Archiv


Wahre Bilder

Paula Fox ist die große alte Dame der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Die 85-jährige Schriftstellerin lebt mit ihrem 90-jährigen Ehemann Martin in Brooklyn. Ned Vizzini ist 58 Jahre jünger als Paula Fox und hat mit seinem zweiten Jugendbuch großen internationalen Erfolg. Joyce Carol Oates kann bereits auf ein Werk von knapp 60 Romanen blicken, während Patricia McCormick gerade ihre drittes Buch auf Deutsch veröffentlicht hat.

Von Siggi Seuß |
    Paula Fox ist die große alte Dame der amerikanischen Gegenwartsliteratur:

    " Wie Drohnen. All diese Geräusche aus dem Radio, aus dem Fernseher und aus der ganzen Elektronik - die klingen wie ein Schwarm Drohnen, wie das Gebrumme von Drohnen - heute, am 9. März des Jahres 2008. "

    Die 85-jährige Schriftstellerin lebt mit ihrem 90-jährigen Ehemann Martin in Brooklyn. Von Paula Fox ist bei uns im vergangenen Herbst ein schmales Kinderbuch erschienen, "Ein Bild von Ivan". Es wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2008 nominiert. Obwohl sie die Erzählung von einem Jungen, der dank origineller Freunde seine eigene Geschichte entdeckt, schon 1969 geschrieben hat, ist der Roman von zeitloser Schönheit und Bedächtigkeit. Wir haben ihn im Büchermarkt im Dezember ausführlich gewürdigt und wollen hier nur ein paar witzig-weise Betrachtungen der 85-jährigen Schriftstellerin zur Lebens-Kunst im digitalen Zeitalter wiedergeben.

    " Und ein Drohnengebrumme klingt wie eine Mischung von Mosquitogesummse - ganz genauso. Es beginnt sehr deutlich, aber vermischt und verwischt sich zum Ende hin. Es ist der ständige Lärm des heutigen Lebens. Aber es gibt trotzdem noch ganz eigene Stimmen, einzigartige Stimmen. "

    Ned Vizzini ist ebenfalls ein Schriftsteller aus Brooklyn:

    " Und dann ist da meine Bibliothek in Brooklyn, in der ich jeden Tag arbeite. Die ist auch so ein Anker. Ich wach morgens auf und renn aus dem Haus - als ob's mein Job wäre. "

    Ned Vizzini ist 58 Jahre jünger als Paula Fox und hat mit seinem zweiten Jugendbuch großen internationalen Erfolg. "It's Kind Of A Funny Story", zu deutsch "Eine echt verrückte Story" ist für den Österreichischen Jugendliteraturpreis 2008 nominiert und erhielt im Februar außerdem den LUFTI, den Jugendliteraturpreis der Mecklenburgischen Literaturgesellschaft. Ned ist 27 Jahre alt, studierter Informatiker, und lebt, naturgemäß, etwas hektischer als Paula Fox.

    " Na ja, ich esse schon was vorher, aber, wenn nicht, dann haben sie in der Bibliothek sehr, sehr billiges Frühstück. Deshalb ist's für mich wichtig, wenn ich das Gefühl habe, ich bin zur rechten Zeit dort. Wie in der Schule. Also renn ich manchmal die Straße hoch, vier Blocks, es ist 9 Uhr früh und dann häng ich mit all den Leuten rum, die auch drauf warten, dass die Türen aufgehen. "

    Vier sehr unterschiedliche Schriftsteller kommen heute zu Wort. Ned kann dabei vom wahrscheinlich außergewöhnlichsten Beginn einer Erfolgsgeschichte erzählen.

