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Wahnsinniger, verstörender, einschneidender Fassbinder

30 Jahre nach dem Tod des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder wird im Münchner Residenztheater ein Autor besichtigt. Ein Autor, der in einer verklemmten Zeit ziemlich ungehemmte Film- und Bühnenkunst über Bigotterie machte und selber nicht frei von jener Machtausübung war, die er anprangerte.

Von Rosemarie Bölts | 16.03.2012
    Wahnsinnig, ja. Vulgär, o ja, richtig pornografisch. Monströs, ja. Brutal, ja, ja, ja. Das war und ist Fassbinder. Oder vielmehr: Das sind seine Stücke 30 Jahre nach seinem Tod immer noch. Und wenn's eine grelle Satire sein soll, wie in dem "Satansbraten", einer Filmadaption, die in den Münchner Kammerspielen Premiere hatte:

    "Ich, ich habe noch nie gestohlen! Ich habe noch nie gestohlen! Nie! Nie! Nie! Nie! Nie!"

    Es geht um Walter Kranz, einst gefeierter, immer noch durchgeknallter Schriftsteller, der seit zwei Jahren eine Schreibblockade hat. Ein abgehalfterter Typ, zynisch bis zum Geht-Nicht-Mehr. Kaputt und eitel. Aus dieser Erniedrigung heraus überkommt es ihn, er schreibt plötzlich ein Gedicht! Pech nur, dass es exakt von Stefan George ist, was ihn veranlasst, sich als Inkarnation desselben darzustellen. Mit der maßlosen Tragik, die die Person Fassbinders selbst in jedem seiner Stücke verkörperte. Das ist die Quintessenz des 1976 gedrehten Films, der Künstler zwischen Genie und Panik, nicht mehr produktiv zu sein. Und hier, auf der Bühne des kapriziösen Kammerspiel-Ambientes?

    Jeder Ekel wird durch weichgespülte Popmusik entdramatisiert, ja, verniedlicht. Jede Figur wird hier zur Karikatur. Die Imitation des Films, die Regisseur und Dramaturg wollten, wird mit den Kostümen und in den Kulissen im Stil der 70er-Jahre nur behauptet, aber nicht seiner Aussage gerecht. Die ist hier weder original noch originell. In der Inszenierung von Stefan Pucher wird alles auf Teufel-Komm-Raus überdreht und durch die Kulissen gejagt, gar lustig ist's. Da lacht das Publikum gern und laut und klatscht begeistert. Schrille Unterhaltung, wiewohl Fassbinder alles war, nur nie, nie, nie: so harmlos und lustig.

    Ganz anders die Inszenierung des Fassbinder-Dramas "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" von Martin Kusej, Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels, das in diesem Monat ein veritables Fassbinder-Festival im Marstall, der Experimentierbühne, ausbreitet. Mittendrin ein schwarzes, geschlossenes Viereck, von allen vier Seiten auf halber Höhe mit durchsichtigem Spiegelglas durchzogen. Die Zuschauer sitzen drum herum und blicken in einen gleißend ausgeleuchteten, sterilen Showroom, dessen schneeweißer Boden ganz mit leeren Champagnerflaschen in Reih und Glied ausgerichtet ist. Extrem fragil, extrem ungeschützt, wie es sich im Dialog zwischen Freundin Sidonie und Petra, der berühmten Modeschöpferin, die sich gerade von ihrem zweiten Mann getrennt hat, anbahnt:

    "Petra, als Frau gibt's Möglichkeiten, die musst du nur zu nutzen wissen."
    – "Ich will aber keine Möglichkeiten nutzen, Sidonie, und schon gar keine Möglichkeiten, wie sie Frauen haben! Ich kann auf Kartenspielertricks verzichten."
    – "Was für Tricks?"
    – "Das sind Tricks, die führen zu Unfreiheit und Zwang! Du, wenn ich schon ein Wort wie Demut höre!"

    Bibiana Beglau entäußert sich in der Rolle der Petra von Kant in einer derart beklemmend packenden Weise, dass einem zuweilen der Atem stockt. Ihr Wechselspiel von der maßlos arroganten Herrscherin zur abgrundtief verzweifelten, sich selbst erniedrigenden Liebesdurstigen, die sich ausgerechnet in ein kleines, blondes Luder mit Model-Ambitionen verknallt, benutzt und genauso unerfüllt dem lesbischen Sex hinterher giert, ist so verausgabend wie quälend, auch für die Zuschauer. Es gibt, wie auch, keinen Kulissenwechsel. Stattdessen kurze Blackouts, in denen der Showroom unter aggressivem Soundtrack wie in einem schwarzen Loch verschwindet und die Zuschauer sich im schwarzen Glas gespiegelt sehen.

    Einfach genial für das, was in dieser distanzierten und umso eindringlicheren, haargenauen Inszenierung abläuft. Der Kapitalismus unserer Gefühlswelt im Schein des hochgepuschten Glamours der Petra von Kant wird einem so voyeuristisch zwangsvorgeführt und konfrontiert einen so gnadenlos mit den eigenen Gefühlen, dass man sich dem durch nichts entziehen kann. Diese Aufführung geht über Fassbinder hinaus: wahnsinnig, verstörend und einschneidend. In jeder Hinsicht sensationell.