Samstag, 18. Mai 2024

Archiv


Wahnsinn im Test

Schulz-Schäffer: Wir haben in Deutschland sinkende BSE-Zahlen. Aber wir haben immer noch BSE.

Von Michael Lange | 09.05.2004
    Conrad: Testungen am lebenden Tier
    Brenig: Die Durchführbarkeit des Testes ist relativ einfach.
    Glandorf: Also die klare Aussage: Der Test ist marktreif. Er funktioniert.
    Aguzzi: Machen Sie mir einen Gefallen, und reden Sie nie wieder vom Lebendtest.

    In Deutschland leben etwa 13 Millionen Rinder. Einige hundert davon tragen möglicherweise den BSE-Erreger in sich. Aber welche Rinder sind es? Man müsste einen Test haben, der die bedrohliche Rinderkrankheit im frühesten Stadium der Infektion feststellt. Am besten einfach an einer Blutprobe.
    Und solche Tests, die gibt es tatsächlich.

    Glandorf: Unser Ziel ist, dass wir bis zum Herbst den Test am Markt haben und er in die Praxis umgesetzt wird.

    Gemeint war allerdings der Herbst 2002. Im März des gleichen Jahres forderte ein Verein namens "BSE-Forschungsfond Glandorf" den baldigen Einsatz eines so genannten BSE-Lebend-Tests.
    Der Test, entwickelt an der Universität Göttingen, weist BSE am Blut-Serum lebender Rinder nach. Erste Erfolge ließen schon im Frühling 2 002 einen niedersächsischen Bullenmäster jubeln.

    Glandorf: Ich befinde mich derzeit in einer Feierlaune. Auf dieses Ergebnis habe ich lange gewartet, dass der Lebend-Test von Professor Brenig endlich marktreif ist. Dieser Test bedeutet für die Betriebe und die Familien, dass die Angst gänzlich genommen wird. Davor, dass uns so ein Super BSE-Gau noch Mal einholt auf unseren Höfen.

    Zwei Jahre später sind fast ein Dutzend neue Testverfahren entwickelt worden. Von einigen redet niemand mehr, andere sind immer noch umstritten. Auch der Test von Professor Bertram Brenig aus Göttingen. Eine Überprüfung und Bewertung durch die Europäische Union steht immer noch aus.

    Wissenschaftliche Schwierigkeiten? Bürokratische Hemmnisse? Wirtschaftliche Gründe? Überzogene Versprechungen? Marktschreierische Medien?

    Von allem etwas. Aber dazu später mehr.
    Zunächst ein Blick auf den Test-Alltag in Deutschland.

    Morgens um sieben. Ein Industriegebiet am Stadtrand von Düsseldorf: Vor einer Halle: verängstigte Rinder, eingesperrt in einem Pferch.

    Hinter der Eisentür: Dutzende Rinderhälften - ohne Kopf, ohne Fell. Aufgehängt an Haken schweben sie durch die gekachelte Halle. Auf dem Boden: Blut und Wasser.

    Düsseldorf: Wir sind jetzt in der Schlachthalle. Hier wird der Schlachtablauf durchgeführt. Das fängt hinten an mit der Einstallung. Dann werden die Tiere getötet. Danach wird am Schlachtband ausgenommen. Die einzelnen Hälften kommen hier hinten in die Kühlhäuser. Dann werden sie verkauft

    Auf einem Tisch am Rand der Halle: Ein abgetrennter Rinderkopf. Die Stirn auf der Tischplatte. Darüber gebeugt eine Mitarbeiterin des Schlachthofs. Mit einem langen Löffel nähert sie sich dem Schädel vom Hals her.

    Düsseldorf: Und Sie sehen den Rückenmarkskanal, der etwa daumendick ist. Sie sehen durch das Abtrennen des Kopfstücks ein Reststück von Rückenmarksgewebe. Und nun geht Frau Michalak mit einem entsprechenden Löffel in diesen Kanal ein, und wird nun von der so genannten Medulla Oblongata, dem verlängerten Hirn, Teile entnehmen. Und das sind die Probenteile, die dann im staatlichen Veterinäruntersuchungsamt untersucht werden.

