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Wahlkampf mit Misstrauen

In den Wahlkampf wollen die Sozialdemokraten mit genau dem Gerhard Schröder ziehen, dem sie am vergangenen Freitag das Vertrauen entzogen haben. Er, der jetzt meint, nicht mehr anständig regieren zu können, will genau das wieder tun - oder tut so, als wolle er es wieder tun. - Fragen an den Politologen Wichard Woyke.

Moderation: Ferdos Forudastan |
    !Forudastan: Es ist - vorsichtig ausgedrückt - eine merkwürdige Situation: da steht der Bundeskanzler im Bundestag und bittet seine Koalition inständig, ihm ihr Vertrauen zu verweigern. Ein Teil von SPD und Bündnisgrünen schlägt Gerhard Schröder diese Bitte ab, ein anderer Teil gewährt sie ihm. Nun ist der Regierungschef erleichtert, weil ihm die Mehrheit des Parlaments ihr Misstrauen bekundet hat. Er hofft, dass der Bundespräsident bald den Bundestag auflöst und dass es - unbeanstandet vom Bundesverfassungsgericht - am 18. September zu einer vorgezogenen Bundestagswahl kommt.

    In den Wahlkampf wollen die Sozialdemokraten mit genau dem Gerhard Schröder ziehen, dem sie am vergangenen Freitag das Vertrauen entzogen haben. Er, der jetzt meint angesichts etlicher verlorener Landtagswahlen, eines von der Union dominierten Bundesrates und heftiger Kritiker in den eigenen Reihen, nicht mehr anständig regieren zu können, will genau das wieder tun - oder tut so, als wolle er es wieder tun. Wichard Woyke ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Münster. Herr Woyke, ein Bundeskanzler ohne Mehrheit, das ist ja eigentlich genau das, was man eine "lame duck", also eine "lahme Ente" nennt. Wie führt man denn als "lahme Ente" erstens seine Amtsgeschäfte weiter und wie macht man zweitens als "lahme Ente" Wahlkampf?

    Woyke: Na ja, zunächst einmal: als "lame duck" führt man die Amtsgeschäfte so zu Ende, wie das gewünscht wird. Das heißt also, die normale Routinearbeit geht anstandslos weiter. Man wird aber keine großen neuen Projekte mehr machen, die einen eventuellen Nachfolger - oder eine Nachfolgerin - binden könnten. Und von daher ist im Augenblick nur business as usual angesagt: man repräsentiert, man macht aber keine großen neuen politischen Initiativen. Das ist ja auch nicht erforderlich angesichts der kommenden Sommerferien und des Wahlkampfs, der ja relativ kurz sein wird.

    Forudastan: Und wie macht man als "lahme Ente" Wahlkampf? Das ist ja wahrscheinlich noch die viel größere Herausforderung.

    Woyke: Da haben Sie vollkommen Recht, das ist die wesentlich größere Problematik. Weil, wir müssen ja zunächst einmal sehen, dass unser Grundgesetz eben nur zwei Möglichkeiten vorsieht für die Auflösung des Bundestages. Und Schröder hat diese Möglichkeit gewählt, die vor ihm schon Willy Brandt 1972 und Helmut Kohl 1983 gewählt hatten. Und das ist natürlich sehr, sehr unglücklich, dass sich ein Kanzler das Vertrauen entziehen lassen muss, um anschließend eben in den Wahlkampf zu ziehen als Spitzenkandidat. Das hat Willy Brandt aber 1972 mit großem Erfolg gemacht. Die SPD hat - ich darf darauf zurückverweisen - die größte Mehrheit bekommen, die sie überhaupt je hatte. Dann hat Helmut Kohl dies getan, 1983, und hat auch eine größere Mehrheit bekommen als man zuvor hatte. Aber es ist in dieser Situation natürlich außerordentlich schwierig, weil sich die Situationen von 1972 und 1983 doch nicht miteinander vergleichen lassen mit der jetzigen Situation.