    " Ich hatte einen Vertrag über zwei Bücher. Als das erste verkauft war, begann ich den zweiten Roman zu schreiben. Und es ging einfach nicht vorwärts. Das sah nicht gut aus am Computer. Wenn du ein Autor bist, weißt du, was gut ist und was schlecht. Und das war nicht gut. Also dachte ich: "Krieg es auf die Reihe!", weil ich die Geschichte nicht sterben lassen wollte. Monate hab ich noch dran gebastelt, wurde dabei immer wahnsinniger - bis ich eines Nachts nicht mehr schlafen konnte. Ich fragte mich: "Vielleicht liegt's daran, dass ich das Ganze in der Vergangenheitsform geschrieben hab?" Also setzte ich alle Verben ins Präsenz. Ich war knapp davor, verrückt zu werden und dann wurde ich wirklich so depressiv, dass ich die Suizid-Hotline anrief und ins Krankenhaus ging, wie Craig. "

    Das war die Geburtsstunde von Craig, dem Helden aus "Eine echt verrückte Story". Keine schwere Geburt, denn Ned Vizzini schrieb das Buch nach fünf Tagen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik innerhalb von vier Wochen. Aber, sozusagen, eine schwere Schwangerschaft.

    Der 15-jährige Craig scheint jede Orientierung verloren zu haben. Er hat sich freiwillig in eine psychiatrische Notfallstation begeben, nachdem er in der Nacht zuvor von der Brooklyn Bridge springen wollte. Ein Rätsel. Der junge Mann ist ein aufgewecktes Bürschchen mit den allseits bekannten pubertären Problemen und einem für sein Alter ziemlich verständlichen Wunsch: Er möchte Präsident werden oder zumindest so was Ähnliches. Das heißt, er will auf die beste aller besten Highschools und er schafft es. Der Erfolg hat seinen Preis: Immer wieder schlaflose Nächte, Erbrechen, schwere Depressionen.

    - Das ist die Zeit, in der der Junge allerorten Tentakel wachsen sieht, die ihn zu erdrücken drohen.

    Das ist die Zeit, in der sich das Karussell aus Fremderwartung und Selbsterwartung, Verpflichtung und Selbstverpflichtung immer schneller dreht. Das ist die Zeit, in der ihm - wie er es nennt - "die Anker" verloren gehen, die ihn selbst in stürmischer See ein Gefühl von Geborgenheit gaben. Seine Lieblingsbeschäftigung in glückseligeren Kindertagen war so etwas wie ein Anker. Er zeichnete im Refugium unterm Küchentisch Stadtpläne, frei erfundene Stadtpläne. Wie Ned Vizzini in seiner eigenen Kindheit.

    " Ja, unter dem Tisch oder auf dem Tisch. Ich saß da und zeichnete Karten von Plätzen und Straßen. Unter dem Tisch, da war ich sicher und hatte die Freiheit in aller Ruhe meine Welt zu erforschen. Ich liebte es, kleine Landkarten zu zeichnen! "

    Ned Vizzinis Roman ist so etwas wie eine Vorschule hoffnungsfrohen Denkens, ein Verteidigungskurs gegen die Dämonen des ganz normalen Wahnsinns. Schließlich nimmt der Erwartungsdruck, dem junge Menschen ausgesetzt sind, allerorten rasant zu. - Der Autor jedenfalls schildert die verworrenen Seelenlagen der Menschen auf der Station wunderbar unprätentiös und unaufgeregt. Ein Hauch von "Einer flog über das Kuckucksnest". Vizzini nimmt - bei aller Ironie - seine Figuren nicht nur ernst, er liebt sie. Und diese Liebe für die gebrochenen Helden überträgt sich ohne Umschweife auf die Leser. Wer am Anfang nicht daran glaubt, dass in seinem Kopf ein bunter und ziemlich komplizierter Stadtplan existiert, der wird nach der Lektüre auf seinen selbstgebastelten Highways entlangbrausen. Während Ned Vizzini bereits eifrig am nächsten Roman arbeitet und verspricht

    Vizzini: " Oh ja, ich werd mir eine europäische Gehirn-Landkarte zulegen. "