    Ein Bote bringt die eiskugel-großen Gehirnproben schnell und gut gekühlt in eines der Labors, die für BSE-Schnelltests ausgerüstet und zugelassen sind.

    Rinder, die im Alter von über zwei Jahren geschlachtet werden, müssen in Deutschland auf die Rinderkrankheit BSE getestet werden, bevor sie zu Steak, Hackfleisch oder Wurst verarbeitet werden. Der übliche, vorgeschriebene Test ist ein Post Mortem Test. Also: Ein Test, der nach dem Tod der Tiere durchgeführt wird - auch Schnelltest genannt.
    Drei derartige Testverfahren wurden 1999 von der Europäischen Union offiziell zugelassen. Die beiden Marktführer, Prionics aus der Schweiz und Biorad aus den USA, haben seitdem mit ihren Tests viel Geld verdient.
    Alle EU-geprüften und zugelassenen Verfahren weisen bestimmte veränderte Eiweißmoleküle im Stammhirn geschlachteter Tiere nach: die so genannten Prionen. Diese sind ein direktes Merkmal der Rinderkrankheit BSE und gelten als Auslöser und Überträger der Krankheit.

    Seit Beginn der systematischen Testung – im Herbst 2000 - wurden in Deutschland über zehn Millionen Schlachttiere auf BSE untersucht. Mehr als 200 BSE-Rinder haben die Tests entdeckt. Die meisten, bevor die Rinder die typischen Symptome entwickelten.
    Auch vier Jahre später – im Jahr 2004 – spüren Schnelltests in Deutschland etwa jede Woche ein verstecktes BSE-Rind auf.

    Die Zahlen sinken. Aber sie sinken nur langsam. Dennoch ist es ruhig geworden um die Rinderkrankheit. Nur noch gelegentlich entdecken Politiker das Thema für sich. Wie Margit Conrad, Ministerin für Umwelt und Forsten des Bundeslandes Rheinland-Pfalz.

    Collage:
    Bekämpfung der BSE-Krise. Positive Entwicklung für den Verbraucherschutz. Risikokommunikation und Risikomanagment. Wo steht die Forschung heute? Welche Erkenntnisse haben wir? Wo Politik natürlich ganz wesentlich verantwortlich ist. Immer wieder seriös wissenschaftsbasiert.

    Die BSE-Schnelltests haben nach allgemeiner Einschätzung die Verbrauchersicherheit erhöht. Denn die Tiere mit der größten Menge an Erregern im Gehirn kommen nicht mehr in den Verzehr.

    Aber es gibt zunehmend Kritik: Zum einen an fehlerhaft durchgeführten Tests, zum anderen daran...

    Groschup:
    Dass zwanzig Prozent unserer Testungen an Tieren durchgeführt werden, wo die Tests eigentlich nicht funktionieren. Das ist eine Verbrauchertäuschung, wenn man es ganz deutlich sagt...

    Und das tut Martin Groschup. Er leitet das Institut für neuartige Tierseuchenerreger der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere auf der Ostseeinsel Riems.

    Groschup:
    Die Post Mortem Tests bei Tieren unter 24 Monaten. Da sind die Tests nicht geeignet irgendetwas anzuzeigen. Beziehungsweise die Wahrscheinlichkeit ist vernachlässigbar gering. Sie werden aber vom Verbraucher nachgefragt ...

    Und der Handel liefert dem Kunden das Prädikat "BSE-getestet", auch wenn es gar nichts aussagt.
    Denn bei Tieren, die jünger sind als 24 Monate, kann der BSE-Schnelltest die Krankheit nicht nachweisen. Die Tiere befinden sich im Frühstadium der Infektion. In ihrem Gehirn befindet sich kein oder zu wenig verändertes Prion-Protein.