    Forudastan: Können Sie das noch etwas näher erläutern?

    Woyke: Ja, und zwar ist ja gerade im Wahlkampf 1972 Willy Brandt mit einer hinter ihm geschlossenen SPD in den Wahlkampf gezogen. Es ging um eine Auseinandersetzung zwischen CDU/CSU auf der einen Seite und SPD und FDP auf der anderen Seite. Es ging im Wesentlichen um die Entspannungspolitik. Hier waren die Fronten ganz klar geklärt: man war für die Ostpolitik, man war für die Entspannungspolitik und deswegen unterstützte man den Kanzler Brandt. Ich erinnere mich noch an das Motto, Willy Brandt sagte: "Jetzt wird geholzt." Das heißt, man war also einig. Und wenn wir das vergleichen, heute, dann ist diese Einigkeit in der Partei, in der SPD, ja nicht vorhanden. Das können Sie am Wahlergebnis ablesen. Das können Sie aber auch an den Einlassungen mancher SPD-Politiker lesen, sehen und hören, die gegenüber der Reformpolitik von Schröder eben Zweifel angemeldet haben.

    Forudastan: Auch mit der Situation '82, als Helmut Kohl sich hat das Misstrauen aussprechen lassen, ist das nicht vergleichbar, oder?

    Woyke: Auch '82, '83, ja '82 war das Misstrauensvotum, das konstruktive, und '83 war dann eben, ja '82 war auch noch die Auflösung, das ist richtig, und '83 die Wahlen dann. Auch das ist nicht vergleichbar, weil es nämlich um eine Bundesregierung ging, die gerade bestätigt worden war in einem konstruktiven Misstrauensvotum und die jetzt nach der Legitimation durch den Wähler suchte. Innerhalb von FDP und CDU/CSU war man sich ja einig, dass man diesen Bundeskanzler weiter stützen wollte und diese Politik der christlich-liberalen Koalition, die Kohl eingeleitet hatte, eben fortführen wollte. Und insofern unterscheiden sich in der Sache diese beiden Situationen deutlich von der jetzigen Situation.

    Forudastan: Ist denn jetzt - mal ganz abgesehen von dem Verfahren, wie es jetzt zu Neuwahlen kommt - die Autorität von Gerhard Schröder nicht durch die letzten Jahre so stark angeschlagen, dass es eigentlich unmöglich für ihn ist, diese Wahl noch zu gewinnen?

    Woyke: Also man soll ja nie etwas ausschließen, aber es scheint im Augenblick so, dass es außerordentlich schwierig ist für Schröder und die SPD, die Wahl zu gewinnen. Die SPD ist in einer gewissen Zwangssituation: es ist ihr nämlich auf der linken Seite eine Konkurrenz entstanden in Form der alternativen Liste. Das heißt also, dass hier mit PDS und WSAG tatsächlich eine linke Partei entstanden ist oder entstehen wird, die viel sozialdemokratisches Wählerpotenzial bindet. Um dem zu entgegnen, hat man bei der SPD jetzt einen stärkeren Linksschwenk eben vorgenommen - ich denke nur an die "Reichensteuer", um da nur mal eins zu sagen. Und auf der anderen Seite steht man für Reformpolitik, also Agenda 2010, und will das noch weiter fortführen. Das heißt, man muss einen Spagat vollführen und dieser Spagat ist nicht glaubwürdig. Und das bedeutet aber auch, dass Gerhard Schröder diesen Spagat ja zeigen muss, denn die SPD hat ja keinen anderen Kandidaten, der erfolgreich Wahlkampf machen könnte. Und von daher ist die sozialdemokratische Partei im Augenblick in einer Zwangssituation, dass sie den Schwenk nach links im Wahlprogramm erklären muss mit einem Kandidaten, der für Reformpolitik steht und der sich dafür hergeben muss, diesen Schwenk auch jetzt noch zu begrüßen.