    Fox: " Ich erzähl Ihnen mal eine kleine Geschichte. Vergangenes Jahr reisten Martin und ich mit dem Zug den Hudson River entlang. Der Hudson River ist einer der prächtigsten und geschichtsträchtigsten Flüsse - neben dem Rhein, versteht sich. Im Abteil saß ein Vater mit seinen beiden Töchtern, die eine etwa acht, die andere zehn Jahre alt. Und obwohl die Kinder am Fenster saßen, sahen sie während der dreistündigen Fahrt nie hinaus. Die beiden Mädchen starrten die ganze Zeit nur auf den Monitor ihres Laptops. Sie sahen den Fluss nicht, sie sahen die Felsen nicht, die der Strom umspülte, sie sahen die alten Herrschaftshäuser nicht. Sie sahen gar nichts von da draußen. Der Fluss zog ungesehen vorbei und die Inseln auch. Alles blieb ungesehen schön. "

    Der Hudson River ist ein geschichtsträchtiger Fluss. Deshalb ist es nicht ganz verwunderlich, wenn der neue Jugendroman von Joyce Carol Oates mit einem tragischen Ereignis am Hudson, oder besser: über dem Hudson, beginnt.

    "Wir fuhren auf der Tappan-Zee-Brücke nach Westen, gegen die Sonne",

    erzählt die 15-jährige Jenna.

    " Die Sonne war dieses irre rote Auge in einer kränklich aussehenden Wolkenbank. Die Sonne blendete, grell wurde ihr Licht von der Motorhaube zurückgeworfen. Moms Wagen auf der Tappan-Zee-Brücke, hoch über dem Hudson River, wo man selbst an sonst eher stillen Tagen spürt, wie der Wind am Auto rüttelt. "Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon". Welch ungewöhnlich poetischer Titel für ein Buch, im Original und in der Übersetzung. Und dann staunt man - wie so oft bei Joyce Carol Oates - egal ob sie für Erwachsene oder für Jugendliche schreibt -, und dann staunt man über Empathie und Präzision, mit der sie in die innere und äußere Welt ihrer Figuren schlüpft.

    " Ich laufe durch eine Gegend, die mich fasziniert, "

    schreibt Joyce Carol Oates in ihren Betrachtungen "Beim Schreiben allein" ...

    " Ich laufe durch eine Gegend, die mich fasziniert, an Häusern oder Gärten vorbei, die so geheimnisvoll auf mich wirken, dass ich einfach darüber schreiben, sie in Wörtern zum Leben erwecken muss (wie man so sagt). Als Schriftstellerin werde ich von den Orten förmlich hypnotisiert; viele meiner Texte entstehen, um Heimweh zu lindern, und die Orte, in denen meine Figuren leben, sind für mich genauso wichtig wie die Figuren selbst. "

    Der katastrophale Bruch in Jennas Leben geschieht an einem Frühlingstag auf einer kilometerlangen Brücke über den Hudson River. Mutter sitzt am Steuer des Kleinwagens. Die glutrote Abendsonne blendet sie. Irgendein Wesen kreuzt die Fahrbahn. Vogel? Reh? Hase? Jenna erschrickt, greift (oder greift sie nicht?) ins Lenkrad. Das Fahrzeug gerät ins Schleudern. Prallt gegen einen Lkw. Bleibt im Brückengeländer über dem Abgrund hängen. Mom ist tot. Der Fahrer des Lastwagens ist tot. Jenna überlebt schwer verletzt, verbringt Monate im Krankenhaus und zieht dann zu Mutters Schwester in eine andere, unbekannte Stadt. - Nichts mehr ist so wie es war. Das Mädchen fühlt sich schuldig, misstraut den guten Absichten jedes Menschen, der sich ihm nähert, provoziert sogar negative Reaktionen, um sich in ihrer Schuld bestätigen zu können.