    Groschup:
    Ich denke, wenn wir diese Tests weglassen. Dann haben wir schon einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Testkosten gemacht.

    Das deutsche Gesetz fordert, dass bei allen Schlachtieren, die älter sind als 24 Monate, ein BSE-Schnelltest durchgeführt wird. EU-weit gilt die Testpflicht nur für Tiere, die im Alter von mehr als 30 Monaten geschlachtet werden.
    Die zahlreichen jung geschlachteten Tiere sind zwar weniger gefährlich für den Verbraucher als die älteren, da sie weniger infektiöse Prionen enthalten; sie sind aber keineswegs BSE-frei - und damit auch nicht unbedenklich.

    BSE in diesen Tieren zu finden, wäre eine sinnvolle Ergänzung der heute üblichen Tests. Verschiedene Bundes- und Landesministerien fördern deshalb seit drei bis vier Jahren die Testentwicklung.

    Collage:
    Verbrauchersicherheit und Verbraucherschutz und das ganz dominant. Mit Risikobewertung und Risikomanagement. Sei es für Creutzfeldt-Jakob, sei es für die BSE-Erkrankung. Testungen am lebenden Tier. Ich will das wegen der Zeit nicht alles ausführen. Im Konzert der Länder.

    Bei den Tests geht es nicht nur um Gesundheit, sondern vor allem um Verbrauchervertrauen und damit um den Fleischmarkt. Landwirte und Fleischindustrie würden das Thema BSE gern so schnell wie möglich endgültig abhaken.

    Man müsste eben alle lebenden Rinder auf BSE untersuchen können, um die infizierten auszusortieren. Gelänge dies, wäre der BSE-Spuk in wenigen Monaten vorbei.)

    Aber wo befinden sich die Erreger in den ersten zwei bis drei Jahren einer Infektion? Was machen sie, bevor sie sich im Gehirn anreichern?

    Viele haben danach mit aufwendigen Methoden gefahndet, auch Hans Kretschmar:

    Kretschmar:
    Der ist so schwer zu finden, weil er so selten ist. Er kommt im Blut in so geringen Mengen vor, wenn er denn überhaupt vorkommt. Beim Rind ist er noch nie gefunden im Blut.

    Hans Kretschmar ist Professor für Neuropathologie an der Universität München und seit vielen Jahren in der Prionenforschung tätig.

    Kretschmar:
    Das ist natürlich eine sehr komplizierte Angelegenheit. Man fängt an mit minimalsten Mengen. Wenn man so einen Versuchsaufbau aufstellt, hat man die Gefahr, dass man auch nichts etwas macht - etwas Falsches misst. Kleinste Kontaminationen führen zu irgendwelchen Messungen. Da muss man sehr vorsichtig sein. Also wir haben es bis jetzt noch nicht geschafft, spezifisch die Prionen im Blut nachzuweisen. Wir haben damals publiziert, dass man sie findet im Liquor.

    Der Liquor – das ist die Gehirnflüssigkeit. Sie lässt sich mit einer Nadel aus dem Rückenmark von Mensch und Tier abzapfen.

    Hans Kretschmar entdeckte bei einigen Patienten mit der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung, einer seltenen mit BSE-verwandten Prionen-Krankheit beim Menschen, veränderte Prionen in dieser Gehirnflüssigkeit.

    Kretschmar:
    Aber das war bei 20 bis 25% der Creutzfeldt-Jakob-Patienten nur. Das ist für einen echten Test einfach enttäuschend. Woran das liegt, wissen wir nicht ...Also es ist voller Probleme. Wir denken darüber nach. Andere Gruppen auch. Aber bis jetzt geschafft hat es noch keiner.

    Um die BSE-auslösenden Prionen in den ersten zwei Jahren einer Infektion nachzuweisen, müsste man sie auf ihrem Weg durch den Körper aufstöbern, so die Idee.

