Simon: In Berlin wird aller Voraussicht nach doch kein blauer Brief der EU eingehen. Gestern abend waren in Brüssel nur vier Länder dafür, Deutschland und Portugal wegen ihrer hohen Haushaltsdefizite offiziell zu verwarnen - so, wie es die EU-Kommission nach den Regeln empfohlen hatte. Nach den Regeln des EU-Stabilitätspaktes nämlich ergeht eine solche frühzeitige Warnung immer dann, wenn die Verschuldung in einem Land drei Prozent des Bruttoinlandproduktes zu überschreiten droht. Nun feilt die spanische Ratspräsidentschaft an einem Kompromiss, der Deutschland und Portugal den Affront des blauen Briefes zwar ersparen soll, aber nicht die inhaltliche Mahnung. Man erwartet, dass Berlin möglichst bald einen ausgeglichenen Haushalt vorlegt. Am Telefon ist nun Friedrich Merz, der Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag. Guten Morgen.
Merz: Guten Morgen Frau Simon.
Simon: Herr Merz, ist solch ein konstruktiver Kompromiss nicht viel sinnvoller als das Hin und Her um einen blauen Brief?
Merz: Frau Simon, das, was da als konstruktiver Kompromiss heute nacht in Brüssel verkauft worden ist, ist in Wahrheit ein schwerwiegender Verstoß gegen den europäischen Stabilitätspakt. Es ist der Versuch, die Regeln außer Kraft zu setzen, die in der Europäischen Union zu recht gemacht worden sind, um einen stabilen Euro auf Dauer zu sichern. Und der Bundeskanzler hat hier mit wilden Verschwörungstheorien die gesamte Europäische Union unter Druck gesetzt, er hat sie diskreditiert und er hat dafür gesorgt, dass die erste Bewährungsprobe, die der Euro nach seiner Bargeldeinführung bestehen musste, nicht bestanden wurde. Und ich glaube, dass dies langfristig eine verheerende Auswirkung haben wird auf das Vertrauen in die Regeln, auf das Vertrauen in die Institutionen der Europäischen Union und - noch schlimmer - in das Vertrauen auf die Stabilität des Euro.
Simon: Aber in der Sache hat sich doch nichts geändert, in der Sache bleibt es doch dabei: Die Deutschen müssen ihren Haushalt ordentlich bestellen.
Merz: In der Sache wäre es richtig gewesen, ganz einfach die Regeln anzuwenden, die sich diese Europäische Union selbst gegeben hat - so, wie das beispielsweise vor zwei Jahren gegen Irland gemacht worden ist. Damals hat ein kleines Land überhaupt keine Chance gehabt - berechtigter weise keine Chance gehabt -, sich gegen eine solche Frühwarnung zur Wehr zu setzen. Und hier ist jetzt ein großes Land tätig geworden. Deutschland benimmt sich wie der Feldwebel in Europa. Und ich sage: Es hat noch nie einen Regierungschef in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben, der so liederlich, so nachlässig gegen die Europäische Union tätig geworden ist wie Gerhard Schröder. Das ist eine langfristig ganz verheerende Entscheidung, die da jetzt vorbereitet worden ist für heute; sie ist ja noch nicht getroffen worden, aber sie soll dann wohl heute im Laufe des Tages getroffen werden.
Simon: Herr Merz, wenn man in den Brief hinein schaut, den die EU-Kommission da formuliert hat: Da wird ja ganz deutlich, dass auch die Kommission nicht so recht weiß, was die Bundesregierung angesichts der schwierigen konjunkturellen Lage in Deutschland denn zur Zeit anders machen soll. Für wie wichtig oder für heilig halten denn Sie die 3-Prozent-Grenze von diesem Stabilitätspakt?
Merz: Diese 3-Prozent-Grenze ist eine absolute Obergrenze, die nie durchbrochen werden darf, auch nicht in konjunkturell schlechten Zeiten. Sie ist ja für konjunkturell schlechte Zeiten gemacht. In konjunkturell normalen Zeiten sollen die Mitgliedsländer der Europäischen Union Haushaltsüberschüsse erwirtschaften. Und wenn Sie sehen: Finnland, Luxemburg, Irland, die Niederlande, selbst Griechenland erwirtschaften Überschüsse, und Deutschland ist mit minus 2,7 Prozent Defizit, das erwartet wird - und das möglicherweise noch höher ausfallen kann -, Schlusslicht in der Europäischen Union. Und an dieser Stelle hätte nun wirklich Deutschland akzeptieren müssen, dass es eine Frühwarnung bekommt, weil die Ankündigungen, die die Europäische Union bekommen hat von Deutschland, alle nicht eingehalten worden sind. Und wenn jetzt heute nacht darüber geredet worden ist, 'bis 2004 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen': Das ist das übernächste Jahr; daran glaubt doch im ernst niemand mehr, dass Deutschland in der Lage ist, angesichts dieser strukturellen Probleme, die vorhanden sind, bis zum übernächsten Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können. Diese Zahlen stimmen hinten und vorne nicht.
