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Wahrnehmung
Immer an der Wand entlang

Verhaltensforschung. - Um Hindernissen auszuweichen, muss man wenigstens ungefähr wissen, wie weit sie entfernt sind. Das fällt beim Fliegen und Schwimmen schwerer, weil sich die Luft oder das Wasser selbst auch bewegen. Hummeln und Fische stehen also vor ähnlichen Problemen, die sie aber völlig unterschiedlich lösen, wie Biologen an der Universität im schwedischen Lund jetzt herausgefunden haben.

Von Joachim Budde |
    Auf einem Feld bei Rerik (Mecklenburg-Vorpommern) beginnt der Raps am 10.04.2014 zu blühen. Nach einem milden Winter und einem relativ warmen Frühlingsanfang beginnt die Rapsblüte in diesem Jahr einige Zeit früher. Foto: Bernd Wüstneck/dpa
    Forscher untersuchen, wie sich Hummeln orientieren. (picture alliance / ZB / Bernd Wüstneck)
    Man kennt das aus dem Zug: Das Gestrüpp und der Ginster direkt neben dem Gleis scheinen in wahnsinnigem Tempo vorbeizurauschen, während die Kühe, die in der Ferne grasen, ganz gemächlich am Fenster vorbeiziehen. Optischen Fluss nennen Wissenschaftler das Phänomen, dass nahe Objekte sich scheinbar schneller bewegen als ferne, wenn man an ihnen vorbeifährt. Diesen Effekt nutzen auch Zebrafische und Hummeln, um abzuschätzen, wie nahe sie einem Hindernis gekommen sind, sagt Dr. Emily Baird, Biologin an der Universität im schwedischen Lund. Denn beide Tierarten stehen vor einem grundsätzlichen Problem.
    "Fischen wie Hummeln fehlt eine verlässliche Referenz, weil sie nicht über den Boden gehen wie Sie und ich. Darum fällt es ihnen schwer, ihre Geschwindigkeit im Verhältnis zum Boden und zu Gegenständen abzuschätzen, die ihnen gefährlich werden könnten, weil sie dagegenprallen können."
    Luft respektive Wasser scheiden als Referenzen aus, weil sie transparent sind, keine Anhaltspunkte bieten und zudem meist selbst in Bewegung sind. Um zu testen, wie Hummeln das Problem lösen, haben die Wissenschaftler einen Tunnel gebaut. An die eine Wand malten sie waagerechte Streifen, an die andere senkrechte. Die eine Wand liefert also beim Vorbeifliegen keinen Anhalt zur Geschwindigkeit, die andere viele. Die senkrechten Streifen wirken auf die Hummeln also wie ein Objekt. Die Tiere entfernten sich davon, wenn sie durch den Tunnel flogen.
    "Das Aufregende an dieser Forschung: Wir konnten dasselbe Experiment unter Wasser mit Fischen machen. Sehr zu unserer Überraschung tun Fische genau das Gegenteil: Wenn sie nur auf einer Seite ein Objekt wahrnehmen, schwimmen sie näher heran."
    Emily Baird erklärt sich das damit, dass die Zebrafische, die sie untersucht hat, in freier Wildbahn in trübem Wasser leben.
    "Wenn ein Zebrafisch es wie eine Hummel machte, würde er von dem Hindernis wegschwimmen und in einem Bereich des Wassers landen, wo er gar nichts mehr sehen kann. Das ist viel gefährlicher als in der Nähe von etwas zu bleiben, was optische Anhaltspunkte liefert."
    Ob sich die Ergebnisse auf alle Fischarten übertragen lassen, kann die Biologin aber noch nicht sagen.
    "Im natürlichen Lebensraum von Zebrafischen liegt die Sicht meist unter 30 Zentimetern. Darum verhalten sich Fische in einer anderen Umgebung vielleicht unterschiedlich. Wir wollen unsere Versuche mit Fischen, die in klarem Wasser leben, wiederholen und schauen, ob die es wie die Hummeln machen. Denn in diesem Fall wäre das sinnvoll."