    Jenna: " Ich hätte Maria so gern gesagt, wie viel sie mir bedeutete. Sie gebeten, meine Freundin zu sein, nicht nur jetzt, sondern für immer. Aber dann fiel es mir wieder ein: Nach dem Unfall wollte ich nie wieder jemanden mögen. Wieso? Weil sie davonfliegen und dich allein zurücklassen. "

    Wie Mom. Im Lauf der Geschichte reizt Jenna diesen Widerspruch zwischen Menschenhass und Liebessehnsucht aus, zwischen dem Wunsch ein für allemal davonzufliegen und dieser noch irgendwo glimmenden Gier nach Leben. Und sie ist nahe daran, an diesem Kampf zu zerbrechen. So nahe, dass man als Leser der Autorin zurufen möchte: "Nun tu doch was!" - Oates - so scheint es - überlässt Jenna sich selbst. Und als Leser hat man den Eindruck, Schritt für Schritt in die verworrenen Gedanken des Mädchens gezogen zu werden, ohne von der Autorin an der Hand genommen worden zu sein. Als habe Oates für uns nichts weiter als eine Tür hinter sich offen gelassen. Joyce Carol Oates schweigt und lässt geschehen.


    Fox: " Man braucht Zeit. Eigentlich entstehen ja Bilder sehr leicht vor unseren Augen, aber ein wahrhaftiges Bild, ein wahrhaftiges Bild zu begreifen, ist sehr viel schwieriger. "

    Wie schwierig es ist, ein wahrhaftiges Bild zu begreifen, kann auch Patricia McCormick bestätigen.

    " Mein Name ist Patricia McCormick, ich schreibe Bücher für junge Leute und lebe in New York. "

    Patricia McCormick hat drei Bücher geschrieben, die auch bei uns erschienen sind. "Cut", eine Geschichte über ein Mädchen, das sich selbst verletzt, "Eine Sache unter Brüdern", eine skurrile amerikanische Geschwistergeschichte, und nun "Sold" - "Verkauft".

    McCormick: " Und dann kam mein jüngstes Buch, "Verkauft", ein Roman über Kinderhandel. Irgendwie hat die Geschichte mich gefunden. Ich war in Ferien in der Dominikanischen Republik und traf dort einen jungen Fotografen. Eher beiläufig fragte ich ihn, was er denn so fotografiere und er sagte: "Ich hab mich in Bordelle in Indien geschlichen und Aufnahmen gemacht, um zu beweisen, dass dort Kinderprostitution betrieben wird." - Das war vor fünf oder vor sechs Jahren. Ich war schockiert. Ich wusste nichts über Kinderhandel. Ich wusste nichts von kleinen Mädchen aus Nepal, die nach Indien verkauft werden. Und ich erinnere mich daran, dass ich sofort dachte: "Wenn bisher noch niemand die Geschichte aus dem Blickwinkel der Mädchen erzählt hat, dann muss ich das jetzt tun."

    Patricia McCormick setzte sich mit nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, mit NGOs, in Verbindung und flog nach Nepal und Indien, recherchierte vier Wochen lang in abgeschiedenen nepalesischen Gebirgsdörfern und besuchte heruntergekommene Bordelle in Kalkutta - immer in Begleitung eines Dolmetschers, den die Hilfsorganisationen zur Verfügung stellten.

    Und so kann sie Lakshmi, ihre junge Heldin, vom Alltag im Dorf in den Bergen Nepals sehr lebensnah erzählen lassen.

    Ein Blechdach heißt, dass die Familie einen Vater hat, der nicht das Geld für die Pacht in der Teestube beim Kartenspiel verliert. Ein Blechdach heißt, dass die Familie einen Sohn hat, der in der Ziegelei in der Stadt arbeitet. Ein Blechdach heißt, dass bei Regen das Feuer nicht ausgeht und das Baby gesund bleibt.

    "Lass mich in die Stadt gehen", sage ich. "Ich kann für eine reiche Familie arbeiten, wie Gita, und dir meinen Lohn schicken."