Simon: Herr Merz, Sie haben jetzt gesagt, drei Prozent ist wirklich das Äußerste. In Ihrer eigenen Partei gibt's aber einige, die - Zitat - "in schwierigeren konjunkturellen Zeiten zur Ankurbelung der Wirtschaft auch mal ein stärkeres Defizit hinnehmen würden". Ich nenne nur zwei Beispiele; das hat der Kanzlerkandidat Stoiber vor zwei Wochen gesagt, auch die Parteivorsitzende Merkel. Gibt es da Unterschiede zwischen Ihnen und den anderen?
Merz: Sie erlauben, dass ich das sage: Wir haben in unserer Partei - in beiden Parteien, in der Bundestagsfraktion - in der Tat darüber nachgedacht, ob man nicht angesichts der schwierigen Konjunktur wenigstens für den Mittelstand etwas tun muss und die Defizitgrenze dabei ausschöpfen muss. Nur - zum heutigen Zeitpunkt ist klar, dass diese Defizitgrenze auch ohne jede weitere Steuersenkung ausgeschöpft werden wird. Es stecken eine Reihe von Haushaltsrisiken noch im Bundeshaushalt und in den Länderhaushalten, insbesondere in Berlin, die nach meiner Einschätzung es im Laufe des Jahres dazu kommen lassen, dass auch 2,7 nicht eingehalten wird, sondern dass 3 erreicht, möglicherweise überschritten wird. Und es gibt in der Union niemanden, aber wirklich niemanden, der der Auffassung ist, dass wir in Deutschland drei Prozent überschreiten sollten. Das ist eine absolute Obergrenze für schlechte konjunkturelle Zeiten, und da darf wirklich niemand drüber weg, sonst ist der Euro in seiner Substanz gefährdet.
Simon: Am Freitag dieser Woche geht es ja für die Bundesregierung erneut um Unerfreuliches. Erste Antworten des Präsidenten Jagoda der Bundesanstalt für Arbeit sollen vorliegen, die darüber Aufschluss geben, wie es zu den geschönten Statistiken bei der Arbeitsvermittlung gekommen ist und wer dafür Verantwortung hat. Herr Merz, Sie haben ja schon häufiger private Arbeitsvermittlung stärker gefordert. Wie kann das aussehen, dass man am Ende nicht ein Zwei-Klassen-System hat, also die 'guten' - sage ich mal - Arbeitslosen werden vermittelt durch die privaten Vermittler - so ein bisschen wie bei den Krankenkassen, die die guten Patienten haben -, und die 'schlechten' oder die schwer zu vermittelnden bleiben bei den Arbeitsämtern?
Merz: Frau Simon, ich rechne damit, dass der Bundesarbeitsminister die Verantwortung für das, was da geschehen ist, einzig und alleine auf den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit abschiebt und er dann wohl zum Wochenende so unter Druck gesetzt wird, dass er gehen muss - und dass dann ein Bauernopfer gefunden wurde. Und wenn Sie mal die Zeitungen lesen, dann fällt doch auf, dass häufig - viel häufiger als früher - plötzlich das Kürzel 'CDU' wieder hinter dem Namen von Bernhard Jagoda erscheint. Aber mit einer Personalentscheidung auf dieser Ebene ist das Problem der Arbeitsverwaltung in Deutschland nicht zu lösen. Wir bewirtschaften Arbeitslosigkeit - ich gebe zu - auf hohem administrativen Niveau, aber in der Substanz der Arbeitsmarktpolitik ist in den letzten Jahren nichts besser geworden. Ich sage das ausdrücklich: Das hat nicht begonnen mit dem Regierungswechsel 1998, aber wenn man die Verwaltung weiter ausbaut, wenn man noch mehr Mitarbeiter einstellt - noch mehr Betreuung, noch mehr Bürokratie, noch mehr Geld für den zweiten und dritten Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt, dann darf man sich nicht darüber wundern, dass der erste Arbeitsmarkt in die Knie geht.
Simon: Aber wie soll denn das, was Sie fordern - eben mehr private Arbeitsvermittlung -, konkret aussehen?
