Abend in der alten Spinnerei, dass in zehn Tagen vor allem die Grünen vom neuen gesellschaftlichen "Atomkraft- Nein danke"-Konsens profitieren werden. Lothar Engelmann aus Kaiserslautern sieht die Aussichten für Schwarz-gelb am Wahltag nüchtern.

    "Den nicht so bürgerlichen Parteien kommt das gerade recht."

    Dennoch ist er mit der schnellen Reaktion der Berliner Koalition zufrieden:

    "Aber die Bundesregierung hat doch schnell reagiert. Und das nimmt denen doch viel Wind aus den Segeln. Also – Angela ist doch ne schlaue Physikerin."

    Das Moratorium – nur aus wahltaktischen Gründen? Viele an der pfälzischen FDP-Basis schütteln energisch den Kopf. Dass Merkel und Westerwelle nach den Landtagswahlen am 27. März eines der sieben stillgelegten Kraftwerke wieder hochfahren werden, kann sich in Kaiserslautern niemand vorstellen. Wie Julia Kuhns und Michael Höll formulieren es an diesem Abend viele:

    "Es würde sie unglaubwürdig machen, das ist meine persönliche Meinung."

    "Generell bin ich der Ansicht, dass die sieben alten Meiler durchaus abgeschaltet werden sollten. Bei Neueren kann man noch drüber streiten, wenn sie entsprechende Sicherheitsstandards erfüllen. Aber generell sehe ich das so, dass der Ausstieg eher früh als spät stattfinden sollte und möglichst schnell der Umstieg auf erneuerbare Energien vonstatten gehen sollte."

    Die Atomkraftwerke Biblis und Phillipsburg liegen nur etwa 50 Kilometer weiter östlich, nicht sehr viel weiter von Kaiserslautern steht auch der Meiler Cattenom in Lothringen. Julia Kuhns raucht draußen vor der Tür noch eine Zigarette. Sie ist nicht überrascht, dass der FDP-Chef in Berlin gebraucht wird und nicht in die Pfalz kommt. Dennoch erhofft sie sich von ihm etwas – Initiative in der europäischen Atompolitik nämlich:

    "Nachdem jetzt ja Europa groß geschrieben wird, in allen Belangen, denke ich schon, dass man als unmittelbares Nachbarland schon versuchen sollte, da einzuwirken, dass man die Franzosen auch ein bisschen davon wegbewegt. Weil – in anderen Belangen ist Europas immer ein Thema, alles wird europaweit geregelt, und dann sollte auch das ein bisschen angenähert werden, denke ich schon."

    Die Landespolitiker Günter Eymael und Herbert Mertin bremsen die aufkommende Energiewende-Euphorie an ihrer Parteibasis ein wenig.

    Denn nicht nur die alten Atommeiler an Rhein und Mosel sind nahe, sondern auch das größte zusammenhängende Chemieareal der Welt – die BASF in Ludwigshafen. Die brauche ziemlich viel Energie, weiß Eymael - Tag und Nacht, vierundzwanzig Stunden lang:

    "Die BASF bräuchte, wenn sie nur über Solartechnik versorgt werden will, ein Feld von 200 Quadratkilometern. Das ist die dreifache Fläche der Stadt Mainz, um ihren Betrieb aufrechtzuerhalten, nur um mal eine Zahl zu nennen. Und vor dem Hintergrund brauchen wir von außen Energie und die kann nur über Offshore-Anlagen gesichert werden."

    "Das Problem ist, dass viele Dinge manchmal zu lange dauern, der Bau neuer Trassen zum Beispiel. Gegebenenfalls der Bau von Pumpspeicherkraftwerken, um das Speicherproblem zu lösen. Und wenn wir hier zu Beschleunigungen kommen könnten, ließe sich der Umstieg vielleicht sogar schneller machen."

    Wie gesagt: Spitzenkandidat Mertin klingt in diesen Tagen so, als ob er schon immer grüner als die Grünen gewesen sei. Die Anti-Atombewegung – so scheint es - ist breiter geworden. Bleibt abzuwarten, ob sie das auch nach dem 27. März noch sein wird.