    Walter Schulz-Schäffer, Neuropathologe an der Universitätsklinik Göttingen.
    Schulz-Schäffer:
    Wir haben erkennen können, dass der Erreger durch den Magen-Darm-Trakt aufgenommen wird, und über zwei Wege in das zentrale Nervensystem geht. Nämlich über einen Weg ins Rückenmark und über einen in den Hirnstamm. Und dann breitet er sich im Gehirn aus, und wenn er dort einen gewissen Verbreitungsfaktor erreicht hat, dann wird der Mensch oder das Tier krank.

    Der Weg des Erregers vom Magen-Darm-Trakt bis zum Rückenmark oder ins Gehirn ist immer noch unbekannt.
    Bewegt er sich nur entlang der Nervenbahnen? Benutzt er in erster Linie die Gefäße des Lypmphsystems? Oder schwimmt er zumindest zeitweise frei im Blut? Welche Rolle spielt das Immunsystem? Es gibt viele Theorien, aber wenig gesichertes Wissen.

    Bei Schafen ist es gelungen, die veränderten Prionen zu finden, bevor sie im Gehirn Schaden anrichten. Dann entsteht die so genannte Traberkrankheit, auch Scrapie genannt.
    Wissenschaftler entdeckten die verantwortlichen Prionen im Lymphgewebe, in den Rachenmandeln und sogar im Blut der Schafe.

    Bei Rindern ist das trotz zahlreicher Versuche nicht gelungen.

    Schulz-Schäffer:
    Mit dem jetzigen Verfahren – also mit der Testung auf pathologisches Prion-Protein im Hirnstamm, dann wenn der Erreger schon im zentralen Nervensystem angekommen ist, und kurz davor steht, die klinische Erkrankung auszulösen. Da müssen wir davon ausgehen, dass schon 80 Prozent der Inkubationszeit vergangen sind, und der Erreger schon drei bis vier Jahre im Körper des Tieres gewesen ist. Um den letzten Rest an Verbrauchersicherheit gewährleisten zu können, würden wir natürlich gerne, die Tiere heraus fischen, die mit dem Erreger in Kontakt gekommen sind, und die Risikogruppe eingrenzen, die überhaupt nur krank werden kann.

    Wenn sich der Auslöser – das veränderte, auch pathologisch genannte, Prion-Protein – nicht finden lässt, muss man halt nach indirekten Kennzeichen suchen.

    Schulz-Schäffer:
    Ein anderer Weg wäre eben, eine ganz andere Reaktion des Körpers zu finden. Möglicherweise befindet sich im Blut oder im Blutserum eine Substanz, die ein Spiegel, dieser Auseinandersetzung ist oder direkt mit der Auseinandersetzung verbunden ist. Und das ist eine ganz attraktive Herangehensweise.

    Die Wissenschaftler sprechen von einem Sorrugat-Test. Die indirekten Hinweise nennen sie Surrogat-Marker. Nicht der Erreger wird dabei gesucht, sondern eine Reaktion des Körpers auf den Erreger.

    Drei Jahre nach dem Test-Boom sind viele zunächst hochgejubelte Testentwicklungen – unbemerkt von der Öffentlichkeit - wieder eingestellt worden.
    Einige Wissenschaftler aber forschen weiter.

    Am Robert-Koch-Institut in Berlin sucht Peter Lasch mit Hilfe der Spektroskopie nach Besonderheiten im Blut-Serum BSE-infizierter Rinder.

    Lasch:
    So das ist das Spektrometer. Das Infrarot-Spektrometer.

    Ein modernes, in der Chemie gebräuchliches Gerät, in dem getrocknete Serum-Proben aus dem Rinderblut mit Infrarot-Licht durchstrahlt werden.

    Lasch:
    Das ist ein leuchtender ... heißer Stift, der praktisch Strahlung emitiert. Diese Strahlung wird fokussiert über ein System vom Spiegeln in das Interferometer. Und letztlich wird der Strahl wieder ein System von Spiegeln durch die Probe geschickt und dann auf einen Detektor.