Merz: Wie soll das aussehen, die Frage ist völlig berechtigt, und es gibt auch keine Zwei-Klassen-Arbeitsmarktpolitik, sondern es ist für alle etwas erreicht, wenn in unterschiedlichsten Problemgruppen so schnell wie möglich wieder eine Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt ermöglicht wird. Und das müssten private Arbeitsvermittler genau so leisten können wir Arbeitsvermittler aus der Bundesanstalt für Arbeit. Die privaten Arbeitsvermittler sind der rot-grünen Koalition immer ein Dorn im Auge gewesen. Sie haben deren Tätigkeit nicht gefördert, sondern massiv behindert. In anderen Ländern ist das längst anders. Warum kann es hier nicht zu gleichen Bedingungen kommen für alle Beteiligten? Heute schon werden über das Internet und über die Anzeigen in Zeitungen mehr Stellen vermittelt als über die staatliche Arbeitsverwaltung. Hier müssen wir einen offenen Markt haben. Aber ich glaube, selbst das wird die Probleme nicht lösen. Wir brauchen eine sehr viel stärkere Dezentralisierung und Regionalisierung auch der staatlichen Arbeitsmarktpolitik. Und das bedeutet, dass man nicht über eine Behörde, die zentral von Nürnberg aus geführt wird, die Probleme lösen kann, die in Deutschland sehr unterschiedlich sind.
Simon: Werden Sie denn noch vor der Wahl in der Unionsfraktion dazu einen Vorschlag machen?
Merz: Frau Simon, den ersten Vorschlag haben wir konkret gemacht mit dem Konzept für einen Niedriglohnsektor, so wie Edmund Stoiber ihn am letzten Freitag in Berlin vorgestellt hat . . . Simon: . . . ich meine jetzt aber zur Privatisierung der Arbeitsvermittlung . . .
Merz: . . . wir werden sicher im Laufe des Jahres auch weitere Vorschläge zur Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik machen. Aber zunächst einmal - jedenfalls bis zum September dieses Jahres - ist die rot-grüne Bundesregierung im Amt, und an die richten sich die Fragen, was jetzt für Konsequenzen zu ziehen sind, und nicht an die Opposition. Insofern steht zunächst einmal die Bundesregierung in der Verantwortung, aus diesem wirklich skandalösen Vorgang die richtigen und notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Und das kann nicht nur das Bauernopfer Bernhard Jagoda sein, das muss weitergehende Konsequenzen haben. Und es müssen vor allen Dingen konzeptionelle und systematische Konsequenzen gezogen werden und das muss handwerklich sauber gemacht werden. Und da muss die Bundesregierung jetzt mal zeigen, dass sie wirklich noch etwas leisten kann.
Simon: Das war Friedrich Merz, der Union-Fraktionschef im Bundestag. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Merz: Ich bedanke mich bei Ihnen.
Link: Interview als RealAudio
Merz: Guten Morgen Frau Simon.
Simon: Herr Merz, ist solch ein konstruktiver Kompromiss nicht viel sinnvoller als das Hin und Her um einen blauen Brief?
Merz: Frau Simon, das, was da als konstruktiver Kompromiss heute nacht in Brüssel verkauft worden ist, ist in Wahrheit ein schwerwiegender Verstoß gegen den europäischen Stabilitätspakt. Es ist der Versuch, die Regeln außer Kraft zu setzen, die in der Europäischen Union zu recht gemacht worden sind, um einen stabilen Euro auf Dauer zu sichern. Und der Bundeskanzler hat hier mit wilden Verschwörungstheorien die gesamte Europäische Union unter Druck gesetzt, er hat sie diskreditiert und er hat dafür gesorgt, dass die erste Bewährungsprobe, die der Euro nach seiner Bargeldeinführung bestehen musste, nicht bestanden wurde. Und ich glaube, dass dies langfristig eine verheerende Auswirkung haben wird auf das Vertrauen in die Regeln, auf das Vertrauen in die Institutionen der Europäischen Union und - noch schlimmer - in das Vertrauen auf die Stabilität des Euro.
Simon: Aber in der Sache hat sich doch nichts geändert, in der Sache bleibt es doch dabei: Die Deutschen müssen ihren Haushalt ordentlich bestellen.
