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Wahlsieg in NRW beruht auch auf inhaltlicher Debatte"

Heinemann: Aus der griechischen Mythologie ist die Geschichte des Königs Midas bekannt. Dionysos erfüllte dem Monarchen den Wunsch, dass alles was er berühre sich in Gold verwandle. Der Mann war innerhalb kurzer Zeit ein Besserverdienender. Allein die Freude über den neuen Glanz war bekanntlich von kurzer Dauer, denn auch Speise und Trank mutierten zu Edelmetall. In ähnlicher Lage befindet sich zur Zeit die CDU. Ungläubig eilen die Christdemokraten von Wahlsieg zu Wahlsieg: Hessen, Europa, Saarland, Brandenburg, gestern Thüringen und die nordrhein-westfälischen Rathäuser. Wo immer die CDU antritt, lautet die Frage nicht ob, sondern in welcher Höhe sie gewinnt. Die gestrigen Ergebnisse: Absolute Mehrheit für die Union in Thüringen und bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, in Essen, Münster und Bielefeld setzten sich CDU-Kandidaten im ersten Wahlgang gegen die SPD-Amtsinhaber durch. Macht der Erfolg blind? Liegt das Gold so schwer im Magen, dass die Reformer einschlafen? Wie kann die Union den Trend konservieren? - Am Telefon ist Jürgen Rüttgers, Mitglied des CDU-Bundesvorstandes und Vorsitzender der CDU in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen!

    Rüttgers: Guten Morgen Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Rüttgers, kann die CDU vor Kraft noch gehen?

    Rüttgers: Wir können gehen, und das mit der Kraft ist immer eine Frage, ob es morgens oder abends ist. - Wir haben einen tollen Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen errungen, und den haben wir auch errungen, weil wir mitten im Wahlkampf eine inhaltliche Debatte geführt haben. Insofern war das nicht nur der miserable Zustand der SPD, der uns geholfen hat, sondern auch, dass die neue CDU im Westen den Wählerinnen und Wählern ein sehr attraktives Angebot vorgelegt hat.

    Heinemann: Welche inhaltliche Debatte meinen Sie?

    Rüttgers: Wir haben ja bundesweit über die Frage debattiert, wo die CDU Veränderungen auch an ihrer Programmatik vornehmen musste. Da war ja der eine oder andere in Berlin, der als ich mich zu Wort gemeldet habe gar nicht so erfreut war. Ich habe das aber deshalb gemacht, weil ich der Auffassung bin, dass eine Opposition nicht nur sagen darf, wogegen sie ist, sondern auch sagen muss wofür sie ist und deutlich machen muss, in welche Richtung die politische Arbeit einer Partei geht.

    Heinemann: Ihr Thesenpapier zur Familien- und Bildungspolitik ist ja vor einem Monat nicht gerade auf Begeisterung gestoßen. Lässt das für die Reformfähigkeit der CDU nicht schlimmes ahnen?

    Rüttgers: Nein. Gerade die Tatsache, dass wir diesen sensationellen Wahlerfolg in Nordrhein-Westfalen jetzt gehabt haben zeigt, dass es richtig war, auch mitten im Wahlkampf über solche sicherlich nicht einfachen, aber wichtigen Themen zu diskutieren.

    Heinemann: Parteichef Wolfgang Schäuble warnte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die Bundestagswahlen im Jahr 2002 könnten bereits verloren sein, sollte es zum Jahreswechsel einen Stimmungsumschwung geben zu Gunsten der Sparpolitik. Sieht die CDU dann nicht alt aus, denn inhaltlich steht die Partei doch mehr oder weniger so wie am 27. September, als Helmut Kohl abgewählt wurde?

    Rüttgers: Nein, das ist nicht ganz richtig. Wir haben ja schon ein Stück weit mit der inhaltlichen Erneuerung begonnen. Ich darf mal darauf hinweisen, dass wir nicht nur in der Rentenfrage, sondern etwa auch in der Ausländerfrage teilweise auch Paradigmenwechsel vorgenommen haben, also schon eine völlig neue Politik formuliert haben, dass wir jetzt dabei sind, das bei der Familien- und Bildungspolitik zu machen. Bei der Frage des Sparens ist es auch richtig, dass wir deutlich machen - und dazu wird ja in dieser Woche in der Haushaltsdebatte des deutschen Bundestages Gelegenheit sein -, dass wir nicht nur allgemein sagen wir sparen, sondern dass wir auch schon deutlich machen, wo die Alternativen zur Regierung sind.