    Im Hintergrund zu hören ist die Trockenspülung. Sie verhindert, dass Wasserdampf die Messung stört. Auf dem Computer zeigt Peter Lasch das Ergebnis einer Messung: Eine gezackte Linie mit Bergen, so genannten Peaks, und Tälern.

    Lasch:
    So das wäre jetzt ein orginales Infrarot-Spektrum...Sieht insgesamt recht langweilig aus. Es gibt wenige breite Peaks ...

    Der Blick auf die Linien verrät gar nichts. Auch der Fachmann kann daraus nichts ablesen.

    Lasch:
    Die Unterschiede sind extrem klein. Man sieht sie nicht, auch wenn man sich alle Spektren am Bildschirm darstellt, rot BSE positiv und blau BSE negativ. Da können Sie reinzoomen wie Sie wollen. Sie werden die Unterschiede nicht finden.

    Es folgen zahlreiche Bearbeitungsschritte im Computer.

    Collage:
    Das Herauslesen von diskriminierenden Wellenzahlenbereichen, die so genannte Feature Selection. Neuronale Netze. Selektion von spektralen Merkmalen. Das steht für Genetic algorythm optimal region selection. Lineare Diskriminanz-Analyse. Nur über die Kombination erreicht man die besten Ergebnisse.

    Die Computer rechnen und rechnen. Sie vergleichen die BSE-Proben mit den BSE-freien Proben. Sie finden Unterschiede und lernen immer besser zu unterscheiden: zwischen BSE-Positiv und BSE-Negativ.
    Worin diese Unterschiede im Serum im einzelnen bestehen, wie sie zustande kommen, was sie zu bedeuten haben - das wissen die Computer nicht – und auch nicht die Wissenschaftler, die sie bedienen, haben keine Ahnung.
    Aber es funktioniert, wie eine Studie mit verblindeten Proben zeigte.

    Verblindet, das bedeutet: weder Computer noch Experimentator wissen, woher die Probe stammt.

    Bei einer Studie mit 260 solcher verblindeten Proben aus Großbritannien lag der Computer fast immer richtig.

    Lasch:
    Und wenn man mehrere Verfahren miteinander verbunden hat, waren wir sogar bei 95 und 92 Prozent Sensitivität, beziehungsweise Spezifität.

    95 Prozent Sensitivität.

    Das bedeutet: Von 100 BSE-positiven Proben wurden 95 richtig bestimmt.

    Und 92 Prozent Spezifität.

    Das bedeutet: von 100 BSE-negativen Proben wurden 92 richtig als BSE-negativ erkannt.

    Lasch:

    Ich denke, dass da noch ein bisschen Luft drin ist, dass man die Ergebnisse durchaus noch erhöhen könnte, wenn man mehr Proben für das Training der neuronalen Netze und der anderen Klassifizierungssysteme verwendet.

    Das ist auch notwendig. Denn findet sich – wie im Testalltag üblich - unter 10 000 bis 50 000 Rindern etwa ein BSE-Rind, dann würde der Test neben diesem richtigen Treffer etwa 800 bis 4 000 falsch positive BSE-Rinder präsentieren.
    Man könnte zwar die Spezifität erhöhen und damit die Zahl der falsch Positiven senken. Dann jedoch würde die Empfindlichkeit nachlassen, und zu viele BSE-Rinder blieben unerkannt.
    Für die Praxis ist der Test also nicht reif.

    Lasch:
    Ja, was die wirtschaftlichen Chancen eines solchen Tests anbetrifft. Schwierige Frage. Ich denke, dass die erreichten Spezifitäten und Sensitivitäten wissenschaftlich ganz gut sind, aber für eine wirtschaftliche Verwertung möglicherweise nicht gut genug. Man sollte auf jeden Fall daran arbeiten, die zu verbessern.

    Eine Möglichkeit der Verbesserung bestünde darin, die Ursache für die Veränderung im Serum zu finden, so Peter Lasch. Dann könnte man gezielt eine einzelne Komponente im Serum nachweisen, die typisch ist für BSE. Um die zu finden, brauche es aber weitere Forschung.