    McCormick: " Gewöhnlich sind Bewohner in diesen Bergdörfern Analphabeten. Es gibt keine Radios, kein Fernsehen, keine Zeitungen. Die Menschen leben isoliert und wenn ein Fremder kommt und sagt: "Für eure Tochter hab ich einen guten Job in der Stadt, als Dienstmädchen", dann glauben sie ihm das. "

    Lakshmi, die Klügste in der Dorfschule, führt über die Ereignisse ihres Alltags akribisch Tagebuch. Sie ist 13 Jahre alt, als sie von ihrem Stiefvater für einen lächerlichen Betrag verkauft wird. Eine Frau schleppt sie über endlose Straßen, ein "Onkel Ehemann" bringt die völlig Ahnungslose über die Grenze nach Indien. Und immer noch erwartet Lakshmi eine Stadt mit goldenen Dächern, wo sie endlich Gita, ihre ältere Freundin wiedersehen kann, die dort als Hausmädchen arbeitet. Nichts. Die Städte werden immer größer und bedrohlicher. Weit und breit keine goldenen Dächer und - keine Gita. Dafür endet die Reise in einem heruntergekommenen Bau, der sich "Haus der Heiterkeit" nennt - ein schmutziges Bordell irgendwo im Moloch Kalkutta. Für Lakshmi beginnt ein schier unbeschreiblicher Albtraum.

    McCormick:" Während eines Interviews schlug neben mir im Flur des Bordells ein Kunde auf eine der Frauen ein. Ich sah, wie er sie an den Haaren zog, ich hörte den Lärm und wie die Frau schrie und ich sprang hoch, um einzugreifen. Meine Übersetzerin hielt mich zurück und sagte: "Dann wird für die Frau alles noch schlimmer." Und sie, die Sozialarbeiterin, könne ihre Arbeit im Bordell nicht weiterführen. Also blieb ich sitzen, hörte diese schrecklichen Schläge und tat nichts. "

    Der Gestank des Abtritts fällt mir nicht mehr auf.
    Und schon vor langer Zeit habe ich aufgehört, die Schläge von Mumtaz' Riemen zu spüren.

    Aber heute, als ich mein Gesicht in dem Bündel aus meinen alten Kleidern vergrub, war da kein Herdfeuer in den Falten meines Rocks, keine frische Himalaja-Nachtluft in meinem Schal.


    McCormick: " Was mich am meisten berührte, war, dass diese Mädchen ihre Menschlichkeit, ihre Seele, ihre Würde nicht verloren hatten, dass sie weiterkämpften und wussten, dass das, was mit ihnen geschah, so furchtbar falsch war. Es gab aber auch Mädchen, die jede Hoffnung verloren hatten. "

    Wie Patricia McCormick sich in die Seelenlage Lakshmis versetzt - einfühlend, zurückhaltend, zart und keineswegs "idealtypisch" -, wie sie das tapfere Mädchen zu einer kleinen Persönlichkeit formt, das sollte man gelesen haben. Lakshmis Gedanken wirken nie so, als seien sie ihr von einer fremden Person eingeflüstert worden.

    McCormick: " Das Schreiben war sehr schwierig, weil ich immer im Rahmen der Lebenswelt eines 13-jährigen Mädchens mit einem äußerst beschränkten Erfahrungshorizont denken und fühlen musste. Und dann blieb noch Hoffnung aufrecht zu erhalten, ein wenig Humor und Freundlichkeit. Das ist so eine dunkle Geschichte, dass man ein bisschen Licht braucht, um mir in diese Welt zu folgen. "