    Heinemann: Was meinen Sie mit Paradigmenwechsel in der Ausländerfrage? Das habe ich nicht verstanden.

    Rüttgers: Schauen Sie, wir haben bis zum letzten Jahr immer noch ein Stück weit den Eindruck erweckt, als ob die CDU davon ausginge, dass die rechtmäßig und dauerhaft hier lebenden Ausländer irgendwann das Land wieder verlassen würden. Der große Erfolg der Unterschriftenaktion, der dann auch zum Wahlsieg in Hessen geführt hat, lag ja darin, dass die CDU einen Politikwechsel vorgenommen hat und gesagt hat, nein, wir müssen davon ausgehen, die rechtmäßig und dauerhaft hier lebenden Ausländer bleiben hier. Wir setzen jetzt auf Integration und meinen das auch ganz ernst, indem wir konkret dort Politik betreiben.

    Heinemann: Von der Form her hat die CDU doch seit der Bundestagswahlniederlage vor allem Unsicherheit geschürt: Populismus gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und gegen die Rentenpolitik der Bundesregierung. Was hat das mit einer seriösen Reformpartei zu tun?

    Rüttgers: Das verstehe ich nicht, was Sie da sagen.

    Heinemann: Die Straßenaktion, die Unterschriftenaktion.

    Rüttgers: Das hat ja nichts mit Populismus zu tun, sondern wir haben im Zusammenhang mit der Ausländerpolitik, wie ich gerade erklärt habe, ein Politikangebot gemacht, ja zur Integration, nein zur doppelten Staatsbürgerschaft, und haben damit die Zustimmung der Menschen gewonnen. Man kann ja nicht sagen, bloß wenn man eine Unterschriftenaktion macht sei das eine populistische Politik, sondern das war eine Politik, die ganz klar und glasklar sich abgesetzt hat etwa vom rechtsradikalen Rand.

    Heinemann: Ist die Straße der Ort der Politik für die CDU?

    Rüttgers: Das neue vielleicht in der Politik der CDU ist - zumindest machen wir das hier in Nordrhein-Westfalen so -, dass wir nicht glauben, dass wir immer die Aufgabe hätten, den Menschen zu sagen, das müsst ihr jetzt wählen, das müsst ihr jetzt wählen, sondern dass wir die Menschen dort abholen wo sie sind, dass wir die Themen, die bei der Bevölkerung einen hohen Stellenwert haben, aufgreifen und sie in Politik umsetzen.

    Heinemann: Kurt Biedenkopf hat gestern in der Sendung "Sabine Christiansen" in der ARD gesagt, die CDU habe noch keine gültigen Antworten auf Fragen nach der Zukunft: der Altersvorsorge, der Globalisierung und zum Beispiel des Arbeitsmarktes.

    Rüttgers: Ich glaube, dass wir gute Reformansätze haben, bin aber mit Kurt Biedenkopf der Auffassung, dass es notwendig ist, daran weiterzuarbeiten, und zwar permanent weiterzuarbeiten, wie Wolfgang Schäuble auch sagt. Ich drängle da ein bisschen, weil ich schon sehe, dass es wichtig ist, auch gerade vor meiner Landtagswahl im Mai nächsten Jahres hier in Nordrhein-Westfalen, dass sehr klar und deutlich wird, für welche Positionen die CDU steht.

    Heinemann: Stichwort Rente. Was fällt Ihnen bei dem Satz ein, die Renten sind sicher?

    Rüttgers: Da fällt mir mein Amtsvorgänger Norbert Blüm ein und mir fällt ein, dass er sich unglaubliche Verdienste erworben hat, die Renten zu sichern. Die ganze Debatte wäre nicht in dieser Schärfe notwendig, wenn Schröder und die seinen die Rentenreform von Blüm nicht ohne Sinn und Verstand zurückgenommen hätten, was immer noch nicht heißt, dass wir damit schon über den Berg gewesen wären, denn so war es ja auch angelegt: da hätten noch weitere Reformschritte folgen müssen.

    Heinemann: Fachleute behaupten, die Renten a la Blüm seinen eben nicht sicher. Das Umlageverfahren, das heutige System, stößt an seine Grenzen, wenn künftig nicht mehr ein Fünftel, sondern ein Drittel der Bevölkerung Renten beziehen. CSU-Generalsekretär Goppel warnt vor dem Kollaps. Kurt Biedenkopf sagt das seit Jahren. Was macht die CDU: sie sammelt auf der Straße Unterschriften.