    Einen marktreifen Test können die Berliner Wissenschaftler also nicht anbieten. Und eine Anwendung in der Praxis steht nicht bevor.
    Anders bei dem – bereits erwähnten – Testverfahren, das an der Universität Göttingen entwickelt wurde. Der Test stehe für einen baldigen Einsatz in der Praxis bereit; heißt es seit mehr als zwei Jahren.

    Bertram Brenig, Professor am Institut für Veterinärmedizin der Universität Göttingen, ist von der Leistungsfähigkeit seines Tests überzeugt. Er weist bestimmte Änderungen im Blutserum infizierter Tiere nach.

    Brenig:
    Die Durchführbarkeit des Testes ist relativ einfach. Er basiert auf einem einfachen molekularbiologischen Verfahren. Nämlich der Polymerase-Kettenreaktion, wie sie üblich ist bei einer Vielzahl von Tests in der human medizinischen oder veterinärmedizinischen Diagnostik. Das läßt sich hoch automatisieren, die Systeme, die dahinterstecken. Die real time PCR erlaubt es in wenigen Sekunden ein Ergebnis zu bekommen, was ganz eindeutig zu interpretieren ist.

    Die Polymerase-Kettenreaktion, kurz PCR, vermehrt bestimmte Nukleinsäuren.

    Nukleinsäuren sind die Träger der Erbinformation. In diesem Fall geht es um die Abschriften vom Erbmolekül D.N.A.: die Ribo-Nukleinsäuren, kurz: R.N.A..
    Was die R.N.A. im Serum – also außerhalb der Blutzellen – mit den BSE-Erregern zu tun hat, ist allerdings nicht bekannt.

    Bertram Brenig versucht eine Erklärung.

    Brenig:
    Die Zelle wird stimuliert, sich in irgendeiner Weise mit dem Eindringen des Prion-Proteins auseinanderzusetzen, schaltet Gene an, beziehungsweise andere ab, die sich dann in Form einer RNA im Cytoplasma befinden. Jetzt – so muß der Vorgang wohl sein – werden diese RNAs in einer bestimmten Weise zusammen kombiniert. Was wir nachher dann im Serum nachweisen sind bestimmte Fragmente unterschiedlicher Genabschnitte, die in einer ganz spezifischen Zusammensetzung dort vorkommen. Und wie sie aus der Zelle herauskommen? Sie werden ganz einfach über Vesikel, kleine Bläschen, so genannte Mikro-Vesikel, abgeschnürt von der Zelle und zirkulieren dann in diesen Mikro-Vesikeln im Serum.

    Durch Untersuchungen amerikanischer Wissenschaftler am so genannten Golf-Kriegs-Syndrom ist Bertram Brenig auf die Methode aufmerksam geworden. Diese Krankheit tritt vermehrt bei US-Soldaten auf, die im ersten Golfkrieg in Kuwait oder im Irak gekämpft haben. Es handelt sich um vielfältige Störungen des Nervensystems. Ursache: unbekannt.
    Der Test weist eine Abwehrreaktion des Körpers nach, vermutet Brenig. Bei BSE ermögliche er es, schon im Frühstadium einer Infektion, infizierte von nicht infizierten Rindern zu unterscheiden.

    Brenig:
    Die jüngsten Tiere, die wir untersucht haben, sind sieben Monate alt. Bei denen läßt sich im Moment noch nichts erkennen. Die sind ganz gesund, was die Klinik anbelangt. Aber wir können bei diesen Tieren – teilweise zumindest – bereits Veränderungen im Serum nachweisen, die wir sonst nur bei BSE positiven Tieren entdecken. Wir werden sehen in den nächsten 1,5 bis zwei Jahren, ob diese Tiere dann tatsächlich BSE entwickeln. Wir werden auf jeden Fall, wenn die Tiere 24 Monate alt sind, oder darüber, wenn ein post mortem Test möglich ist, werden die Tiere getötet und entsprechend mit diesem Verfahren untersucht.

