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Wahrheit ans Licht

Ihr gilt der Schlussjubel "Wer ein solches Weib errungen…": Fidelio ist private Einzelkämpferin und Retterin ihres inhaftierten Gatten in der einzigen Oper Ludwig van Beethovens. In einer Inszenierung von Amelie Niermeyer war die Befreiungsoper in Duisburg zu sehen.

Von Frieder Reininghaus |
    Aus Düsseldorfer oder Duisburger Perspektive mag den Theatermachern Köln spanisch vorkommen. So entbehrt es nicht eines gewissen subtilen Witzes, dass die bewegten Bilder, die Amélie Niermeyer zur ersten Leonoren-Ouverture einblenden ließ, in der JVA Köln aufgenommen wurden.
    Welt, Wesen und Abgründe des finsteren Gefängnisses in feudalabsolutistischer Zeit auf der iberischen Halbinsel sollten nach dem Willen der Regisseurin den Niederrheinländern zeitlich und geographisch nähergebracht werden, indem sie die von Beethovens Librettisten einst absichtsvoll ferngerückte Handlung in eine sechzig Kilometer entfernte Stadt und halbwegs in die Gegenwart übertrug. Doch muss dies Unterfangen zwangsläufig schräg ausfallen. Denn man darf davon ausgehen, dass der Gouverneur von Köln (also der Regierungspräsident), im Ossendorfer Knast gegenwärtig keine Folterkeller unterhält, politische Gefangene umbringt und in Zisternen verscharren lässt. In Köln wird die Ausschaltung politisch unliebsamer Figuren anders geregelt (übrigens weit effektiver). Auch werden Haftanstalten hierzulande gegenwärtig nicht als gewinnorientierte Familien-Unternehmen geführt.
    Besitzt der Video-Film, den Stefan Bischoff und Tim Deckers der Serialität von Zellentüren und zwei Frauen als Schließerinnen im Regelvollzug widmeten, noch eine gewisse Kunstförmigkeit, so lässt sich das von der in Anlehnung an die Ossendorfer Architektur errichten Kulisse kaum mehr behaupten. Kaninchenställe in vier Etagen beherbergen die gut genährten Herren des Opernchors. Auch Steven Harrison als Don Florestan scheint eine wochenlange Zwangsfastenkur nicht davon abbringen zu können, fröhlich auf der Bühne herumzuturnen. Er gestikuliert, obgleich dem Hungertod schon sehr nahe, vital herum.
    Die offensichtlich legasthenische Regisseurin der neuen Duisburger "Fidelio"-Produktion und ihre Dramaturgin haben die vielfach geschmähten Dialoge von Joseph Sonnleithner und Friedrich Treitschke verschlimmbessert (selbst in Arien- bzw. Ensemble-Texte griffen sie rüde ein). Die wenig sprachsensiblen Damen raubten der Sprache des Werks das Zeitkolorit des frühen 19. Jahrhunderts, ohne die Idiomatik konsequent auf Sprachgebräuche des Fernseh-Entertainments absenken zu können. Das alles mag einem Mangel an Metierkenntnis geschuldet sein und zwangsabgestumpfte Theatergänger inzwischen nicht mehr wirklich irritieren.

    Richtig schmerzhaft aber war die pseudokonkretistische Grundlinie der "Umsetzung" von Beethovens musikalischem Ideen-Drama. Dergleichen ist geeignet, den hochtönenden Idealismus des Werks und die vielstimmig gerühmte Gattentreue gründlicher zu denunzieren als alle Dekonstruktionen und kritischen Demontagen des Werks dies je vermöchten. Die Entwaffnung des mit einer Pistole fuchtelnden Pizzaro durch die mit einem Küchenmesser hantierende Leonore Fidelio war ein Gipfel an Dilettantismus – und nicht nur im Sinne des Quasi-Theaterrealismus, an den die Augen sich zuvor gewöhnen mussten. Amélie Niermeyer entpuppte sich – und dies war absehbar ¬– als die falsche Frau am falschen Platz. Trostlos. Doch auch dieser Fehlgriff des Intendanten dürfte keine negativen Folgen haben: Gerade dass er seit Jahren alle überregional diskutable Anstrengung um Musiktheater zu vereiteln trachtete, war der Karriere des Tobias Richter zuträglich.

    Das szenische Desaster lässt auch die Ohren nicht unberührt. Dabei sorgte Andreas Stoehr für einen weithin straffen und präzisen musikalischen Ablauf, in den wiedersinniger Weise die schwächste der vier Ouverturen und ein besonders betuliches Duett aus einer Frühfassung eingeschoben wurden. Annette Seiltgen bekam für ihre höchst achtbare Leistung in der Titelpartie respektablen Beifall.