    Rüttgers: Nein, wir sammeln gegen eine unfaire und ungerechte Lösung von Riester und Schröder Unterschriften. Dass die Leute das so empfinden, hat der gestrige Tag auch wieder bewiesen. Umgekehrt finden Sie eine große Zustimmung in der Bevölkerung für eine faire und gerechte Rentenreform. Wie gesagt, da muss auch noch einiges passieren, Schritt für Schritt. Alle diese Theoretiker, die immer erklären, jetzt müsste ein Systemwechsel geschehen, die sollen mir doch mal bitte erklären, wie das zu bezahlen ist, ohne dass die jetzt lebende junge Generation zweimal für die Rente bezahlt. Das ist eben genau das, worüber ich mich jeden Tag ärgere, wenn ich die Debatte höre. Da werden irgendwelche theoretischen Modelle in die Welt geworfen, ohne dass darüber nachgedacht wird, dass es reale Menschen sind, die entweder jetzt in Rente sind, oder junge Menschen, die bezahlen müssen, damit die jetzigen Rentner auch ihr Auskommen haben.

    Heinemann: Geht es ohne eine obligatorische private Zusatzversicherung, wie Finanzminister Eichel sie jetzt abermals ins Gespräch gebracht hat?

    Rüttgers: Das ist wieder so eine Theoriefrage. Das geht dann, wenn wir sicherstellen, dass die jungen Menschen zusätzlich zur gesetzlichen Rentenversorgung eine eigenständige dritte Säule aufbauen. Wenn ich nichts mache, wenn ich zum Beispiel keine steuerlichen Erleichterungen dafür einführe, dann muss ich wieder, wie immer bei der SPD, auf Zwang zurückgreifen und den Menschen etwas vorschreiben. Wenn man attraktive Angebote in dem Bereich macht, geht es auch ohne.

    Heinemann: Also kein Zwang?

    Rüttgers: Zwang ist nicht nötig. Die haben es ja bisher noch nicht mal versucht, ein attraktives Angebot zu machen, und deshalb ärgert mich auch diese Debatte um den Zwang.

    Heinemann: Herr Rüttgers, junge Politiker der vier Bundestagsfraktionen werden sich heute an einen "runden Rententisch" setzen. Ist das eine neue Form künftiger Problemlösungen: weg von rechts und links, Zusammenarbeit nicht zum Wohle einer Partei, sondern im Interesse des Landes?

    Rüttgers: Ich finde das gut. Neu ist das nicht. Gerade bei der Rente hat es immer parteiübergreifende Zusammenarbeit gegeben, bis Oskar Lafontaine das aus parteipolitischen Gründen aufgekündigt hat. Ich wäre sehr froh, wenn es wieder zu großen Verhandlungen käme, aber Voraussetzung ist, dass der Rentenbetrug vom Tisch kommt.

    Heinemann: Verliert die SPD die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai, dann ist Gerhard Schröder am Ende. So ist zu lesen. Werden Sie die Regierung im Bundesrat so lange auflaufen lassen?

    Rüttgers: Nein, wir werden nicht blockieren. Allerdings wird Schröder die Landtagswahlen im Mai verlieren, einfach deshalb, weil ich nicht sehe, dass er aus den Wahlniederlagen vom vorigen Wochenende und vom gestrigen Wochenende gelernt hat. Gestern waren ja wieder nur Durchhalteparolen zu hören, von Herrn Müntefering und allen, die sich gestern gemeldet haben. Die werden so lange verlieren, solange sie mit dieser ungerechten und unfairen Politik weitermachen.

    Heinemann: Wo würde die CDU denn der Regierungspolitik zustimmen?

    Rüttgers: Ich glaube, dass überall da, wo vernünftige Sparvorschläge gemacht worden sind, wir zustimmen sollten.

    Heinemann: Beispiel?

    Rüttgers: Da gibt es in den Vorschlägen einiges. Das ist aber leider mehr im marginalen Bereich. Wir werden es ja diese Woche in den Haushaltsplan-Beratungen des Bundestages diskutieren. Warten wir das auch mal ein Stück weit ab. Das wird ein Punkt sein, den halte ich für wichtig. Ich glaube, dass wir bei der Rente, wenn dieser Rentenbetrug vom Tisch ist, zu einer Lösung kommen können. Wo es nicht klappen wird ist bei der Steuerpolitik, denn das was dort vorliegt ist mittelstandsfeindlich. Da kann ich nicht empfehlen, dass man dem zustimmt.

    Heinemann: Das Gespräch mit Jürgen Rüttgers, Mitglied des CDU-Bundesvorstandes und Vorsitzender der CDU in Nordrhein-Westfalen, haben wir vor einer Stunde aufgezeichnet.