    Sollte der Lebend-Test aus Göttingen tatsächlich BSE-Infektionen bei sieben Monate alten Rindern entdeckt haben. Dann ist er in der Tat hochempfindlich. Noch jedoch ist nicht sicher, dass die positiv-getesteten Rinder BSE bekommen werden. Statistische Sensitivitäten und Spezifitäten, wie die Berliner Forscher sie errechnet haben, hat die Göttinger Arbeitsgruppe bislang nicht vorgelegt.

    Genau das fordert die Europäische Union, damit der Test überhaupt zur Bewertung eingereicht werden darf. Die EU verlangt die Vorlage von 200 positiven Testergebnissen zur so genannten Validierung.

    Einige Proben frisch mit BSE infizierter Jungtiere hat Brenig jetzt aus einer groß angelegten Studie bekommen. Anfang 2 003 wurden auf der Insel Riems 56 Rinder über die Nahrung mit BSE infiziert.

    Brenig:
    Wir können auch mit der Infektions- oder Pathogenese-Studie auf der Insel Riems, mit 56 infizierten Tieren, bekommen wir auch keine 200 positiven Seren zusammen. Und das ist ein bisschen das Problem bei den Lebendtests, das man ausreichend Material zusammenbekommt, das dann den Voraussetzungen für die EU-Validierung genügt.

    Bereits seit Mitte 2003 liegen einige BSE-Tests in Brüssel zur Überprüfung vor – darunter auch so genannte Lebend-Tests. Ob sie die notwendige Empfindlichkeit und Treffsicherheit aufweisen, um die heute üblichen Tests zu übertreffen oder sie wenigstens sinnvoll zu ergänzen, ist immer noch fraglich.
    Die Behörden lassen sich Zeit. Informationen über den Stand der Überprüfungen gibt es nicht.

    Stattdessen beherrschen die Marktschreier das Feld. Das jedenfalls beklagt ein renomierter Grundlagenforscher.

    Aguzzi:
    Lebendtest, Schnelltest. Das sind zwei Begriffe, die bringen mich zur Weißglut.

    Adriano Aguzzi ist ein international bekannter und für seine Grundlagenforschung vielfach ausgezeichneter Prionen-Experte. Er leitet das Institut für Neuropathologie an der Universität Zürich. Bekannt – wenn auch nicht beliebt - ist er auch für deutliche Worte.

    Aguzzi:
    Lebendtest, Schnelltest. Das sind Ausdrücke, die kommen aus dem Marketing. Und mich stört es, wenn Wissenschaftler oder selbsternannte Wissenschaftler sagen: Wir haben einen Lebend-Test entdeckt.

    Wissenschaftler sollen forschen und keine unhaltbaren Versprechungen machen. Adriano Aguzzi braust regelrecht auf. Für Forschung, die sich am Markt orientiert hat er – ganz Grundlagenforscher – überhaupt nichts übrig. Vieles davon sei, so sagt er, nur schlechte Wissenschaft. Nicht mehr und nicht weniger. Konkret wird er nicht.

    Aguzzi:
    Das Problem ist nicht, ob der Test ein Lebend-Test ist oder ob er ein Schnelltest ist. Für mich als Verbraucher ist es völlig egal, ob das Rind getestet wird, während es noch lebt oder nachdem es auf dem Schlachthof zerlegt wurde. Das einzige, was mich interessiert, ist, ob das Stück Fleisch oder Bratwurst, das ich mir zu Gemüte führe, Prionen hat. Das einzige, was zählt, ist die Empfindlichkeit des Tests. Der Wert, mit dem der Test mir sagen kann, dass keine Prionen drin sind. Ob der Test lebend oder nicht lebend ist, das ist eine Überlegung, die eigentlich überhaupt keine Rolle in dieser Diskussion spielt.