    Forudastan: Dieser Freitag und die Wochen davor, mit dem ganzen Streit in der Koalition und mit dem gesamten Unmut gegen Gerhard Schröder innerhalb der SPD und innerhalb der Grünen - hat das alles nicht genau den Eindruck erweckt, den Rot-Grün eigentlich auf keinen Fall erwecken wollte, dass man nämlich in ganz vieler Hinsicht politisch und personell zerstritten und völlig zerrissen ist?

    Woyke: Ich glaube, es war nicht nur dieser Freitag, sondern es waren die letzten fünf, sechs Wochen, die seit der Wahl in Nordrhein-Westfalen vergangen sind. Der Coup war genial für die erste Woche, als am 23. die Schlagzeilen eben Gerhard Schröder gehörten und das Wahlergebnis von Nordrhein-Westfalen sekundär in der Medienlandschaft war. Dass aber genau das Ziel - dass nämlich mit Hilfe solch einer Vertrauensfrage die eigenen Unterstützungsreihen zu disziplinieren - eben nicht erreicht worden ist, sondern genau das ganze Gegenteil erreicht worden ist: dass in der SPD, vor allem in der SPD, eben eine Auseinandersetzung stattfand über die Nichtbeteiligung dieses "Putsches von oben". Und das kann man in einer Partei wie der SPD nicht machen. Daran sind schon andere Kanzler gescheitert - Helmut Schmidt wie aber auch eben Willy Brandt. Ich möchte nur auf eins hinweisen: es war nötig beispielsweise, dass die SPD einen Sonderparteitag einrichten musste, um diese ganze Agenda 2010 eben abstimmen zu lassen. In dieser Zeit gab es auch noch das Mitgliederbegehren - das war das erste Mal in der SPD, das ist ein Misstrauensantrag gegen einen Parteivorsitzenden, der damals noch Schröder hieß. Und das heißt also, das kam jetzt alles hoch in diesen fünf Tagen, Schröder hatte zu wenig die Partei - wie es so schön heißt - mitgenommen, als dass sie ihn vollkommen unterstützen würde.

    Forudastan: Zeigt eigentlich nicht diese fast gespenstische Situation vom Freitag und von den Wochen davor - und wahrscheinlich auch in den Wochen, die jetzt vor uns und vor allen Dingen vor der SPD liegen -, dass es aus Sicht der SPD für die SPD besser wäre, sie könnte sich dort sammeln und neu aufstellen, wo das - weil weniger Druck herrscht, weil es weniger Sachzwänge gibt - besser möglich wäre, nämlich in der Opposition?

    Woyke: Ja, Parteien streben nun mal immer an die Macht. Und Herr Müntefering hat auch gesagt, es wäre besser, zu regieren, wir werden schon sehen, was wir davon haben, wenn wir eben außerhalb sind. Und Sie sehen das auch bei der FDP, die mit aller Macht eben wieder zurück hier in die Bundesregierung strebt. Aber es ist richtig, dass sich Parteien eben am besten regenerieren können in der Opposition. Dass sie sich sowohl personell als auch programmatisch dort neu aufstellen können und dass eine inhaltliche Auseinandersetzung über diese Programmatik selbstverständlich in der Opposition besser erfolgen kann, weil die Zwänge des Regierens dann eben nicht notwendig sind. Aber, man kann natürlich nicht in einen Wahlkampf ziehen und kann sagen: Wir treten zwar an, weil wir antreten müssen, wir wollen aber eine anständige Opposition machen und wollen erst mal gucken, was wir in der Opposition dann eben inhaltlich verändern können. Nein, das kann eine Partei nach außen hin nicht machen. Aber wenn es denn so kommt, dass die SPD in die Opposition geschickt wird durch den Wähler, dann wird genau dieser Prozess eingeläutet werden innerhalb der Partei. Dann wird es einen ganz starken Schnitt geben und dann wird eine ganz entscheidende Debatte über die zukünftige Programmatik der SPD - gerade vor dem Hintergrund, dass eine Alternative am linken Rand für die SPD eben entsteht - eben stattfinden.