Merz: In der Sache wäre es richtig gewesen, ganz einfach die Regeln anzuwenden, die sich diese Europäische Union selbst gegeben hat - so, wie das beispielsweise vor zwei Jahren gegen Irland gemacht worden ist. Damals hat ein kleines Land überhaupt keine Chance gehabt - berechtigter weise keine Chance gehabt -, sich gegen eine solche Frühwarnung zur Wehr zu setzen. Und hier ist jetzt ein großes Land tätig geworden. Deutschland benimmt sich wie der Feldwebel in Europa. Und ich sage: Es hat noch nie einen Regierungschef in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben, der so liederlich, so nachlässig gegen die Europäische Union tätig geworden ist wie Gerhard Schröder. Das ist eine langfristig ganz verheerende Entscheidung, die da jetzt vorbereitet worden ist für heute; sie ist ja noch nicht getroffen worden, aber sie soll dann wohl heute im Laufe des Tages getroffen werden.
Simon: Herr Merz, wenn man in den Brief hinein schaut, den die EU-Kommission da formuliert hat: Da wird ja ganz deutlich, dass auch die Kommission nicht so recht weiß, was die Bundesregierung angesichts der schwierigen konjunkturellen Lage in Deutschland denn zur Zeit anders machen soll. Für wie wichtig oder für heilig halten denn Sie die 3-Prozent-Grenze von diesem Stabilitätspakt?
Merz: Diese 3-Prozent-Grenze ist eine absolute Obergrenze, die nie durchbrochen werden darf, auch nicht in konjunkturell schlechten Zeiten. Sie ist ja für konjunkturell schlechte Zeiten gemacht. In konjunkturell normalen Zeiten sollen die Mitgliedsländer der Europäischen Union Haushaltsüberschüsse erwirtschaften. Und wenn Sie sehen: Finnland, Luxemburg, Irland, die Niederlande, selbst Griechenland erwirtschaften Überschüsse, und Deutschland ist mit minus 2,7 Prozent Defizit, das erwartet wird - und das möglicherweise noch höher ausfallen kann -, Schlusslicht in der Europäischen Union. Und an dieser Stelle hätte nun wirklich Deutschland akzeptieren müssen, dass es eine Frühwarnung bekommt, weil die Ankündigungen, die die Europäische Union bekommen hat von Deutschland, alle nicht eingehalten worden sind. Und wenn jetzt heute nacht darüber geredet worden ist, 'bis 2004 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen': Das ist das übernächste Jahr; daran glaubt doch im ernst niemand mehr, dass Deutschland in der Lage ist, angesichts dieser strukturellen Probleme, die vorhanden sind, bis zum übernächsten Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können. Diese Zahlen stimmen hinten und vorne nicht.
Simon: Herr Merz, Sie haben jetzt gesagt, drei Prozent ist wirklich das Äußerste. In Ihrer eigenen Partei gibt's aber einige, die - Zitat - "in schwierigeren konjunkturellen Zeiten zur Ankurbelung der Wirtschaft auch mal ein stärkeres Defizit hinnehmen würden". Ich nenne nur zwei Beispiele; das hat der Kanzlerkandidat Stoiber vor zwei Wochen gesagt, auch die Parteivorsitzende Merkel. Gibt es da Unterschiede zwischen Ihnen und den anderen?
Merz: Sie erlauben, dass ich das sage: Wir haben in unserer Partei - in beiden Parteien, in der Bundestagsfraktion - in der Tat darüber nachgedacht, ob man nicht angesichts der schwierigen Konjunktur wenigstens für den Mittelstand etwas tun muss und die Defizitgrenze dabei ausschöpfen muss. Nur - zum heutigen Zeitpunkt ist klar, dass diese Defizitgrenze auch ohne jede weitere Steuersenkung ausgeschöpft werden wird. Es stecken eine Reihe von Haushaltsrisiken noch im Bundeshaushalt und in den Länderhaushalten, insbesondere in Berlin, die nach meiner Einschätzung es im Laufe des Jahres dazu kommen lassen, dass auch 2,7 nicht eingehalten wird, sondern dass 3 erreicht, möglicherweise überschritten wird. Und es gibt in der Union niemanden, aber wirklich niemanden, der der Auffassung ist, dass wir in Deutschland drei Prozent überschreiten sollten. Das ist eine absolute Obergrenze für schlechte konjunkturelle Zeiten, und da darf wirklich niemand drüber weg, sonst ist der Euro in seiner Substanz gefährdet.
Simon: Am Freitag dieser Woche geht es ja für die Bundesregierung erneut um Unerfreuliches. Erste Antworten des Präsidenten Jagoda der Bundesanstalt für Arbeit sollen vorliegen, die darüber Aufschluss geben, wie es zu den geschönten Statistiken bei der Arbeitsvermittlung gekommen ist und wer dafür Verantwortung hat. Herr Merz, Sie haben ja schon häufiger private Arbeitsvermittlung stärker gefordert. Wie kann das aussehen, dass man am Ende nicht ein Zwei-Klassen-System hat, also die 'guten' - sage ich mal - Arbeitslosen werden vermittelt durch die privaten Vermittler - so ein bisschen wie bei den Krankenkassen, die die guten Patienten haben -, und die 'schlechten' oder die schwer zu vermittelnden bleiben bei den Arbeitsämtern?