    Ein Licht gibt es am Ende des Tunnels. Das Mädchen findet einen Weg nach draußen und es ist ein realistischer, dank der Unterstützung von Menschen, die in nationalen und internationalen Hilfsorganisationen arbeiten. Mädchen und Frauen, die dieser Hölle entronnen sind, können sich in geschützten Heimen handwerkliche Fähigkeiten aneignen und sich, zum Beispiel, zu Näherinnen, Köchinnen, Hausmädchen, Frisörinnen ausbilden lassen. Nach Hause zurück kommen die wenigsten. Entweder, weil sie von der Dorfgemeinschaft oder von den Eltern verstoßen wurden oder weil sie nicht einmal den Namen des Ortes kennen, der einst ihre Heimat war. Das und noch viel mehr erzählt Patricia McCormick nun jungen Menschen in den Vereinigten Staaten und anderswo. - Die Resonanz von Lesern und Kritik auf das Buch in den USA, in Europa, auch in Indien war überwältigend, sagt Patricia McCormick, aber die nächste Geschichte wartet schon auf sie.

    McCormick: " Das nächste Buch handelt vom Krieg im Irak. Aus der Sicht eines Soldaten, der einen kleinen Jungen erschossen hat. Ich würde gern im Irak recherchieren. Mein Mann unterstützt diese Idee sogar, obwohl er mich mag und nicht loswerden will. Aber ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das wirklich tun muss. Ich hab inzwischen eine ganze Menge über persönliche Gefahr für Leib und Leben gelernt. "

    Und während Patricia sich an die ersten Recherchen zu ihrer Irak-Geschichte macht, rennt Ned Vizzini, wie jeden Morgen, zur Bibliothek, zu seinem "Anker" im Strudel der Gezeiten und schreibt an einem neuen Roman über die Veränderungen seines Wohnviertels im Süden Brooklyns. Er, der Vertreter des digitalen Zeitalters, tippt - wie Patricia - die Gedanken gleich in den Laptop, während Joyce Carol Oates und Paula Fox ruhig und bedächtig zum Füllfederhalter greifen und in die Tastatur ihrer alten Schreibmaschinen. Aber egal, wie sie es tun und welcher Generation sie entstammen: sie gehören zu jenen Menschen, die, erstens, aus dem Zugfenster gucken und die Geschichten erahnen, die an den Ufern des River Hudson verborgen liegen, und die, zweitens, keine Botschaften verkünden wollen, zumindest aber an eines glauben:

    Fox: " Alles kommt aus unserem eigenen Leben, selbst ein Science-Fiction-Roman über den Planeten Ork ist irgendwie autobiografisch. Wir erfinden Geschichten aus unserem eigenen Leben heraus und das ist doch eine sehr geheimnisvolle Haltung, wenn wir jeden Tag in unser Arbeitszimmer gehen und am selben Stuhl sitzen und etwas aus uns spricht. Also ist mein Rat der Rat eines Menschen, der schon vor fünfzig oder sechzig Jahre gelebt hat: Geh ins Arbeitszimmer, setz dich auf deinen Stuhl, an deine Schreibmaschine oder an deinen Computer und schreibe - aber nein, was sag ich da? Diese Art von Ratschlägen braucht niemand, der wirklich schreiben will. "


    Literatur:

    Paula Fox: Ein Bild von Ivan
    Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit. Boje Verlag, Köln 2008, 126 S., 11,90 Euro, ab 11

    Ned Vizzini: Eine echt verrückte Story
    Aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz und Werner Schmitz. Rockbuch Verlag, Schlüchtern 2007. 382 S., 14,90 Euro,
    ab 14

    Joyce Carol Oates: Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon
    Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann. Carl Hanser Verlag, München 2008; 272 S., 16,90 Euro , ab 14

    Joyce Carol Oates: Beim Schreiben allein. Handwerk und Kunst
    Übersetzt von Kerstin Winter, Autorenhaus Verlag, Berlin 2006, 160 S., 12,80 Euro

    Patricia McCormick: Verkauft
    Aus dem Amerikanischen von Alexandra Ernst. Fischer Schatzinsel, Frankfurt a.M. 2008, 312 S., 13,90 Euro, ab 14