    Adriano Aguzzi sucht deshalb weiter nach Prionen. Nicht für die Entwicklung eines Test, wie er betont, sondern für die Forschung: Um mehr über die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und über BSE zu erfahren.
    Erst kürzlich fand seine Arbeitsgruppe das veränderte Prion dort, wo es vorher niemand entdeckt hatte: im Muskel von Creutzfeldt-Jakob-Patienten, die nicht der neuen Variante zugeordnet wurden.

    Aguzzi:
    Surprise. Surprise. Es stellt sich heraus, dass die Prionen auch bei der sporadischen Erkrankung nicht nur im Gehirn nachweisbar sind, sondern auch in der Milz und in der Skelettmuskulatur. Das fanden wir sehr überraschend.

    Auf die Prionen komme es an, wenn man Creutzfeldt-Jakob und BSE erforschen will, doziert Aguzzi. Und deshalb seien empfindlichere Nachweisverfahren so wichtig.

    Aguzzi:
    Das funktioniert dadurch, dass man zuerst die Prionen aufkonzentriert hat. Und mit dieser Aufkonzentration kann man die Empfindlichkeit des Verfahrens mindestens tausendfach erhöhen. Das ist ein sehr aufwendiges Verfahren. Das kann man nicht routinemäßig durchführen. Es gehen drei Arbeitstage drauf für die Methode. Also eine aufwendige Sache. Aber sehr empfindlich.

    Eine Methode für die Forschung, nicht für Routine-Test, betont er. Dennoch: Man könne mit dem Verfahren ja mal im Rindfleisch nachschauen.

    Aguzzi:
    Bis jetzt hat man mit nicht sehr empfindlichen Methoden nach pathologischem Prion-Protein im Muskelfleisch von Rindern gesucht. Und deshalb ist es absolut nötig, dass mit dieser neuen Methode auch mal zu testen. Und da sind wir dran. Ergebnisse gibt es noch nicht.

    Viel wurde und wird geforscht. Aber es gibt nach wie vor große Rätsel um BSE und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.

    Und ein neues Problem: Das Geld wird überall knapp. Es fehlt in vielen Bereichen von Medizin und Wissenschaft. Und mancher schaut neidisch auf die Töpfe, die zur Erforschung und zum Schutz vor BSE von der Politik bereitgestellt wurden.
    Der aus Thailand stammende Professor Sucharit Bhakdi vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Mainz hält die Deutschen in Sachen BSE für übervorsichtig.

    Bhakdi:
    Ist es gut, dass dieses Volk mehr Geld ausgibt für die Testung gesunder Rinder als für die gesamte infektiologische Diagnostik von allen Patienten in allen Universitätskliniken pro Jahr?

    Viele BSE-Forscher und vor allem die Testentwickler geraten unter Druck. Unter Zeitdruck – weil die Zahl der BSE-Rinder sinkt - und unter finanziellen Druck. Je seltener BSE in den Medien vorkommt, umso unwichtiger wird ihre Arbeit.
    Was wichtig ist und was nicht, das bestimmen letztlich nicht die Wissenschaftler. Das bestimmt die Politik. Aber auch Politiker sind vielen Zwängen ausgesetzt. Vor allem wirtschaftlichen.

    Collage:
    In dieser Gesellschaft ein ganz zentrales Thema. Reflexartige Reaktionen, die im Verbraucherschutz hoch sensibel zu behandeln sind. Sehr seriös, sehr sensibel.

    Collage Bhakdi:
    Es ist richtig, dass wir Wissenschaft betreiben. Da sind ausgezeichnete Forschungsergebnisse gekommen. Wo ist die Grenze erreicht? Sollen wir das machen oder sollen wir das nicht machen? Ist das im Sinne des Verbraucherschutzes? Mein Gefühl ist: Nein. Nein. Nein.

    Collage Conrad:
    BSE-Krise. Verhältnismäßigkeit der Reaktion. Nur und ausschließlich wissenschaftsbasiert. Vielen Dank.

    Aguzzi:
    Kein Kommentar.