Merz: Frau Simon, ich rechne damit, dass der Bundesarbeitsminister die Verantwortung für das, was da geschehen ist, einzig und alleine auf den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit abschiebt und er dann wohl zum Wochenende so unter Druck gesetzt wird, dass er gehen muss - und dass dann ein Bauernopfer gefunden wurde. Und wenn Sie mal die Zeitungen lesen, dann fällt doch auf, dass häufig - viel häufiger als früher - plötzlich das Kürzel 'CDU' wieder hinter dem Namen von Bernhard Jagoda erscheint. Aber mit einer Personalentscheidung auf dieser Ebene ist das Problem der Arbeitsverwaltung in Deutschland nicht zu lösen. Wir bewirtschaften Arbeitslosigkeit - ich gebe zu - auf hohem administrativen Niveau, aber in der Substanz der Arbeitsmarktpolitik ist in den letzten Jahren nichts besser geworden. Ich sage das ausdrücklich: Das hat nicht begonnen mit dem Regierungswechsel 1998, aber wenn man die Verwaltung weiter ausbaut, wenn man noch mehr Mitarbeiter einstellt - noch mehr Betreuung, noch mehr Bürokratie, noch mehr Geld für den zweiten und dritten Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt, dann darf man sich nicht darüber wundern, dass der erste Arbeitsmarkt in die Knie geht.
Simon: Aber wie soll denn das, was Sie fordern - eben mehr private Arbeitsvermittlung -, konkret aussehen?
Merz: Wie soll das aussehen, die Frage ist völlig berechtigt, und es gibt auch keine Zwei-Klassen-Arbeitsmarktpolitik, sondern es ist für alle etwas erreicht, wenn in unterschiedlichsten Problemgruppen so schnell wie möglich wieder eine Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt ermöglicht wird. Und das müssten private Arbeitsvermittler genau so leisten können wir Arbeitsvermittler aus der Bundesanstalt für Arbeit. Die privaten Arbeitsvermittler sind der rot-grünen Koalition immer ein Dorn im Auge gewesen. Sie haben deren Tätigkeit nicht gefördert, sondern massiv behindert. In anderen Ländern ist das längst anders. Warum kann es hier nicht zu gleichen Bedingungen kommen für alle Beteiligten? Heute schon werden über das Internet und über die Anzeigen in Zeitungen mehr Stellen vermittelt als über die staatliche Arbeitsverwaltung. Hier müssen wir einen offenen Markt haben. Aber ich glaube, selbst das wird die Probleme nicht lösen. Wir brauchen eine sehr viel stärkere Dezentralisierung und Regionalisierung auch der staatlichen Arbeitsmarktpolitik. Und das bedeutet, dass man nicht über eine Behörde, die zentral von Nürnberg aus geführt wird, die Probleme lösen kann, die in Deutschland sehr unterschiedlich sind.
Simon: Werden Sie denn noch vor der Wahl in der Unionsfraktion dazu einen Vorschlag machen?
Merz: Frau Simon, den ersten Vorschlag haben wir konkret gemacht mit dem Konzept für einen Niedriglohnsektor, so wie Edmund Stoiber ihn am letzten Freitag in Berlin vorgestellt hat . . . Simon: . . . ich meine jetzt aber zur Privatisierung der Arbeitsvermittlung . . .
Merz: . . . wir werden sicher im Laufe des Jahres auch weitere Vorschläge zur Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik machen. Aber zunächst einmal - jedenfalls bis zum September dieses Jahres - ist die rot-grüne Bundesregierung im Amt, und an die richten sich die Fragen, was jetzt für Konsequenzen zu ziehen sind, und nicht an die Opposition. Insofern steht zunächst einmal die Bundesregierung in der Verantwortung, aus diesem wirklich skandalösen Vorgang die richtigen und notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Und das kann nicht nur das Bauernopfer Bernhard Jagoda sein, das muss weitergehende Konsequenzen haben. Und es müssen vor allen Dingen konzeptionelle und systematische Konsequenzen gezogen werden und das muss handwerklich sauber gemacht werden. Und da muss die Bundesregierung jetzt mal zeigen, dass sie wirklich noch etwas leisten kann.
Simon: Das war Friedrich Merz, der Union-Fraktionschef im Bundestag. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Merz: Ich bedanke mich bei Ihnen.
Link: Interview als RealAudio